Feminismus als Frigidität und Freudlosigkeit
Nun streamt auch das Karlsruher Schauspiel gegen die Virusepidemie an und versucht sich sogar an der bundesdeutschen Erstaufführung einer "science-fiction-artigen Komödie", die eher eine mit faschistoiden Vorbildern kokettierende Dystopie ist. Leider bleibt man sich dabei qualitativ enttäuschend treu und inszeniert unoriginell, ohne Witz und Humor und ohne jeden Tiefgang. Seit einem Jahrzehnt versucht man sich angestrengt an Komödien-Inszenierungen, bei denen das Publikum dann kaum lacht, und es ist stark zu bezweifeln, daß In den Gärten, sollte es vor Publikum live gezeigt werden, zu Lachanfällen führen wird. Statt einer Komödie zum Lachen gibt es stattdessen eine lächerliche Komödie. Autorin Sibylle Berg wurde als "Haßpredigerin der Singlegesellschaft" bezeichnet, sie analysierte kürzlich: "Gemeinschaft erleben wir nur noch, wenn wir uns im Haß geeint fühlen" und dieses Motto scheint eine treffende Beschreibung ihres Weltbilds. In ihrer Dystopie über das verkorkste Liebesleben freudlos frigider Frauen durch primitiv plumpe Männer steckt weit mehr Potential als Autorin und Inszenierungsteam ausschöpfen. Stattdessen gibt es einen unfreiwilligen Humor in diesem Stück, das den Feminismus in gewisser Weise als Kompensation für verzweifelte Lieblosigkeit beschreibt und sich an Weisheiten aus der Ratgeberspalte und Horoskopen von Frauenzeitschriften zu bedienen scheint.
Groll, Ressentiment, ja fast meint man auch Haß zu verspüren, wenn man die zugespitzten Texte von Sibylle Berg (*1962) liest. Nach einem Autounfall -ihr Auto überschlug sich 1991 mehrfach- benötigte sie über ein Jahrzehnt verteilt 22 Operationen, um ihr Gesicht wiederherzustellen, in dem man heute noch die Spuren der Entstellung zu finden vermeinen mag. Ob es diese Phase ihres Lebens war, die ihren Charakter als Autorin prägte, mag dahin gestellt sein, eine offene Verbitterung war auch vor einem Jahr im Interview mit dem Karlsruher Schauspiel nicht zu überlesen, in dem sie bspw. über soziale Medien spricht, wo "porenlose Plastikdolls Millionen mit der Vermarktung von Scheißprodukten verdienen, die anderen Frauen suggeriert, daß sie nach Verwendung der Scheißprodukte zu porenlosen Gummidolls werden können, die Millionen mit Cremewerbung verdienen". Das ist eine geschmacklose, denunziernde Zuspitzung ohne karikaturhafte Pointe, ein Vergleich, der manchen an einen großnasigen Juden im Stürmer zu erinnern vermag - beiden Vergleichen geht es um billige Abwertung und Diffamierung. Persönlicher Neid und Abscheu sind kein Ersatz für künstlerische Mittel wie Ironie oder Satire. Berg zeigt nicht nur keine Toleranz für Frauen, die nicht verbittert sind, sondern schwärmt von "Frauen, die sich nicht darum kümmern, für Männer anziehend zu sein, also sich in eine Insta-Gummipuppe zu verwandeln". Es fällt oberflächlich nicht schwer, ihren Groll gegen attraktive, lebendige Frauen aus der Erfahrung ihrer Entstellung abzuleiten. Doch das Bemitleidenswerteste scheint der Mangel an Liebe und Begehren in ihrem Leben zu sein: "Heute finden sich eben auch im Netz Vorbilder von Frauen, die anders sind. Die eben Nerds sind, mutig sind und denen es vollkommen egal ist, ob ein paar picklige Jungs sie für begattbar halten." Uiuiuiuiuiuiui, was für pubertäre Plattheiten! Tja, und es gibt auch sportliche, muskelbepackte Jungs, die pummlige, ungepflegte weibliche Nerds nicht attraktiv finden. Viele Frauen, die sich als Feministin bezeichnen und unter dem Deckmantel des Kampfes gegen das Patriarchat Frauen und Männer diffamieren, tun dies anscheinend, weil es so viel einfacher ist, als sich um ihr eigenes Leben zu kümmern. Als Opfer kann man immer anderen die Schuld geben und sich selber damit entlasten - es wundert nicht, daß sich manche Form des Feminismus an der Opferrolle festklammert. Es scheint also durchaus berechtigt, daß Berg als "Haßpredigerin der Singlegesellschaft" und "Fachfrau fürs Zynische" bezeichnet wurde. Bergs Literatur scheint auch ein Beispiel dafür zu sein, wie ein Autor nachträglich das als wertlos, überflüssig und verachtenswert charakterisiert, woran er zuvor gescheitert ist. Das eigene Versagen wird relativiert, das Objekt der Begierde wird verspottet, enttäuschte Liebe schlägt um in Ablehnung und Haß - ihr Feindbild ist die eigene Frage in Gestalt.
Worum geht es?
Das Stück wirkt wie der Versuch, eine Post-Holocaust-Welt irgendwie als "science-fiction-artige Komödie" zu präsentieren: in einer Welt, in der Männer ausgerottet sind (oder wie es Berg euphemistisch nennt: "einfach ausgestorben", was wie ein Kokettieren mit faschistoiden Zukunftsutopien wirkt) und Frauen die Macht übernommen haben, zeigt man in den Gärten (einem Museum der Vergangenheit, das als Ort der Gehirnwäsche und Propaganda in Orwells 1984 passen würde) die Geschichte der Paarbeziehungen. Sieben Themengärten - Vorspielgarten, Liebesgarten, Präsexgarten, Missionarsgarten, Erwachsenengarten, Kindergarten, Friedgarten - zeigen plumpe Geschlechterklischees und einen "Krieg der Geschlechter", der zu Ende kommt, als Frauen aufhören, Interesse an Männern zu haben, die dann erst in Anlehnung an Aristophanes' Komödie Lysistrata in den Sexstreik treten, nur um festzustellen, daß Frauen keine Männer mehr brauchen und sich daraufhin zurückziehen, um ohne Frauen ein unkomplizierteres Leben zu führen, wobei sie "aussterben". Die Ironie bei Berg: Erst als Männer aufhören, Männer zu sein, sterben sie aus.
Abschweifung: "Vom unsichtbaren Mittelpunkt alles Thuns und Treibens"
Sibylles Berg Text wirkt wie ein Tribut an einen größeren männlichen Autor. Arthur Schopenhauer liefert die Grundierung für Berg in seiner Welt als Wille und Vorstellung:
"Dem allen entspricht die wichtige Rolle, welche das Geschlechtsverhältniß in der Menschenwelt spielt, als wo es eigentlich der unsichtbare Mittelpunkt alles Thuns und Treibens ist und trotz allen ihm übergeworfenen Schleiern überall hervorguckt. Es ist die Ursache des Krieges und der Zweck des Friedens, die Grundlage des Ernstes und das Ziel des Scherzes, die unerschöpfliche Quelle des Witzes, der Schlüssel zu allen Anspielungen und der Sinn aller geheimen Winke, aller unausgesprochenen Anträge und aller verstohlenen Blicke, das tägliche Dichten und Trachten der Jungen und oft auch der Alten, der stündliche Gedanke des Unkeuschen und die gegen seinen Willen stets wiederkehrende Träumerei des Keuschen, der allezeit bereite Stoff zum Scherz, eben nur weil ihm der tiefste Ernst zum Grunde liegt. Das aber ist das Pikante und der Spaß der Welt, daß die Hauptangelegenheit aller Menschen heimlich betrieben und ostensibel möglichst ignoriert wird. In der That aber sieht man dieselbe jeden Augenblick sich als den eigentlichen und erblichen Herrn der Welt, aus eigener Machtvollkommenheit, auf den angestammten Thron setzen und von dort herab mit höhnenden Blicken der Anstalten lachen, die man getroffen hat, sie zu bändigen, einzukerkern, wenigstens einzuschränken und wo möglich ganz verdeckt zu halten, oder doch so zu bemeistern, daß sie nur als eine ganz untergeordnete Nebenangelegenheit des Lebens zum Vorschein komme. – Dies Alles aber stimmt damit überein, daß der Geschlechtstrieb der Kern des Willens zum Leben, mithin die Koncentration alles Wollens ist; daher eben ich im Texte die Genitalien den Brennpunkt des Willens genannt habe. Ja, man kann sagen, der Mensch sei konkreter Geschlechtstrieb; da seine Entstehung ein Kopulationsakt und der Wunsch seiner Wünsche ein Kopulationsakt ist, und dieser Trieb allein seine ganze Erscheinung perpetuirt und zusammenhält."
Was ist zu sehen?
Bergs Text speist sich aus Schopenhauers Analyse: Liebe gibt es nicht, nur den Geschlechtstrieb, Männer und Frauen sind Opfer ihrer Hormone und passen nicht zueinander. Die Bühne des Studios zeigt einen geöffneten Mund mit herausgestreckter Zunge. Anhand des fiktionalen Paares Lysistrata und Bernd wird die gehirngewaschene Geschichte der Paarbeziehungen aus feministischer Sicht gezeigt, und das wirkt wie eine Klamaukshow von Klischees. Insbesondere die drei bedauernswerten männlichen Schauspieler dürfen nur als Knallchargen ihre Rollenstereotype erfüllen, Komik oder Humor läßt die grobmotorische Regie nicht zu. Lucie Emons darf mehr spielen, von unterbelichteten Weibchen bis zur verklemmten Feministin hat sie ein interessantes Spektrum zu bieten. Doch überwiegend prägen Platitüden und Gehampel die Inszenierung.
Fazit: Während Konzert, Oper und Ballett als Live-Erlebnis im Theater für die Zuschauer atmosphärisch deutlich mehr zu bieten hat, ist das Streamen für das Karlsruher Schauspiel auch zukünftig eine Chance, denn für solche Inszenierungen lohnt der Besuch des Theaters nicht, da bleibt man lieber zu Hause, vermeidet Emissionen und schützt das Klima, streamt das erwartete und vorsehbare Unbemerkenswerte und geht erst dann wieder in die Baumeisterstraße, wenn sich der Besuch vor Ort mal wieder lohnen sollte. Alternativ sollte sich der Verwaltungsrat um eine Neuaufstellung des Schauspiels bemühen und den Posten des Schauspieldirektors ausschreiben.
Besetzung und Team
Lysistrata: Lucie Emons
Bernd (Chor): Jannek Petri, Leander Senghas, André Wagner
Regie: Nele Lindemann, Fabian Groß
Bühne: Dominique Wiesbauer
Kostüm: Svenja Gassen
Video: Julia Patey