Sonntag, 18. September 2016

Theaterfest, 17.09.2016

Zu Beginn der Theaterferien verstarb mit Günter von Kannen ein Sänger, der wie kaum ein anderer beim Karlsruher Publikum über Jahrzehnte renommiert und beliebt war. Daß während der Ferien niemand in der Baumeisterstraße war, der einen Nachruf schreiben konnte, ist nachvollziehbar, daß sechs Wochen später das neue Theatermagazin noch keinen noch so kurzen Hinweis enthielt, kann man einer geringen Flexibilität zuschreiben. Daß nun beim Theaterfest kein Foto aufgestellt wurde, um an den Sänger zu erinnern (oder geschah das im leicht übersehbaren Verborgenen?), grenzt an eine bedauernswert armselige Ignoranz.

Der abendliche Spielzeitcocktail war gelungener als in den Jahren zuvor, nur das "Volkstheater" unterbot die schlimmsten Befürchtungen.
Schon letztes Jahr präsentierten sich die Sparten nicht mehr in Blöcken, sondern abwechselnd; Nun wurde nach 14 Jahren auch die Moderation neu vergeben: statt Heiner Kondschaks launiger, aber ahnungsfreier Präsentation, führte gestern Annette Postel ordentlich (und überwiegend ordentlich ablesend) und mit emotionaler Teilnahme durch den Abend.

Viel Engagement und Freude strahlte gestern die Oper aus. Der Liebestrank Donizettis wird in Dosen verabreicht und verkauft. Es gibt eine alkoholfreie und eine alkoholhaltige Variante. Edward Gauntt als Dulcamara stand in der Pause höchstpersönlich im Foyer und bot sie an. Ein netter Gag der Karlsruher Oper. Zusammen mit Ina Schlingensiepen und Eleazar Rodriguez bot Gauntt gut gelaunte Beispiele aus Donizettis beliebter Oper. Dilara Baştar als Sesto mit Daniel Bollinger an der Klarinette und Steven Moore am Klavier boten einen schönen Ausschnitt aus Mozarts La clemenza di Tito. Die Uraufführung von Wahnfried, einer Oper von Avner Dorman, könnte ein etwas sprödes Doku-Musiktheater werden. Ich persönliche setze auf etwas anderes: Tenor James Edgar Knight hat den Sommerurlaub in New York dazu genutzt, mit Star-Tenor Neil Shicoff die Rolle des Moritz aus Cileas Oper Adriana Lecouvreur zu üben und präsentierte sich in Frühform. Die Rolle liegt nicht jedem Tenor, Knight überzeugte gestern mit einer männlichen Interpretation (ein sehr gutes Vergleichsbeispiel liefert hier keiner der "berühmten" Tenöre -die oft zu weinerlich, zaudernd oder nichtssagend klingen-, sondern Giuseppe Giacomini - hier zum Anhören). Zum Abschluß ein Duett aus Bellinis Capuleti e i Montecchi, leidenschaftlich schön dargeboten von Uliana Alexyuk und Kristina Stanek. Die Opernausschnitte waren anregend und vielversprechend - nur schade, daß man vor einer programmatisch armseligen Spielzeit steht.

Im Ballett zeigte man erst zwei spannende Choreographien von Tänzern des Badischen Staatstheaters: Grauzone von Emiel Vandenberghe, der zusammen mit Su-Jung Lim, Larissa Mota und Roger Neves tanzte sowie Gefangen, das Bledi Bejleri zusammen mit Tiljaus Lukaj präsentiert. Als Abschluß war mit Sonate eine Choreographie von Uwe Scholz zu sehen, die er 1987 Birgit Keil und Vladimir Klos widmete. Gestern wurde der dritte Satz der Sonate von Rafaelle Queiroz und Admill Kuyler getanzt - beide sind auch im richtigen Leben ein Paar und eine tänzerische Harmonie war deutlich zu spüren. Queiroz scheint nach der Sommerpause noch im Trainingsrückstand zu sein, eine muskuläre Ermüdung war gegen Ende zu bemerken. Starken Applaus gab es für alle drei Szenen.

Im Schauspiel wurde der neue Spartenleiter Axel Preuß vorgestellt - er fand die richtigen Worte, nun kann man ihm die Daumen drücken, daß auf Worte Taten folgen und das Karlsruher Schauspiel wieder den Weg nach oben antritt. Stark waren die vorfreudefördernden Auftritte der neuen Schauspieler, von denen man gerne mehr gesehen hätte. Für den in Karlsruhe geborenen Heisam Abbas, der einen Monolog aus Sophokles Antigone sprach, ist es im doppelten Sinne eine Rückkehr, denn Abbas hospitierte vor 10 Jahren bereits als Regie-Assistent am Badischen Staatstheater, nun ist er hier Schauspieler. Mit Sithembile Menck hat man nun eine Schauspielerin mit afrikanischen Wurzeln im Ensemble. Hinter vorgehaltener Hand hört man ja ab und zu, daß es am Badischen Staatstheater ein Diskriminierungsproblem geben könnte und bei Postenbesetzungen nicht die Kompetenz, sondern gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung den Ausschlag geben soll. Wer nun befürchtete, daß Menck aus "politisch korrekten" Quotengründen engagiert wurde, der wurde schnell eines Besseren belehrt, ihr Monolog aus Schillers Jungfrau von Orleans war unmittelbar fesselnd. Weniger gelungen waren die musikalischen Beiträge aus dem Musical zu George Taboris Goldberg-Variationen. Dafür gibt es drei Gründe: keine der zu hörenden Singstimmen konnte überzeugen, musikalisch waren die Beiträge wenig subtil und einfach nur laut. Und wieso singt man in Englisch? Ein Marketing-Experte erklärte einst, daß, wer nichts zu sagen hat, dies vorteilhafterweise auf Englisch formulieren soll. Worthülsen bekommen in Fremdsprachen eine geheimnisvolle Bedeutung. Wer im Theater in Englisch singt, will in der Regel Bedeutung nur vortäuschen. Ob Taboris Goldberg-Variationen die Vermusicalisierung verdient hat, gilt zu beweisen.

Nun muß mal Klartext geschrieben werden. Was das Volkstheater gestern ablieferte war im Grenzbereich zwischen dilettantisch und dämlich. Man zeigte einen Ausschnitt eines Tanz-Theater-Projekts für Jugendliche aus der letzten Saison. Nun gibt es an deutschen Schulen intelligente und motivierte Lehrer, die Bühnenprojekte mit Engagement und Einfallsreichtum auf die Beine stellen. Wer mal in den USA eine Highschool-Aufführung besucht hat, wird vermutlich um die Professionalität der amerikanischen Verhältnisse wissen. Dort steht man auf dem Standpunkt, daß man Jugendliche auf der Bühne durch bestmögliche Rahmenbedingungen unterstützen muß, damit Fehler und Ausdrucksschwächen möglichst abgefedert werden. Was aber gestern im Badischen Staatstheater zu sehen war, kann man als kreatives Schwachmatentum bezeichnen. Selten hat man auf der Bühne des Großen Hauses vergleichbar Banales und Einfallsloses gesehen. Gelaber, Herumgerenne und Gehüpfe  - auf diese Performance kann man nur mit Mitleid für die Kinder und Spott für das in dieser Form definitiv überflüssige "Volkstheater" reagieren. Manche Kindergarten- und Grundschulen-Inszenierungen sind gekonnter, liebevoller und sorgfältiger gestaltet als dieser Unsinn ohne Bühnenwert. Was Frau Schmutz -so heißt die Leiterin der Sparte "Volkstheater"- auf der Bühne zuließ, war schmerzhaft peinlich. Der Abend endete mit einem sang- und klanglosen Absturz.

PS: Die Intendanz Spuhler und die Claqueure
Immer wieder wundert sich das Karlsruher Publikum über laut applaudierende und lautgebende Personen, die aus dem Haus sind oder in weiteren Sinne als Angehörige identifiziert werden. Gestern war die Loge des Intendanten lautstärkeführend. Liebes Badisches Staatstheater, das ist schlechter Stil. Es ist in Karlsruhe über Jahrzehnte üblich gewesen, daß sich Mitarbeiter und Freunde zurückhalten, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, man wolle das Publikum manipulieren. Diese Zurückhaltung wurde unter Intendant Spuhler leider aufgegeben, künstliche Stimmungsmache gehört zur Publikumsmanipulation in der Zwischenzeit dazu. Das mag angesichts der prekären Situation um den Intendanten legitim erscheinen, es ist aber kaum respektfördernd, wenn man sich quasi selber auf die Schulter klopft.

6 Kommentare:

  1. Ihrer Einschätzung stimme ich mit einem Widerspruch zu: Ich fand die Moderation von Frau Postel nicht sehr gelungen - da lobe ich mir die etwas lockerere Art der vergangenen Jahre; und wirklich ihren Emotionen Ausdruck verleihen konnte sie nach dem letzten Ballett auch nicht so, dass der Funke übersprang.
    Übrigens fand ich es auch ironisch, dass das Volkstheater am Ende auftrat aber für die Performance außer einem Fade-out kein Ende konzipert war :-)

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Wobei ich mit Ihnen auf einer Linie liege, denn auch ich fand Frau Postels Moderation nicht sehr gelungen, aber auch nicht mißlungen - ordentlich ist das Wort, das ich wählte. Für eine schnell geprobte Vorabveranstaltung war es ausreichend.

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  2. Ein riesengroßes Dankeschön für Ihren geschliffenen Bericht.
    Marcel Pravy wäre nicht besser gewesen.
    Nochmals DANKE
    Gute N8
    Gruß Klaus

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  3. Wer einen Blick auf den Kartenstand der Premieren oder der Operngalas wirft und sich vor Augen führt, dass der reguläre VVK gerade einmal angelaufen ist, stellt fest, dass geschätzt nicht einmal 50% der Plätze verkauft sind. Es scheint, dass das Vertrauen in die Qualität des Gezeigten gesunken ist, oder war die Abonnentenzahl immer schon so überschaubar ? Interessant ist auch, dass im Rahmen der neuen "Monatsaktion" Karten für 10 Euro rausgehauen werden. Ich wette schon jetzt, dass man somit Ende der Spielzeit eine höhere Auslastung haben wird. (F.Kaspar)

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  4. Ach, Her Kaspar, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Die Entwicklung der Zahlen der Abonnenten und der Abonnements ist meines Wissens nirgendwo offiziell erfaßt. Es scheint deutlich weniger Abonnenten zu geben, dafür haben einige Abonnenten mehr Abos gebucht und den Rückgang dadurch etwas abgebremst.
    Der Rückgang der Abonnenten liegt nicht nur an mangelndem Vertrauen und gesunkener Qualität, das Publikum scheint auch wählerischer geworden zu sein, man könnte auch sagen, es ist weniger aufgeschlossen und interessiert als früher. Dazu kommen auch andere Faktoren: am Karlsruher Abo-System ist vieles unflexibel, manche Abos kann man bspw. nicht tauschen. Daß Karten nicht zurückgenommen werden, kann ich verstehen, aber es sollte möglich sein, sie für andere Vorstellungen zu verwenden.
    Die Analyse ist also komplex. So wie ich Intendant Spuhler verstanden habe, muß deshalb mit Schrot geschossen werden: breiter zielen und oberflächlich treffen.

    Die neue Flatrate Aktion ist diskutabel. Verlierer ist jetzt, wer sich zum Listenpreis Karten besorgt. Ich wollte im Oktober in Bellini, jetzt überleg ich mir, nächste Woche für 10€ zu gehen. Für das Staatstheater bin ich dann ein finanzieller Verlust, aber es scheint darum zu gehen, daß überhaupt wieder mehr Leute den Weg zurückfinden oder sich in vermeintlich Unbekanntes wagen.
    Angeblich hat man ja hohe Zuschauerzahlen, wie es wirklich aussieht kann man erst analysieren, wenn man die finanzielle Lage kennt. Verkauft man mehr Karten als früher und wie viele davon ermäßigt (Schüler, Studenten, etc.?). Zahlen und Fakten sind m.W. intransparent.

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