Wie die Zeit vergeht! Wer erinnert sich nicht gerne an den letzten Karlsruher Trittico? In der Spielzeit 2002/2003 inszenierte Robert Tannenbaum die drei knapp einstündigen Opern über Eifersuchtsmord, Himmelfahrt und Erbschaftsbetrug und insbesondere Barbara Dobrzanska als Schwester Angelica rührte dabei zu Tränen. Die dritte Oper des Trittico ist als Komödie ein idealer Kandidat für die Streaming-Premiere des Musiktheaters, Gianni Schicchi (UA 1918 an der New Yorker MET) bereitete gestern am Bildschirm viel Freude!
Worum geht es?Florenz. Der reiche Buoso Donati stirbt, die scheinheiligen Angehörigen trauern. Doch der Tote hat sein Vermögen dreisterweise einem Kloster vererbt. Seine große Familie will das nicht hinnehmen. Nur was kann man tun? Tenor Rinuccio -bestenfalls ein Nebenerbe-, der Lauretta, die Tochter von Gianni Schicchi, heiraten will, schlägt vor, den zukünftigen Schwiegervater zu Rate zu ziehen. Gianni Schicchi hat eine riskante Idee: Testamentsfälschung! Doch er warnt: die Strafe ist in Florenz drakonisch: eine Hand wird abgehackt und Verbannung auf Lebenszeit! Die Gier der Familie ist größer als die Angst vor den Folgen. Doch Schicchi betrügt die Betrüger, damit es ein Happy-End für die Liebe geben kann, und macht dem Publikum ein vergiftetes Angebot: Der Zweck heiligt die Mittel, Diebstahl wir als gerecht(fertigt)e Umverteilung definiert - ein Vorbild für den kleptokratischen Steuerstaat.
Was ist zu sehen?
Regisseurin Anja Kühnhold folgt der Handlung und inszeniert solide werk- und sängergerecht. Die Herausforderung bei einer Live-Aufführung mit 14 überwiegend ständig auf der Bühne stehenden Sänger und knapp 60 Minuten mit viel Handlung liegt darin, an allen Ecken und Enden etwas geschehen zu lassen. Bei einer Übertragung verengt die Kameraführung jedoch den Blickwinkel und bietet immer nur einen Ausschnitt an. Wenn die Kamera sich auf den Singenden konzentriert, verpaßt man am Bildschirm das Nebengeschehen und umgekehrt. Wie gelungen und amüsant diese Inszenierung live wirkt, bleibt abzuwarten, doch der gestrige Eindruck war beglückend, denn den Sängern sah und hörte man Engagement und die Freude daran an, endlich mal wieder aufzutreten. Und man muß es erneut betonen: daß Aufführungen so erfolgreich in die Wohnungen der Zuschauer übertragen werden, liegt auch an den Technikern im Haus: ob Ton, Bild oder Licht - das Ergebnis wird professionell produziert und hilft nicht nur, die Wartezeit bis zum Ende der Pandemiebeschränkungen zu überbrücken. Auch zukünftig kann man daraus ein Angebot machen.
Was ist zu hören?
Endlich! Endlich mal wieder Oper! Man kann kaum jemanden hervorheben, doch Eleazar Rodriguez verdient doppeltes Lob: für viel tenoralen Schmelz und für seine amüsanten Beiträge in den sozialen Medien während der letzten Monate, mit denen er viele Sympathiepunkte gesammelt haben sollte. Armin Kolarczyk überzeugte wie gewohnt hochsouverän in zwei Stimmlagen: in der Titelrolle und als Buoso Donati. Konstantin Gorny hat auch auf dem Bildschirm eine großartige Bühnenpräsenz. Luiz Molz hat einen amüsanten Auftritt als Dr. Spinelloccio. Als Lauretta hat man Hye-Jung Lee zu Gast, bei ihr wie auch beim neuen Ensemblemitglied Äneas Humm freut man sich auf das Live-Erlebnis ihrer Stimme. 14 passende Stimmen mit dem richtigen komödiantischen Talent - wer weiß, ob es nicht im Juni oder Juli die Chance zum Auftritt vor Publikum gibt.
Fazit: Der Verfasser dieser Zeilen kommt nicht umhin zu gestehen, daß er sich den ganzen Mittwoch auf die Vorstellung freute und das Lächeln den ganzen Abend und bis tief in die Nacht beim Tippen dieser Buchstaben nicht mehr von seinen Lippen wich. Dafür liebes Badisches Staatstheater: HERZLICHEN DANK!
Besetzung und Team:
Gianni Schicchi: Armin Kolarczyk
Lauretta, seine Tochter: Hye-Jung Lee
Zita: Ariana Lucas
Rinuccio: Eleazar Rodriguez
Gherardo: Merlin Wagner
Nella: Sophia Theodorides
Betto von Signa: Nathanaël Tavernier
Simone: Konstantin Gorny
Marco: Äneas Humm
Ciesca: Jennifer Feinstein
Dr. Spinelloccio: Luiz Molz
Amantio di Nicolao: Renatus Meszar
Pinellino: Dimitrijus Polesciukas
Guccio: Uğur Atasoy
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: Anja Kühnhold
Bühne: Sarah Marlène Kirsch
Kostüme: Elisabeth Richter
Maske: Caroline Steinhage
Licht: Rico Gerstner
@sj
AntwortenLöschenVielen lieben Dank für die Infos :-) Über nichts würde ich mich aktuell mehr freuen, als über eine Vorstellung mit Zuschauern