Freitag, 15. Januar 2016

Puccini - La Bohème, 14.01.2016

Die marginalisierte und reduzierte Oper
oder
 
Was Intendant Spuhler der Karlsruher Oper angetan hat  
Kaum ein Jahr ist die Premiere her, nach der gestrigen Aufführung wurde diese Inszenierung von Puccinis La Bohème wieder abgesetzt - gut so und schade. Es fehlte nicht viel und doch war sie zu achtlos verschludert, um ein Publikumserfolg zu werden. Und irgendwie war das auch symptomatisch in den letzten Jahren: fast immer, wenn man sich mit erfolgreichen Vorgängerproduktionen maß, zog man den Kürzeren. (Das schwächelnde Schauspiel war davon noch weit stärker betroffen als die Oper. Es hapert halt deutlich an Qualität und Planung seit 2011).
Man hört, daß es auch 2016/2017 nur wieder die üblichen, alten Inszenierungen (also vielleicht Tosca, Hänsel und Gretel, Hochzeit des Figaro etc.) als Wiederaufnahme zu sehen geben soll, hingegen nichts aus der Zeit von 2011-2014. Was auch? Es gab zu wenig Wochentagtaugliches zur Wiederaufnahme oder es fehlen die Sänger dafür. Ensemble- und Programmzusammenstellung ist eine der großen Herausforderungen für den Operndirektor, um endlich wieder Seriosität und Praxisbezug unter Beweis zu stellen.
Ein ganz anderes Problem schmerzt immer deutlicher: Die Marginalisierung des Opernbetriebs durch Reduzierung. Das bedeutet:
  • vor 10 Jahren in der Saison 2005/2006 umfaßte der Spielplan 22 Opern, diese Saison gibt es nur noch 16. 
  • 2005/2006 gab es 9 Premieren und 13 Wiederaufnahmen, 2015/2016 gibt es 7 Premieren und 9 Wiederaufnahmen.  
  • Eine Opernsaison mit nun nur noch 16 anstatt 22 Opern vor 10 Jahren - 6 Opern fehlen zur früheren Vielfalt. Man könnte meinen, das Programm ist herabgewirtschaftet.
  • Übrigens: in Mannheim kann man 2015/2016 24 Opern erleben!
Harte Zeiten für die Karlsruher Opern-Fans und wer weiß, ob zukünftig nicht noch mehr Reduzierungen geplant sind. Bei den Theatertheoretikern der Karlsruher Intendanz muß man stets mit Freudlosem rechnen.
                                
Was Intendant Spuhler der Karlsruher Oper angetan hat, läßt sich am besten mit Vergleichen belegen. Vor 10 Jahren hat man einen ungleich vielfältigeren Spielplan auf die Beine stellen können. Ein Blick zurück:
         
Premieren
2005/2006                            2015/2016
1 Simon Boccanegra            Prophet   
2 Walküre                             My fair lady
3 Pariser Leben                    Macbeth
4 Idomeneo                          Arminio
5 Lotario                               Tristan und Isolde
6 Der kleine Prinz                Capuleti e Montecchi
7 Mazeppa                           Rheingold
8 Turandot                            -
9 Freischütz                          -
           
Wiederaufnahmen:
2005/2006                              2015/2016
 1 Der Liebestrank                  Falstaff
 2 Eugen Onegin                    Iphigenie auf Tauris 
 3 Der fliegende Holländer     La Bohème
 4 Tosca                                  Zauberflöte
 5 Hänsel und Gretel              Hänsel und Gretel
 6 Entführung a.d.Serail         Entführung a.d. Serail
 7 Madama Butterfly               Teseo
 8 Zauberflöte                         Parsifal
 9 Trittico                                Carmen
10 La Bohème                        -
11 Hoffmanns Erzählungen    -
12 Die Zauberflöte                  - 
13 Hochzeit des Figaro          -

In knapp 3 Monaten wird der Spielplan 2016/2017 veröffentlicht. Dann sollte man noch mal direkt vergleichen, wie sich die Karlsruher Oper unter Peter Spuhler verändert (und m.E. verschlechtert) hat. Und dann sollte auch endlich wieder verstärkt die Diskussion beginnen, ob man sich in Karlsruhe nicht frühzeitig nach einem Nachfolger umsehen soll, der nicht nur Theoretiker mit moralisch-politischem Sendungsbewußtsein ist, sondern vorrangig sein Handwerk praktisch mit künstlerischem Schwerpunkt versteht.

Die gestrige Dernière war wenig beachtenswert. Im Vergleich zur Premiere gab es eine komplett neue Besetzung, doch premierentauglich war nur eine: Uliana Alexyuk als Musetta kam als einzige an gegen das symphonisch aufspielende Orchester, geleitet von Christoph Gedschold mit sehr schönen Tempi und Betonungen und einer Auffälligkeit: noch nie habe ich die Harfe in der Bohème so prominent herausgehört wie gestern. Harfenistin Silke Wiesner trug durch ihr Spiel wesentlich zum meinem akustischen Glück bei. Und noch eine Besonderheit: noch nie mußte ich über Musettas vorgetäuschten Schmerzensschrei im 2. Akt so lachen wie gestern, Alexyuk überraschte mich mit einem wunderbar getroffenen Laut. Agnieszka Tomaszewska, die an Weihnachten als Mimi an der Stuttgarter Oper einsprang (mehr hier auf dem Blog Opernschnipsel) war mir zu unaufregend (das liegt aber auch an der Inszenierung). Jesus Garcia (den ich gestern zum ersten Mal hörte) hat eine schöne Stimme und eine noch bessere Bühnenpräsenz. Die Stimmkultiviertheit von Andrea Shin vermißte ich hingegen. Im 3. Akt waren die  beiden am besten. Alle anderen Sänger waren auf der Bühne, fielen aber nicht positiv auf.

Fazit: Die gestrige Bohème war ein Beispiel für vieles, was die letzten Jahre schief lief. Wenn das Team um Intendant Spuhler ernst genommen werden will, muß es meines Erachtens endlich den Sprung von der Theorie zur Praxis schaffen und den Opernbetrieb in den Mittelpunkt stellen: Sänger, Chor und Orchester sind das Zentrum des Badischen Staatstheaters - ihren Ruhm zu mehren, ist die Hauptaufgabe des Intendanten. Wer es nicht vermag, die Sparte reduziert oder marginalisiert, wird nach meiner Meinung seiner Aufgabe nicht gerecht.

12 Kommentare:

  1. @Klaus: Vielen Dank für die Unterstützung

    AntwortenLöschen
  2. Lieber Honigsammler -
    diese Aufzählung ist ein tolles Beispiel für die "shifting baselines", also das Phänomen, bei dem sich unmerklich eine Grenze verschiebt und wir das, was uns gestern als unnormal und außergewöhnlich galt, heute als normal – und umgekehrt beurteilen. Die langsame Erosion der Bespielung wird einem hier deutlich und schmerzhaft vor Augen geführt. Bei Ihrer Gegenüberstellung der beiden Spielzeiten musste ich erst mal schlucken.
    Diese Spielzeit war ich bisher dreimal in Karlsruhe - allerdings im selben Stück. In der zweiten Jahreshälfte wird dann - allein schon wegen der Händelfestspiele - das Badische Staatstheater häufiger besucht werden, aber zu meinen Anfangstagen hier in Karlsruhe (ab 2007) bin ich deutlich häufiger ins Theater (bzw. die Oper) gegangen. Damals war es eine ausgewogene Mischung aus Repertoire und Neuproduktionen, heute eigentlich nur noch letztere.
    Woran liegt das ? Oder andersrum gefragt - wie gelingt es zum Beispiel Mannheim, ein immer noch unendlich großes Repertoire aufrecht zu erhalten ? Haben die dort einfach ein größeres Ensemble ? (Haben sie, das weiß ich, aber wie gelingt denen das ?) Oder mehr finanzielle Mittel, was ich für unwahrscheinlich halte ?
    Was ist denn mit den ganzen Spuhler-Produktionen passiert - konnte man da nicht ein paar lagern ? Der "Maskenball" war doch solides Handwerk und immer gut besucht. Wäre es denn ein Ding der Unmöglichkeit, den "Tannhäuser" wiederaufzunehmen ?
    Aber vielleicht ist das ganze Geld ja in andere Bereiche geflossen - Posten wurden ja immer wieder neu geschaffen...
    F.Kaspar

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Guten Abend Herr Kaspar,
      vielen Dank für Ihren Kommentar. Mit 'shifting baselines' hab ich was dazu gelernt. Mit dem Begriff kann man Epochengeschichte schreiben.

      Am Geld liegt es nicht. Man könnte, wenn der Intendant wollte. Aber wie ich gehört habe, wird es auch 2016/17 nicht anders, vielleicht erfolgt sogar noch eine Reduzierung. Man hat keine vernünftige Programm- und Ensemblepolitik - was man auch bringen will, man braucht zu oft Gäste. Wenn man Traviata, den öden Rigoletto oder Maskenball bringen wollte, braucht man einen Tenor wie Andrea Shin - den hat man aber nicht (mehr). Andere Sänger wiederum haben nichts zu singen. Da lob ich mir den früheren Operndirektor Brux: der hat große Stimmen ans Haus geholt und die Opern gespielt, die zu ihnen passten. Jetzt muß das gesungen werden, was man theoretisch konzipiert. Spuhler und Linders fehlt etwas Essentielles zu ihrem Job: die praktische Sichtweise, die den Künstler in den Mittelpunkt stellt.
      Heute steht der Programmatiker im Mittelpunkt. Im Schauspiel kämpft man ebenfalls mit dem Defizit der Fehlbesetzungen von Rollen, für die man die Qualität verloren und nicht mehr im Haus hat.

      Es scheint mir, daß man kein Interesse an einem vielfältigen und abwechslungsreichen Spielplan hat. Die Oper ist für Spuhler anscheinend ein Auslaufmodell.

      Löschen
  3. Was ich nicht verstehe, wieso schauen alle dabei zu, wie Spuhler und Linders das Staatstheater zerschlagen und reduzieren? Eine Zuschauergruppierung wie die Gesellschaft der Freunde des Badischen Staatstheaters scheinen es gut zu finden. Nächstes Jahr freue sie sich über nur noch 15 Opern. Manche Sänger werden bezahlt, haben aber kaum was zu singen. Das ist doch nur die Vorstufe zu einem weiteren Einsparungs- und Reduzierungsvorhaben.
    Später werden wieder alle sagen, sie wussten von nichts. Das Elend muss erst über sie kommen, bevor sie murren, nur dann ist es zu spät. Es gilt aktiv Widerstand gegen Spuhler zu leisten, wenn das Staatstheater nicht den Provinzbach heruntergehen will. Tatsächlich gibt es aber zu viele Mitläufer, obige Gesellschaft hat Angst, ihre Privilegien zu verlieren und so halten sie alle lieber den Mund. Es wäre zum Heulen, wenn man nicht Asyl in der Mannheimer Oper finden würde. Dort nehmen sie die Karlsruher Flüchtlinge gerne auf (es sind noch nicht so viele, dass die Mannheimer darunter leiden müssten) und hoffen, sie zu Mannheimern zu machen. Wie viele kehren wohl in die Karlsruher Oper zurück, wenn die Vertreibung durch die hiesigen Opernbarbaren ihr Ende gefunden hat?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank! Inzwischen fragen sich wahrscheinlich einige, wie Spuhler überhaupt so weit kommen konnte. Ein eklatanter Fall bei dem Rhetorik und Selbstdarstellung in krassem Widerspruch zu Kompetenz und Verhalten zu stehen scheinen. Zumindest bekomme ich hier nur Klagen über ihn zu hören, seine Repertoire- und Ensemblepolitik erscheint wohl nicht nur mir problematisch, um nicht zu sagen dilettantisch. Als Generalintendant ist er meines Erachtens eine krasse Fehlbesetzung - ich konnte und kann nicht umhin, es so zu empfinden. Daß die Kulturpolitiker ihren Fehler nicht offen zugeben, überrascht mich nicht, wobei mir zugetragen wurde, daß einige darum zu wissen scheinen.
      Ob andere "Mitläufer" entgegen besseren Wissens sind, darüber können wir nur spekulieren. Fünf Jahre muß man die Intendanz noch aussitzen, ein verlorenes und bitteres Jahrzehnt für das Badische Staatstheater. Aber auch ein Beispiel, wie man in so ein Desaster hineinschlittert und kaum weiß, was man hätte tun müssen, um es zu verhindern. Es scheint einfach, daß niemand damit gerechnet hat - eine Worst Case Szenario, auf das niemand vorbereitet war.
      Mögen die Kollateralschäden der aktuellen Intendanz auch groß sein, ich will mir meinen Optimismus nicht nehmen lassen, daß danach wieder gute Zeiten anbrechen und die Schäden behoben werden können. Ins Asyl nach Straßburg, Baden-Baden oder Mannheim will ich mich nicht dauerhaft vertreiben lassen.

      Löschen
    2. Wolfgang Kiefer21 Januar, 2016 18:26

      Hallo Honigsammler
      Mannheim ist den Karlsruher Opernmachern nicht erst seit Spuhler voraus. War es aber bei Thorwald ein Schritt, so sind es jetzt mindestens drei. Ich war gestern in der Jüdin - ebenfalls eine Grande Opera.
      Ein Vergleich mit dem Propheten drängt sich auf. Er fällt nicht zu Karlsruher Gunsten aus. Die Jüdin wurde co-produziert mit der Vlamske Opera Gent/Antwerpen. Wann hat es in Karlsruhe zuletzt eine Coproduktion oder Übernahme gegeben? Das ist arg lange her. Auf Nachfrage hörte ich, dass es soooo schwierig sei. Es gibt bessere Ausreden.
      Ich bin sicher, dass die Mannheimer Jüdin vom Publikum besser angenommen wird, als der Prophet in Karlsruhe, der gleichwohl zu den Karlsruhe Sternstunden zählt (nach Falstaff). Der Prophet gleitet mir zu oft in platten Realismus ab, was aber zu Meyerbeer und zur Grande Opera gar nicht passt. Konwitschny bleibt in bildgewaltiger Abstraktion, etwa so wie Macbeth werden wird. Mannheim hat die Protagonistenn aus dem Ensemble doppelt besetzt und gut besetzt. In Karlsruhe werden für die beiden Hauptrollen Gäste gebraucht.
      Kurz vor Weihnachten war ich in den "Bassariden", letzte Spielzeit in "Der ferne Klang", "Esame di Mezzanotte", Alceste und La Wally - alles Stücke, die dort vor gut gefülltem Haus gespielt werden und bei keinem davon traue ich dem gegenwärtigen Leitungsteam in Karlsruhe einen Erfolg zu. In der Jüdin spielt ein Team aus Sängern und Musikern mit so einem Engagement, dass der Funke einfach überspringt. Das fehlt in Karlsruhe. Ein Jammer.

      Löschen
    3. Vielen Dank Herr Kiefer. Über Fromental Halévys La Juive habe ich bisher nur sehr Gutes oder Begeisterung gehört. Man darf den Titel Opernhaus des Jahres nicht überbewerten, aber dennoch kommt man um den Eindruck nicht herum, daß dort auf Intendantenebene in einer höheren Liga gespielt wird (Das Mannheimer Orchester hat mich allerdings bisher sehr selten bis gar nicht begeistert).
      "Bildgewaltige Abstraktion"? Ich hoffe, Sie liegen richtig mit ihrer Macbeth-Prognose. Von der Bühnenprobe hat man mir eher kritisch berichtet, die Probenarbeit hat wohl viele Nerven gekostet - ich bin sehr gespannt, was die Premiere bringt.

      Löschen
  4. @Klaus: Vielen Dank, das war mir noch nicht bekannt. Vielleicht nutze ich es noch. Man könnte meinen, es gibt am Badischen Staatstheater ein Diskriminierungsproblem.

    AntwortenLöschen
  5. Seit Tagen ist bekannt, die Jugendoper im März entfällt und soll in der nächsten oder übernächsten Speilzeit nachgeholt werden.
    Das Publikum wurde noch nicht unterrichtet.

    Grzuß Klaus

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für den Hinweis. Über die Gründe hab ich noch nichts gehört - mangelnde Leistungsfähigkeit könnte es sein, das spräche Bände. Eine Rücknahme aufgrund einer nicht funktionierenden Inszenierung ist für mich entschuldbar. Nicht alles kann klappen und der Mut, eine Inszenierung lieber nicht zu zeigen, ist mir lieber als die Zumutung, sie dem Publikum wider besserer Überzeugung zu zeigen.

      Löschen
  6. Die Jugendoper "Knight Crew" fällt in dieser Spielzeit aus und wird evtl. auf nächste oder übernächste Spielzeit verschoben... noch eine Produktion weniger.

    Interessant auch, dass das Staatstheater es nicht schafft, die seit November kaputte Scheibe im Opern-Schaukasten zu ersetzen. Als Passant könnte man meinen, das Theater spiele nur "My fair Lady" und Händel. Aber in dem Schaukasten ist ohnehin nur Platz für drei Plakate, das Schauspiel bekommt dagegen eine ganze Fensterfront. Da erkennt man schnell, wo die Prioritäten liegen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für den Hinweis. Das schau ich mir morgen an.

      Löschen