Montag, 29. September 2014

Max E. Cencic - Rokoko, 28.09.2014

Max Emanuel Cencic ist nicht nur Sänger, sondern auch ein geschickter Geschäftsmann und Goldschürfer in den Musikarchiven des 18. Jahrhunderts. Als künstlerischer Leiter des österreichischen Musiklabels Parnassus ist er jährlich an ca. 7-10 CD-Veröffentlichungen mit Barock- und Rokoko-Musik (Opern und Recitals) beteiligt. Mehrere Musikwissenschaftler sind beauftragt, Archive zu sichten und Partituren zu rekonstruieren. Wie in der Pop-Industrie schon lange üblich, wird die CD durch Live-Auftritte vermarktet. Ganze Opern schickt Parnassus auf Tournee. Die bisher bekannteste Produktion (CD + DVD!) ist Artaserse von Leonardo Vinci, bei der fünf Countertenöre die Hauptrollen übernahmen, auch die weiblichen Figuren. Da kaum eine Oper einen Countertenor im Ensemble hat, geschweige denn derer fünf, kann man das Besondere bieten. Ob eine solche Opern- Produktion in den kommenden Jahren auch in Karlsruhe gastieren wird?
 
Letztes Jahr sang Franco Fagioli (auch bei Parnassus unter Vertrag) in Karlsruhe, gestern besuchte also Max E. Cencic das Badische Staatstheater und mußte leider erleben, daß er hier durch fehlende Auftritte bei den Händel Festspielen noch nicht die Reputation besitzt, die Fagioli sich ersungen hat. Nur knapp ein Viertel der Plätze war besetzt. Schade! Ob dies nun wirklich ein Bekanntheitsdefizit oder mangelnde Aufmerksamkeitsgenerierung oder ungünstige Platzierung zwischen den Symphoniekonzerten war, sollten sich die Verantwortlichen fragen. Auch wenn Cencic schon wiederholt im Fernsehen zu sehen und hören war - ein Selbstläufer ist diese Musik und die Stimmbesetzung Countertenor nicht.

Rokoko - das ist eine CD mit Arien aus Opern von Johann Adolph Hasse (etwas mehr zu Hasse auch hier), die bei DECCA erschienen ist (also nicht im eigenen Label). Cencic sagte zur musikalischen Herausforderung: "Man muß viel Virtuosität mitbringen, denn es ist nicht leichte Musik. Außer guten Koloraturen braucht man viel Linie und auch Expressivität." Dem wurde Cencic gestern voll und ganz gerecht. Cencic hat nicht den Stimmumfang und die Höhe Fagiolis oder dessen atemberaubende Koloraturvirtuosität. Er beeindruckt durch die Natürlichkeit seiner Stimmfarbe, die im Gegensatz zu vielen anderen Countertenören nichts Künstliches oder Gekünsteltes hat, also bspw. keine gequetschten oder piepsigen Töne, sondern ein stets schönes authentisches Timbre. Seine Arienauswahl deckte ein breites Spektrum an Affekten ab und zeigte seine ganze Vielfalt und Ausdrucksstärke durch langgezogene lyrische, dunkel gefärbte dramatische und erregt leidenschaftliche Arien.

Das kleine 21-köpfige Orchester Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou erzielte einen elastischen und fließenden Klang, konnte in den orchestralen Zwischenstücken starke eigene Akzente setzen und hinterließ einen sehr guten Eindruck.

Der barocke Funke sprang gestern aufs Publikum über! Herzlicher und langer Applaus begleitete Cencic und das Orchester.

Programm:

Artemisia: Sinfonia

Notte amica, oblio de mali
Arie des Misaele aus Il cantico de tre fanciulli

Solca il mar e nel periglio
Arie des Tigrane aus Tigrane

Siroe re di Persia: Sinfonia

Saper ti basti o cara
Arie des Orazio aus Il trionfo di Clelia

Siam navi all'onde algenti
Arie des Aminta aus L'Olimpiade

- PAUSE -

Mandolin Concerto in G-Dur, op.3 no.11

La sorte mia tiranna
Arie des Siroe aus Siroe re di Persia

De folgori di Giove
Aria des Orazio aus Il trionfo di Clelia

Concerto in F, Op.4, n.1

Dei di Roma, ah, perdonate
Arie des Orazio aus Il trionfo di Clelia

Vo disperato a morte
Arie des Sesto aus Tito Vespasiano

+ 2 Zugaben
Hasse - eine Arie aus Irene
Georg Christoph Wagenseil - eine Arie aus Euridice

4 Kommentare:

  1. Vielen Dank für Ihre geschilderten Eindrücke. Leider sehe ich die Sache weniger positiv als Sie, vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass mir das Recital von Fagioli von vor einer Woche noch zu sehr in den Ohren lag.
    Cencic singt meistens in seiner Komfortzone, also der Mittellage. Und da ist die Stimme nicht sonderlich groß. Selbst in der ersten reihe im Balkon gab es manche Phrasen wo man schon genau hinhören musste, ob das nun mit oder ohne Gesang war. Wenn die Stimme in die Höhe geht, dann macht sie auf und hat auch das nötige "Peng". Davon war allerdings erst bei der letzten Arie bzw. den beiden Zugaben (einmal Hasse, dann Wagenseil) zu hören und kam etwas zu spät um das Ruder rumzureissen. Gewiss kein verschenkter, aber eben auch kein grandioser Abend. Und ein ziemlicher teurer in jedem Fall....
    (Florian Kaspar)

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    1. Vielen Dank Herr Kasper für Ihre Ergänzung. Ich stimme Ihnen zu! Das Fagioli-Konzert im letzten Jahr war begeisternd und wurde vom Publikum enthusiastisch aufgenommen. Im Vergleich dazu war gestern alles zu sehr Mittellage. Ich hatte ebenfalls Bedenken bezüglich Cencics Durchsetzungskraft: bei einer Oper der Händel Festspiele wäre das Orchester doppelt so groß und er würde dahinter auf der Bühnen stehen. Bei den Zugaben war er erst da angekommen, wo Fagioli vor einem Jahr bereits begann.
      Die Cencic Karten gab es zu den Preisen des Fagioli-Konzerts vom Vorjahr (zzgl. des Inflationsausgleichs). Leider sind ja gerade die Händel Festspiele teuer geworden und die Kartenpreise überdurchschnittlich gestiegen. Dazu hat man noch den Saalplan auf Kosten der günstigen Plätze abgeändert. Letztes Jahr hat es aus naheliegenden Popularitätsgründen bei Fagioli funktioniert, gestern bei Cencic nicht.

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  2. Noch ein Nachtrag: Es hat auch keinen besonders guten Eindruck gemacht, dass Cencic sich phasenweise hinter dem Notenpult verbarrikadierte und der Kontakt zum Publikum - bei einem Sängerrecital sicher nicht unwichtig ! - zu kurz kam.

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    1. Wobei ich ehrlich entgegnen muß, daß mich das gar nicht gestört hat.

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