Sonntag, 21. Januar 2024

Mozart - Così fan tutte, 20.01.2024

Beschaulich, behaglich, betulich
Es ist nicht einfach, das richtige Inszenierungsmaß für Così fan tutte zu finden. Meistens wird die  hanebüchene  Handlung dieser Buffa-Oper nicht als komisch, sondern als lächerlich empfunden, früher hat man deshalb oft in die Handlung eingegriffen oder der Oper neue Texte unterlegt. Lange betonte man die bittersüße Komponente des Geschehens, die man ironisch oder sarkastisch interpretieren kann, je nachdem, ob man die Abgründe übertünchen will oder versucht, sie glaubhaft zu machen. Und in der Schlußszene kann man dann entweder ein Ausrufezeichen oder ein Fragezeichen setzen.
Die neue Karlsruher Inszenierung findet einen überwiegend kurzweiligen Weg durch die Education sentimentale der Handlung, die Regie drängt sich nie in den Vordergrund, modernisiert behutsam das Geschehen und charakterisiert treffend die wankelmütigen Figuren. Musik und Sänger blieben bei der gestrigen Premiere nicht nur stets im Mittelpunkt, sondern trumpfen auf: Dirigent und Musiker trugen die spielfreudigen Sänger quasi auf  Händen und zelebrierten die Partitur als Schönklang. 

Worum geht es?
Zwei Paare: Zwei Schwestern und ihre beiden Verlobten, die beide Offiziere sind.
Ort und Zeit: Neapel um 1790
Der Sopran (Fiordiligi) und der Bariton (Guglielmo) sowie der Mezzosopran (Dorabella) und der Tenor (Ferrando) sind Paare mit festen Absichten. Doch zu Beginn provoziert der Baß (Don Alfonso) die beiden Offiziere, indem er Treue als Illusion erklärt. Man schließt eine Wette ab, die beiden sollen versuchen, die Braut des anderen zu verführen. Man gewinnt die Zofe der Schwestern (Despina) als Unterstützerin. Die beiden Offiziere geben vor, einrücken zu müssen und ziehen ab. Verkleidet kommen sie zurück, bemühen sich, werben und tricksen, und siehe da: binnen kurzer Zeit will erst der Mezzosopran den Bariton und anschließend auch der Sopran den Tenor. Schnell findet eine vorgetäuschte Heirat statt, dann fliegt die Posse auf, Don Alphonso hat die Wette gewonnen, die Frauen bitten ihre anfänglichen Partner um Vergebung, Schwamm drüber, man preist die Vernunft. Happy End (?)

Was ist zu beachten?
In der Hochzeit des Figaro sind die Figuren menschlicher, im Don Giovanni geht es um Schicksale. Und in Così fan tutte? Ein Handlung ohne Logik, Belang und Wahrhaftigkeit mit einer Musik, die enthoben über der Handlung erklingend den Figuren eine Dimension gibt, die sie auf der Bühne nicht haben. Komödien leben von Situationen, bei Così fan tutte dominiert die Kontemplation und Selbstbefragung der Figuren. Auch Giuseppe Verdi hat Opern vertont, deren Libretto man lieber nicht hinterfragen sollte. Verdis dramatisches Genie verdichtet die Situationen zu spannenden existentiellen Höhepunkten. Mozarts Kunst belebt hingegen in einer Sphäre, die das fühlende Herz erkennen mag, der sehende Verstand aber oft ablehnt, er malt musikalisch in manchen Arien sorgfältige Ölbilder wo man gelegentlich lieber ein leichtes Aquarell erwartet. Die Themen Treue und Ehe sind 200 Jahre nach Mozart neu formatiert. Treue hat  in Zeiten von Scheidung und Antikonzeptiva einen anderen Stellenwert bekommen, letztendlich ist es "anhaltende Kampfbereitschaft in bezug auf denselben Gegner" (P. Sloterdijk). Die Ehe hat als lebenslange Versorgungsgemeinschaft an Bedeutung verloren, eine Hochzeit ist kaum mehr als die Umwandlung einer Liebes- in eine Geschäftsbeziehung. Wenn eine Regie die Handlung ernst statt komisch nimmt, werden Konflikte oft künstlich verstärkt, wird hingegen das spielerische Element betont, darf die Belanglosigkeit das Vergnügen nicht übertreffen. Die neue Karlsruher Inszenierung betont die Komödie und agiert dabei überwiegend mit Gelassenheit: Così fan tutte wird hier weder problematisiert noch bloßgestellt. Man hat die Oper leicht gekürzt, dennoch machen sich im zweiten Teil die üblichen Längen bemerkbar.

Historisches
Così fan tutte, ossia La scuola degli amanti  - "So machen es alle (Frauen) oder Die Schule der Liebenden“ ist Mozarts (*1756 †1791) drittletzte Oper, uraufgeführt 1790. Wie machen es die Frauen? Sie sind genau so untreu wie Männer. Frauen sind auch nur Menschen? Eine Botschaft, die im Jahrhundert nach Mozart unanständig war. Im moralisch-ernsten 19. Jahrhundert hatte diese Oper einen schweren Stand, was dazu führte, daß man Mozarts Oper nicht oder mit neu erfundener Handlung aufführte. Über 30 Jahre nach der Uraufführung  gab es 1821 die erste Aufführung am Großherzoglichen Hoftheater, Die verhängnisvolle Wette verwendete die Musik von Mozart, unterlegte aber einen neuen Text. So machen's alle (Cosi fan tutte) gab es dann 1860, auch dies eine Bearbeitung (von Eduard Devrient). 1913 präsentierte man in Karlsruhe die Oper erneut, nun mit Originaltitel Cosi fan tutte (So machen's alle), immer noch in Deutsch gesungen unter teilweiser Benutzung von Devrients Übersetzung.





Quelle: hier und hier bei der BLB

Was ist zu sehen?
Die Inszenierung scheint an der Grenze der 1960er zu den 1970er zu spielen. Die Männer tragen zu Beginn Anzug, kurze Haare und Krawatte, als Soldaten im weißen US-Navy Stil ziehen sie ab, zurück kommen sie in karierten Schlaghosen bzw. Anzug mit Fellbesatz, Mesh-Shirt und Cowboy-Hut, Schnurrbärten und Perücken. "Selfies" werden noch mit einer Sofortbildkamera geschossen. Die eingesetzte Drehbühne bietet verschiedene Ansichten, zu Beginn ein asiatischer Schnellimbiß, bei dem die von einer Feier betrunkenen Männer ihre Schnapswette schließen. Ansonsten finden Szenen in, vor oder hinter einem schicken Apartment statt, stimmungsvoll beleuchtet von Rico Gerstner. Filmexperten werden manche Szenen identifizieren können: Frühstück bei Tiffany mit Audrey Hepburn wird zitiert (bspw. wenn Dorabella auf der Feuertreppe sitzt) , eine große Wassermelone soll aus Dirty Dancing stammen. Doch Zitate verpuffen, weil zu wenige die Assoziation herstellen.
Regisseurin Nilufar Münzing hat für die Ouvertüre eine Handlung erfunden, die 18 Jahre nach der Oper einsetzt: die Kinder der beiden Paare werden beim Küssen von den entsetzten Eltern getrennt, denn - Überraschung! - beide sind Halbgeschwister. Der Sopran und Tenor sind in dieser Inszenierung das Paar, das zusammen gehört hätte, beide Kinder sind von Ferrando - eine Überraschung auch für Dorabella und Guglielmo. Die beiden Kinder dürfen ab uns zu auf der Bühne auftauchen, sie bekommen quasi die Geschichte ihrer Zeugung und der elterlichen Ehe erzählt. Tatsächlich hätte es dieser hinzuerfundenen Nebenhandlung gar nicht benötigt, die Pointe dieser Inszenierung hätte auch ohne sie funktioniert. Die Pointe dieser Così fan tutte ist, daß Fiordiligi die Wahrheit entdeckt und weiß, daß der fremde Tenor der Verlobte ihrer Schwester ist. Auch Ferrando weiß um Fiordiligis Entdeckung. Beide schweigen und machen weiter, weil eigentlich sie sich begehren. Doch Fiordiligi will Dorabella nicht den Verlobten wegnehmen, Ferrando fehlt der Mut - die falschen Paare werden heiraten. Am Ende setzt die Regisseurin weder ein Frage- noch ein Ausrufezeichen, weil sie zur inszenierten Ouvertüre Antworten gibt. Wo man sonst oft bei Inszenierungen von Così fan tutte Brechts Satz zitieren kann "Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen." (Der gute Mensch von Sezuan), gibt es hier also eine Auflösung zur Handlung. Münzing zeigt ihre Variante der Geschichte mit Können and Gelassenheit in problemfreier Haltung, unterhaltsam, mit guten Einfällen und insbesondere im ersten Teil durchaus kurzweilig. Nur mit der Figur des Don Alfonso weiß die Regie wenig anzufangen, weder Charakterisierung noch Kostüme funktionieren.

Was ist zu hören?
Bereits bei der Fanfare zu Beginn, der gefühlvollen Oboe und der in den tiefen Streichern aufkommenden Melodie zum später gesungenen Operntitel konnte man gestern erahnen, wohin die Reise geht. Die Badische Staatskapelle, dirigiert von Johannes Willig, betonte den Schönklang. Der Orchestergraben ist wie bei den Händel-Festspielen höher fixiert, der Dirigent betritt ihn von links oben. Wer nun aber wie so oft bei Händel einen forschen, vorwärtstreibenden oder auch kantigen Klang erwartet, wird überrascht. Willig glättete die Kanten, wählte eher ein beschauliches Tempo und ein ausgeglichenes Klangbild ohne Zuspitzungen, das virtuoses Musizieren und ein befreites, eloquentes Singen ermöglicht und das Bühnengeschehen zwischen Behaglichkeit und Betulichkeit  positioniert. 
Eleazar Rodriguez überzeugt als zögerlicher Ferrando mit geschmeidiger Stimme, Ina Schlingensiepen ist als scheue und ernste Fiordiligi wie gewohnt höhensicher und darstellerisch stark, Florence Losseau singt Dorabella mit sinnlich warmer Stimme, Oğulcan Yılmaz setzt als kerniger Guglielmo starke Akzente und ist die positive Überraschung des Premierenabends, Uliana Alexyuk singt eine durchtriebene Despina und Renatus Mészár Don Alfonso mit sonorer Mattigkeit.

Fazit: Engagement und Spielfreude überzeugen.

Besetzung und Team
Fiordiligi: Ina Schlingensiepen
Dorabella: Florence Losseau
Despina: Uliana Alexyuk   
Guglielmo: Oğulcan Yılmaz
Ferrando Eleazar Rodriguez
Don Alfonso:  Renatus Mészár

Musikalische Leitung: Johannes Willig
Chor: Marius Zachmann
Regie: Nilufar Münzing 
Ausstattung: Britta Lammers 
Licht: Rico Gerstner