Die Schauspiel-Saison startete gestern mit guten Leistungen und einer ordentlichen Inszenierung in die neue Spielzeit. Terror, das Theaterstück von Ferdinand von Schirach, ist spannend! Terror ist aber auch überbewertet, es steht heftig in der Kritik, ein Bundesrichter bezeichnete es als "unzutreffend" und "unterkomplex". Terror ist für die einen lediglich eine gut gemachte, kommerziell auf Aufmerksamkeit zielende Show, andere sehen darin Kritik am Grundgesetz bzw. dessen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, die beide für Handlungsunfähigkeit durch hehre Grundsätze und Prinzipienreiterei zu plädieren scheinen statt Menschenleben zu retten und den Bürgern zu dienen.
Worum geht es?
Liegt hier eine Straftat vor? Die Konstellation erscheint unzeitgemäß: ein tragischer Held, der sogar ein militärischer Held ist und ein moralisches Dilemma zu lösen hat: Die Hauptfigur entschied sich viele (nämlich 164)
zu töten, um bedeutend mehr (ca 70.000) zu retten. Ein von einem Terroristen
gekapertes Passagierflugzeug sollte über einem vollen Münchener Fußballstadion zum Absturz gebracht werden, ein Bundeswehrpilot verhinderte die angedrohte Tat und schießt das Flugzeug in letzter Minute eigenmächtig ohne Befehl ab (all zu viel Logik sollte man übrigens nicht erwarten). Das Theaterstück arbeitet das Geschehen als Gerichtsdrama auf, einzige Szene ist ein Gerichtssaal. Die Zuschauer sind die Schöffen, die nach der Verhandlung und den beiden Schlußplädoyers urteilen dürfen.
Schuldig oder nicht schuldig? Zu spät!?!
Angeblich mindestens 39 bundesdeutsche Bühnen (und einige im Ausland) haben das Gerichtsdrama Terror
bereits in über 350 Aufführungen gezeigt. Bestseller-Autor Ferdinand
von Schirach hat die Rechte inzwischen auch ans Fernsehen verkauft - am
17. Oktober 2016 bringt die ARD (zeitgleich mit ORF und SRG) Terror als
interaktives Fernseh-Experiment, nach dessen Ausstrahlung die Zuschauer
multimedial ein Urteil fällen. Verfilmt hat man das Stück mit großen
Schauspielernamen: z.B. Martina Gedeck, Lars Eidinger, Burghart Klaußner
und Florian David Fitz. Das Badische Staatstheater kommt mit der
gestrigen Premiere also fast(?) zu spät, nicht nur wegen des
Fernsehtermins, sondern auch aufgrund der inzwischen fundierten Kritik am
Theaterstück. Als Ersatzstück für den sang- und klanglos abgesagten Wilhelm Tell (mehr hier und hier) wäre es noch rechtzeitig gewesen, nun teilt man es sich mit den Fernsehzuschauern.
Was ist zu beachten (1)?
War es richtig, Osama bin Laden
zu töten? War es richtig, daß Attentäter versuchten, Hitler zu
töten? Darf man einen Kindesentführer foltern, um sein Opfer zu finden und zu retten oder ist die Würde des Entführers gleichwertig zu der eines verdurstenden oder erstickenden Kindes in einem Erdloch? Heiligt der Zweck die Mittel und nur die Konsequenzen sind
relevant? Wer kein Konsequenzialist ist, wird sich in der
deontologischen Ethik wiederfinden, die überwiegend nur die Tat
beurteilt, unabhängig von ihren Folgen - gut ist gut und schlecht ist
schlecht und nie darf man jemandem etwas Unrechtes antun, nicht ein mal
einem Massenmörder. Das ist die oberflächliche Konfliktlage, um die sich
Terror dreht, aufgehängt an den ersten Satz des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.", der einigen als Grundsatz in vielen Situationen keine Orientierung bietet und nicht haltbar erscheint.
Liegt bei Terror eine Straftat vor?
Ja, der Pilot ist aus juristischer Sicht schuldig! Ein "Freispruch ist eine Abstimmung, die sich gegen das Grundgesetz wendet." sagt der FDP-Politiker Gerhart Baum. Die rot-grüne Regierung wollte 2005 im Luftsicherheitsgesetz den in Terror gezeigten Fall des militärischen Abschusses legitimieren, das Bundesverfassungsgericht kippte nach Protest zweier FDP-Politiker die Regelung. Die Bundesrepublik ist offiziell handlungsunfähig und müßte zuschauen, wie das Flugzeug als Waffe eingesetzt wird. Leider bleibt das Programmheft etwas zu oberflächlich - wie das restliche Europa in diesem Fall agieren würde, wird nicht analysiert, im Stück wird das in weiten Teilen der Welt verbreitete angelsächsische Rechtswesen genannt, das die Entscheidung für das kleinere Übel favorisiert. Ist das Grundgesetz (immerhin nie vom Staatsbürger legitimiert und die Chance auf eine Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung hat man bei der Wiedervereinigung verpasst) anderen Verfassungen unterlegen?
Das Publikum von Terror widerspricht dem Bundesverfassungsgericht
Alle Abstimmungen werden vom Verlag registriert (und zwar hier), in bisher 93% der Verhandlungen entschied sich das Publikum für Freispruch. Der gesunde Menschenverstand scheint mit der Rechtsauslegung der Juristen nicht übereinzustimmen. Handlungsunfähigkeit des Staates und Doktrinen der Alternativlosigkeit und des passiven Erduldens entsprechen nicht dem Bild, das der Bürger von seinem Gemeinwesen haben will. Es gilt laut den bisherigen Theatergängern nicht, hilflos abzuwarten, sondern aktiv das größere Unglück zu verhindern. Ist ein Staat, der seine Bürger nicht mehr schützen kann (oder will - manche Delikte haben kaum noch nennenswerte Konsequenzen und werden gar nicht erst verfolgt), auf dem Weg zum Failed State? Wer will sich beschweren, daß Pfefferspray nun schon im Drogeriemarkt verkauft wird, nicht wenige Bundesbürger sich bewaffnen und sich starke Entscheidungen wünschen. Wie soll sich der liberale Freiheitsgedanke zum Sicherheitsgedanken verhalten?
Was taugt also dieses Theaterstück?
Terror handelt nicht wirklich von Terror, es tut nur so. Was auf den ersten Blick wie die Transformation eines Theaterstück in ein gesellschaftliches Diskussionsmedium aussieht, ist vielmehr Genre-Show, ein auf Spannung setzender Entscheidungsprozeß, bei dem an das Vorbild US-amerikanischer Geschworenengerichte angeknüpft wird. Das moralische Dilemma des Piloten ist in kleinerem Maßstab juristisch vielfach bekannt, bspw. beim "Weichenstellerfall" (oder auch "Trolley-Problem") muß sich der Akteur entscheiden, welches Unglück passieren wird. Prof. Dr. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, urteilte aus juristischer Sicht denn auch harsch über Terror: "Was da "verhandelt" wird ..., kommt als Schimäre
daher aus Volkshochschulkurs und Seminar für Ahnungslose und
Eingeweihte, und ist weder ein "Fall" noch überhaupt die "Wirklichkeit".
Gerichtsverhandlungen verlaufen so nicht. Schwurgerichtsvorsitzende
verhalten sich nicht so. Die "Witzigkeiten", die uns der Dichter aus dem
Füllhorn seiner forensischen Erfahrung präsentiert, sind Stereotype
ohne Kraft". Fischer beschrieb Terror als "unzutreffend" und "unterkomplex", der Autor "walzt jede Dichte aus zur
dünnen Pizza", "seine Figuren sind Sprechautomaten. Sie
entwickeln weder sich noch eine Geschichte noch eine Berührung. ... Die Rollen – stereotyp und leer".
Manch einer stellte Terror unter Populismusverdacht, andere halten es schlicht für eine intelligent vermarktete Verdienstmöglichkeit für Verlag und Autor. Kaum einer scheint Terror als maßgebliches Diskurswerk zu schätzen. Auch im zu einseitig zusammengestellten Programmheft wird durch einen Abdruck eines Interviews der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit den FDP-Politikern Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, die dem Stück sehr kritisch gegenüberstehen, dieser Einschätzung Genüge getan.
Was ist zu beachten (2)?
Terror ist also weder in Form noch Inhalt real, sondern vorgetäuscht, eine Konfliktlage wird erfunden, eine theoretische Versuchsanordnung durchgespielt ohne dabei ernsthaft voranzukommen, Tat und Folgen, Moral und Schuld - alles auf zugespitzter Basis, doch ohne Bezug zur Wirklichkeit. Es geht nicht um Grundrechte, es geht nicht um die Stellung des Bürgers im Staat, es geht nicht um das Urteilsmaß, es geht um .... fast nichts. Es ist wirklich nur Theater, das Relevanz vortäuscht. Manch einer wird darauf hereinfallen, aber auch bei Karl May glaubten einige, er habe seine Abenteuer wirklich erlebt, Orson Wells löste 1938 mit seinem Radio-Hörspiel über einen außerirdischen Angriff eine Massenpanik aus. Ferdinand von Schirach gaukelt den Theaterbesuchern vor (und es ist zu befürchten auch manchen Theatermachern, sonst wäre der Hype vielleicht nicht so stark ausgefallen) das Theaterstück habe irgendwelche Relevanz oder Bedeutung. Die hat es nicht. Terror ist überwiegend interaktives Theatervergnügen.
Was ist zu sehen?
Regisseur Martin Schulze stand lediglich vor der Herausforderung, ein spannendes Gerichtsdrama in Szene zu setzen. Das ist ihm ordentlich gelungen, einen besonderen Erinnerungswert kann man der Inszenierung nicht zuschreiben, gute Einfälle sind Mangelware. Ein äußeres Geschehen ist allerdings nicht vorhanden, es gibt vom Autor keine überraschenden Wendungen, die Figuren sitzen oder stehen an Tischen, gelegentlich wendet sich jemand ans Publikum, übertriebene Emotionen oder Emotionalisierungen sind nicht angemessen, Anwältin, Verteidiger und Richter dürfen sich ein wenig anzicken, Zeugen und Angeklagter ringen ab und zu um ihre Fassung. Bei den Argumenten herrscht ein buntes Durcheinander - der Autor will das Thema von vielen Seiten beleuchten, die Qualität der Argumente ist oft nur knapp durchdacht, die Diskussion wirkt gelegentlich hölzern und unbeholfen verfaßt, doch die Schauspieler des Badischen Staatstheaters machen das Beste aus ihren Rollen und schaffen es , daß die Diskussionen weitgehendst spannend und das Interesse des Publikums erhalten bleiben. Das Ensemble ist so homogen, daß man niemanden hervorheben kann. Es scheint, also ob man bei der Verpflichtung neuer Schauspieler inzwischen auf dem richtigen Weg ist. Gunnar Schmidt ist souverän als Vorsitzender Richter. Beide, die Staatsanwältin von Sithembile Menck und der Verteidiger von Klaus Cofalka-Adami
sind ähnlich unsympathisch. Kampfpilot Lars Koch ist die tragische Figur, er liefert sich mit der
Staatsanwältin einen Schlagabtausch - Heisam Abbas ist neu im Ensemble, seine erste Rolle in Karlsruhe gestaltet er sorgfältig mit tiefer Sprechstimme und feinen Nuancen, seine Rolle gibt leider nur wenig her. Sebastian Reiß ist ein kompetenter Zeuge, nur Antonia Mohr,
die eine zur Witwe gewordene Gattin eines im Flugzeug gestorbenen
Passagiers spielt, hat eine etwas undankbare Aufgabe,
die Figur der Nebenklägerin und Zeugin soll Betroffenheit auslösen, erscheint aber
stereotyp und überflüssig. (Den Nebenverteidiger in Form eines der 70.000 überlebenden
Stadion-Insassen gibt es nicht).
Der Gerichtssaal ist karg mit Überraschungskonstruktion, ein leerer, schwarzer Raum mit vier Tischen für Richter, Zeugen,
Angeklagten bzw. Verteidiger sowie Staatsanwalt bzw. Kläger. "Im Namen
des Volkes" prangt plakativ in großen roten Buchstaben im Hintergrund an der Wand. Nicht nur die Zuschauer werden zum Bestandteil der Aufführung, auch die Schauspieler nehmen ihre Rollen aus dem Publikum heraus ein - die Täuschung soll möglichst perfekt sein, daß hier etwas Wichtiges aus der Mitte der Gesellschaft verhandelt wird.
Fazit: Terror lohnt wegen der Schauspieler, die einen oft spröden und nicht einfachen Text zum Leben erwecken. Als Zuschauer sollte man sich nicht weismachen lassen, daß sich hinter Terror ein wichtiges Thema versteckt. Es gibt genug wichtigere Debatten. Terror ist spannendes und am Schluß interaktives Theatervergnügen mit vorgetäuschter Tiefe.
P.S.: Wird sich das Abstimmungsverhalten der Theaterzuschauer verändern? In den ersten 12 Monaten waren die Urteile des Publikums wahrscheinlich authentisch: je nach Standpunkt entsprachen sie dem gesunden Menschenverstand, kamen aus dem Bauch heraus und folgen dem eigenen Gerechtigkeitsgefühl - Resultat: 93% Freisprüche. Mit zunehmender Bekanntheit und TV-Präsenz könnte sich das ändern, das Publikum wird vielleicht opportunistischer bzw. ideologischer werden und weniger sich selber vertrauen, sondern sich an dem orientieren, was sie für nach außen und ihrem Umfeld gemäß für korrekt, opportun und angemessen halten. Es scheint, als wäre es von Schirach unbeabsichtigt gelungen, eine publikumswirksame Kritik an Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht zu verfassen.
P.S.(2): Hier findet sich ein Nachtrag zu Terror nach einer weiteren Kritik vom Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Prof. Dr. Thomas Fischer.
Team und Besetzung:
Vorsitzender Richter: Gunnar Schmidt
Lars Koch, Angeklagter: Heisam Abbas
Biegler, Verteidiger: Klaus Cofalka-Adami
Nelson, Staatsanwältin: Sithembile Menck
Christian Lauterbach, Vorgesetzter Offizier: Sebastian Reiß
Franziska Meiser, Nebenklägerin: Antonia Mohr
Regie: Martin Schulze
Bühne & Kostüme: Pia Maria Mackert
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
@Laokoon: Vielen Dank!
AntwortenLöschenDas Schauspiel TERROR ist recht durchschaubar darauf angelegt, die Unvermeidbarkeit eines Schuldspruchs im juristischen Sinne (allerdings aufgrund einer unkompletten Rechtskonstruktion des BGV) nahezubringen. Der hohe Wert der Menschenwürde kontrastiert mit der pragmatischen Sicht, dass diese Menschenwürde für die entführten Passagiere noch höchstens fünf Minuten bestanden hätte. Diese kurzfristige „Missachtung “ (?) der Würde der Passagiere ermöglicht in dieser Fiktion das Überleben von 70.000 Besuchern der Allianzarena. Dazwischen liegen noch die kurzgreifenden Emotionen einer Witwe und das Gedankenspiel, ob Zeit für eine Räumung der Fußballarena gewesen wäre oder ob Passagiere ins Cockpit hätten eindringen und den (in diesem Denkmodell einzigen !) Terroristen hätten überwältigen können.
AntwortenLöschenHätte der Kampfpilot durch Selbstaufopferung die Unlösbarkeit des aus dem Karlsruher Richterspruch entstandenen Dilemmas überlisten können? Diese Frage wird ausgeklammert; auch wundere ich mich darüber, wieso die zeitlichen Möglichkeiten einer Evakuierung des Stadions in diesem „Gedankenspielprozess“ zur „Beweisaufnahme“ nicht durch Vorladung der hierfür verantwortlichen Person verifiziert wurden.
Das Publikum sitzt in der Falle: wenn es für schuldig stimmt, hat es das Drama im juristisch korrekten Sinn verstanden, wenn es für nicht schuldig stimmt, verstößt es gegen die Grundordnung und befürwortet, offenbar unbelehrbar durch die Werteprinzipien des Grundgesetzes, dass ein Mensch „gottgleich“ über Leben und Tod entschieden hat und dem kleineren Übel den Vorzug gab. Die Fragestellung der „Schöffen-Abstimmung“ am Ende ist einer der Schwachpunkte der Dramenkonstruktion. Eine Entscheidung „Bestrafung“ – „Nichtbestrafung“ hielte ich für günstiger, wenn man schon juristisch-moralische Fragestellungen zum Plebiszit ausruft, zumal die Schuld keinen Moment lang bestritten wird.
Vielen Dank für Ihre Analyse! Umso länger man über Terror nachdenkt, umso mehr Ungereimtheiten tauchen auf. Und thematisch wird einiges kurz angeschnitten, was eigentlich nicht unkommentiert im Raume stehen bleiben sollte. Für die Beurteilung der Tat würden mich die Gesetzeslagen in anderen Ländern interessieren. Das Grundgesetz ist keine Bibel, es verkündet keine ewigen Wahrheiten und es ist anderen Verfassungen und Rechtstraditionen nicht überlegen.
LöschenSie haben Recht, Schuld oder Unschuld ist hier eine zu komplexe Frage, aber auch bei der Bestrafung gibt es wieder Diskussionen über die Strenge des Strafansatzes. Auch Bewährung oder lebenslänglich ist bspw. eine ähnlich diskutable Frage. In diesem Fall kann ich einen Schuldspruch verstehen, würde aber nur eine Mindeststrafe auf Bewährung vorschlagen, da die Beweggründe des Piloten tadellos und nicht niedrig waren.
@V.
AntwortenLöschenVielen Dank für die Infos und Hintergrundberichte!
Zu Ihrer Frage:
Es geht bei Terror nicht um den Piloten! Das ist schlicht falsch. Stellen Sie sich vor, es wäre passiert. Das Flugzeug wäre ins Stadion gestürzt und es gäbe Zehntausende Tote. Die Öffentlichkeit erfährt, daß der Anschlag hätte verhindert werden können, aber die Politik sah sich ans Grundgesetz gebunden. Um die Würde von 164 Passagieren durch einen Abschuß nicht zu verletzen, hat man 70164 Tote und Verletzte in Kauf genommen. Politik und Justiz würden meines Erachtens schlagartig an Vertrauen und Zustimmung verlieren. Wer den Nichtabschuß entschieden hätte, müßte sich meines Erachtens der tausendfachen Beihilfe zum Mord verantworten. Wenn das Grundgesetz verhindert, Menschenleben zu retten, kann damit etwas nicht stimmen. Zum Glück haben Politiker sofort nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts betont, daß sie sich nicht daran gebunden fühlen. Seit 10 Jahren hat man nun anscheinend keine Regelung dazu gefunden. Der Ernstfall wird hoffentlich nie eintreffen. Dieses Stück ist für mich das Aufzeigen eines Makels - das Grundgesetz in der aktuellen Auslegung hat eine Fehlkonstruktion.
Im Zweifelsfall für den Angeklagten. Also Freispruch für den Piloten, denn auf die Anklagebank gehören Politiker und Juristen, die diese Situation zugelassen haben.
Der Autor zündet ärgerliche Nebelkerzen mit dem Versuch, Zweifel zu streuen. Ob das Fußballstadion evakuiert wird ist sekundär. Der Terrorist kann das Stadion nur als Finte genannt haben, um durch die Evakuierung schnell Medienaufmerksamkeit zu bekommen, den Absturzort kann er kurzfristig ändern - Rathaus oder Frauenkirche oder einfach in die Innenstadt.
AntwortenLöschenAuch die Diskussion über den Versuch der Passagiere, ins Cockpit zu kommen, ist überflüssig. Beim Absturz der Germanwings über den französischen Alpen verriegelte der Kopilot die Kabine als der Pilot sie verlassen hatte, um seinen Selbstmord durchzuführen. Nicht einmal der ausgesperrte Pilot konnte eindringen.
Beides sind nur Scheinargumente der Staatsanwältin, die zur Beurteilung keinen Wert haben.
Es gibt also kein valides Argument, Tausende in den Tod zu schicken. Die Argumente für den Schuldspruch sind engstirnige Prinzipienreiterei.
Vielen Dank für die Klarstellung dieser Logik-Lücken im Stück.
Löschen"Engstirnige Prinzipienreiterei"? Das ist aber - vorsichtig ausgedrückt - sehr engstirnig gedacht.
LöschenLesen Sie einmal sorgfältig die aus der juristischen Erfahrung des Autors - mithin der Rechtsgeschichte - geprägten Argumente der Staatsanwältin in dem Stück sorgfältig. Und bedenken Sie zudem, dass das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere sein Artikel 1, im Jahre 1949 aus guten Gründen so unzweideutig und (in Ihren Augen möglicherweise) "prinzipienreiterisch" festgelegt wurde.
Noch wenige Jahre zuvor herrschten Terror, Willkür und Menschen-"Unwürde" (nicht nur, aber vor allem:) in unserem Land, und zwar in einem Ausmaß, das jedweden, auch den schlimmsten Terror(ismus) der letzten Jahre wie eine (Verzeihung) vergleichbare Lappalie erscheinen lässt. (Wenn jemand diesbezüglich übrigens anderer Ansicht ist, so empfehle ich demjenigen mal eine intensive Lektüre der Werke von Elie Wiesel, Imre Kertész und Hunderten weiterer Zeitzeugen...)
Ein Grundrecht wie die Menschenwürde ist schlechterdings nicht verhandelbar.
Vielen Dank für die Erwiderung auf obigen Kommentar. Da ich nicht weiß, ob eine Antwort von diesem Kommentator erfolgen wird, möchte ich noch auf einige Aspekte eingehen.
LöschenDen Gesetzentwurf zum Abschuß des Flugzeugs brachte Rot-Grün ein, CDU-Politiker erklärten nach der Rücknahme durch das Bundesverfassungsgericht, daß sie das Flugzeug trotzdem abschießen würden. Der Abschuß hatte also eine breite parlamentarische Mehrheit. In anderen Ländern, die eine längere, tiefere und verwurzeltere Demokratie haben als die Bundesrepublik, würde man ebenso verhindern, daß das Flugzeug zur Waffe wird. Auch bei ihnen ist die Menschenwürde nicht verhandelbar und gerade deshalb würden sie handeln und nicht passiv zusehen, wie noch viel mehr sterben müssen. Das Grundgesetz (bei dem es ja leider nie zur demokratisch legitimierten Verfassung gereicht hat) ist nicht besser als andere Verfassungen, die deutsche Rechtsprechung ist nicht unfehlbar und den Regelungen anderer Länder nicht überlegen. Es gilt, sich nicht hinter einer Auslegung des Grundgesetzes zu verschanzen. Wegzuschauen und nicht das größere Unglück zu verhindern –und das mit der Ausrede, das Grundgesetz schreibt es so vor– entspräche für mich der früheren Ausrede, nur auf Befehle gehört zu haben - es sind die Angst vor der Entscheidung und die Flucht aus der Verantwortung, die mehr Menschenleben kosten - der Ausdruck "Prinzipienreiterei" trifft es für mich ebenfalls.
Was wäre in der Realität? Die Bundespolitiker würden abwägen und sich entscheiden, und zwar meines Erachtens dafür, die Würde von 70.000 Menschen nicht anzutasten und dafür Opfer zu bringen.
Mir hat dieses Theaterstück noch eine andere Erkenntnis gebracht: Das Grundgesetz muß endlich demokratisch legitimiert werden. Meines Erachtens sollte dann alle 50 Jahre eine verfassungsüberprüfende Nationalversammlung einberufen werden, damit jeder Bundesbürger mindestens einmal im Leben über das Gemeinwesen abstimmen kann. Aber als Verfechter des Mottos „mehr (direkte) Demokratie wagen“ und „mehr Föderalismus wagen“ passe ich aktuell wohl nicht mehr zum konservativen Menschenbild der vorherrschenden Politik.