Mogelpackung und Armutszeugnis zu Beginn
Halbzeit der Intendanz von Peter Spuhler: "Bergfest" würde man umgangssprachlich sagen, doch am Badischen Staatstheater wanderte man oft im finsteren Tal und weiß nie, ob weitere Tiefpunkte und Abstürze folgen. Das Armutszeugnis bekommt die Intendanz für die Oper, die in der bevorstehenden Spielzeit gerade noch 15 unterschiedliche Opern zeigen wird, vor 10 Jahren waren es noch 23. Das hat nichts mit Sparen zu tun, sondern mit Desinteresse. Die Mogelpackung präsentiert der neue Schauspielchef, der es nicht schafft, den Mindestwert von sechs Premieren im Kleinen Haus auf die Beine gestellt zu bekommen. Das liegt nicht an ihm, sondern sind anscheinend Spätfolgen unrühmlich schlechter Vorgängerzeiten (sein Vorgänger ist bereits daran gescheitert, er mußte Premieren während der Spielzeit absagen und konnte Abos nur mit Studio-Produktionen retten, die ins Kleine Haus umzogen). Es bleibt abzuwarten, ob für die Kommunikation mit den Abonnenten Aufrichtigkeit und Transparenz gewählt werden. Nun versteckt man etwas vom Volkstheater (immerhin eine eigene Sparte) in manchen Schauspiel-Abos (definitiv eine andere Sparte), senkt aber nicht den Preis. Man schummelt und setzt allem Anschein nach darauf, daß genug Besucher ahnungslos oder unaufmerksam genug sind, um sie hinters Licht führen zu können: für Schauspieler zahlen und Laien bekommen. Erneut weiß man nicht genau, was man von diesem Verhalten des Staatstheaters halten soll: will man sein Publikum für dumm verkaufen? Das wäre kein guter und nachhaltiger Stil, zumindest eine Erklärung für die Ursachen als Zeichen eines Mindestrespekts vor seinem Publikum sind angebracht, wer für Schauspiel im Abo bezahlt, sollte nicht mit Volkstheater abgespeist werden; ein Erlassen der Umtauschgebühr für Abonnenten als Zeichen der Redlichkeit sollte folgen.
In der Saison 2017/2018 soll es übrigens wieder mehr Schauspiel geben, die diesjährige Reduktion auf fünf statt der üblichen (mindestens) sechs Premieren soll laut Schauspielchef einmalig und zur Arbeitsentlastung der Mitarbeiter stattfinden, die anscheinend aufgerieben durch Kleinprojekte und Nebenbaustellen nicht mehr zum Schauspiel kommen - die Intendanz zeigt ein Desinteresse am eigenen Theaterbetrieb, der traurig macht. Der neue Schauspieldirektor Axel Preuß präsentiert also eine reduzierte erste Spielzeit, hat es aber doch geschafft, eine starke aktuelle Richtung vorzugeben: die Bedrohung der gesellschaftlichen Normalität durch Ausnahmezustände und Bedrohungen: Terror (von Ferdinand von Schirach), Ich rufe meine Brüder (von Jonas Hassen Khemiri), Möglicherweise gab es einen Zwischenfall (von Chris Thorpe) handeln davon, ebenso die zwei Bühnenadaptionen der Prosatexte Angriff auf die Freiheit (von Juli Zeh und Ilija Trojanow) und Schöne neue Welt (nach dem Roman von Aldous Huxley). Und auch Schillers Jungfrau von Orleans als Drama über eine religiöse Fanatikerin und Sophokles Antigone über die Tragik zwischen religiöser Pflicht und Herrscherwillkür gehen in diese Richtung. Preuß könnte in der Spielzeit eine spannende Zustandsvermessung gelingen, die für alle jene monoton werden könnte, die das zur Genüge aus dem Fernsehen kennen und sich mehr Phantasie und Gegenentwürfe statt platten Realitätsbezug vom Theater wünschen.
Todernst wird es im dokumentarischen Theater: um das aktuell eigentlich durchdiskutierte Thema Sterbehilfe geht es in Sterben helfen - daß man damit nicht zu spät kommt oder einseitig wird, gilt zu beweisen. Mit Humor tut man sich weiterhin schwer im Karlsruher Schauspiel, aber immerhin gibt es zumindest offiziell etwas zum Lachen: die Komödie Der Krüppel von Inishmaan (von Martin McDonagh) sowie eine Musical Fassung von George Taboris Goldberg-Variationen - und hier wird man sich auch dem Vergleich stellen müssen: Hermann Beil inszenierte 2007 die Goldberg-Variationen rasant und witzig mit Timo Tank und Stefan Viering in den Hauptrollen; man wird sehen, ob diese Meßlatte genommen werden kann.
Eine Herausforderung für Preuß wird darin bestehen, endlich wieder die Spielfreude und Spielintelligenz seiner Schauspieler anzuzapfen, diese auf die Bühne zu transportieren und dem Publikum zu vermitteln - etwas, was seinem Vorgänger in großem Maßstab mißlang. Immerhin hat sich viel geändert, alle Dramaturgen sind wieder mal ausgetauscht, neue Schauspieler im Haus, viele neue Regisseure engagiert. In gewisser Weise startet man erneut bei Null, schade daß man den Bruch mit den billig vertanen letzten Jahren nicht noch deutlicher macht. Jetzt kann man nur hoffen, daß das Karlsruher Schauspiel den Wechsel nutzen und den Wandel zeigen kann und nicht in den Sackgassen der letzten Jahre verharrt. Gutes Schauspiel macht Freude und begeistert - einige haben das in den letzten Jahren in Karlsruhe vergessen.
Im Ballett gibt es Neues: Choreographien aus Dänemark und Tschechien bereichern die kommende Spielzeit: etwas Klassisches mit La Sylphide, eine Uraufführung mit Rusalka - Birgit Keil verfolgt konsequent ihren Kurs.
Justin Brown hat in den letzten Spielzeiten für die Symphoniekonzerte immer stärker sein eigenes programmatisches Profil gefunden - und zu Recht damit viel Erfolg. Auch die kommende Spielzeit hat spannendes Neues (z.B. ein Concerto grosso vier Alphörner und Orchester), symphonisch Großes (Beethovens Pastorale, Mahlers 7.) und spektakuläre Solokonzerte (Liszts 2. und Rachmaninows 3. Klavierkonzert, Violinkonzerte von Dvořák und Prokofiew).
Die Oper ist aufgrund der programmatischen Ausdürrung das größte Sorgenkind. Man hat seine Strategie deutlich geändert: einen Preis für das originellste Programm strebt man nicht mehr an: Donizetti (Liebestrank), Wagner (Walküre und Siegfried), Mozart (La Clemenza di Tito), mit Semele hat man ein Oratorium Händels gewählt, dazu Cileas Adriana Lecouvreur und eine Uraufführung (Avner Dormans Wahnfried) - die Auswahl scheint sich wieder stärker nach den Sängern zu richten und vernachlässigt doch das Starpotential des Hauses, die Profilierungsmöglichkeiten mancher Sänger sind durch das karge Programm (nur noch 8 Wiederaufnahmen, zuvor waren ca. doppelt so viele üblich) stark reduziert, bei manchen hat man das Gefühl, sie sind auf ein Abstellgleis geraten. Die Herausforderung in den künftigen Spielzeiten wird sein, wieder mehr Programm und Vielfalt zu schaffen und das Potential des Ensembles zu nutzen. Hier wie im Schauspiel gilt: Das größte Hindernis für Vielfalt und Abwechslung ist die
Intendanz.
Fazit: Viele gute Ansätze, das Ringen um Rückkehr zum qualitativen Normalzustand ist positiv bemerkbar und doch auch in diesem Jahr hat das Konzept von Intendant Spuhler defizitäre Folgen. Für Oper und Schauspiel gilt: Karlsruhe kann viel mehr - wenn es denn
dürfte. Eine Intendanz, die die Leistungsfähigkeit des Theaters nicht ausreizt, sondern einschränkt und freiwillig auf Oper und Schauspiel verzichtet, darf massiv in Frage gestellt werden. Wer glauben wollte, daß man in Karlsruhe schon vor Jahren Einsparungen am Etat des Badischen Staatstheater geplant hat, der könnte meinen, daß Intendant Spuhler zum Reduzieren und Abbauen engagiert wurde.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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2017 Salzburg AIDI:Franceso Meli muss mii Herrn Netrebko als Radames alterieren!!!!!!!!
AntwortenLöschenhttp://kurier.at/kultur/opernstar-anna-netrebko-im-interview-lieber-powerfrauen-als-weibchen/218.972.789
Danke!
Löschen"Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht, weil er nicht weiß, wo er steht!"
AntwortenLöschenDieses Zitat trifft leider und wieder einmal auch auf das Badische Staatstheater zu. Der Tod des um Karlsruhe verdient gemachten Günter von Kannen blieb bei der Intendanz bisher unbemerkt, dabei haben mehrere Medien bereits vor einem Monat vermeldet, die Bayreuther Festspiele schon seit längerem den Nachruf online gestellt. Das Badische Staatstheater postet bei Facebook und auf der Homepage lieber Infos zu Gastspielen in Bangkok, Nominierungen, TV-Tipps und Volkstheater. Sind ja auch wichtiger.....
(F.Kaspar)
Guten Tag Herr Kaspar,
Löschender Todeszeitpunkt zum Abschluß der Saison wird auch eine Rolle gespielt haben. Es ist wohl urlaubsbedingt niemand im Haus, der eine Würdigung verfassen könnte. Ich vermute allerdings, daß man zu Saison-Beginn nachträglich reagiert und wieder ein Foto in der Eingangshalle aufstellt. So reagierte man auch bereits in der Vergangenheit und hoffentlich auch diesmal wieder.
Weltweite Vetterleswirtschaft in der Oper:
AntwortenLöschenhttp://www.merkur.de/kultur/stars-saettigungsbeilage-6725407.html
Gruß Klaus
Vielen Dank für den Hinweis
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