Sonntag, 15. September 2013

Theaterfest, 14.09.2013

In den allermeisten Fällen hat man ja beim Karlsruher Theaterfest Glück mit dem Wetter. Gestern regnete es teilweise in Strömen. Trotzdem (und deshalb) war es ziemlich voll und man konnte sich über die große Neugier und das Interesse des Publikums an der kommenden Spielzeit umso mehr freuen. Nachmittags konnte man auch Politprominenz erleben: Peter Spuhler verdeutlichte SPD-Finanzminister Nils Schmid und Oberbürgermeister Frank Mentrup die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses.


Der abendliche Spielzeitcocktail (so restlos ausverkauft, daß er zeitgleich im Kleinen Haus auf Leinwand gezeigt wurde) kam dieses Jahr ohne Ansprachen und Reden aus - 180 Minuten gut gelaunte Einführung.

Im Schauspiel steht dem Publikum ein spannendes Jahr bevor und man kann dem Ensemble nur von Herzen wünschen, daß es gelingt, die bisherigen Qualitätslücken zu schließen und in Karlsruhe wieder an frühere Erfolge anzuknüpfen.
Der musikalische Schwerpunkt des Abends brachte mehrere Beispiele aus der Rio Reiser Biographie zu Gehör. Kann sich noch jemand an den letzten Rio Reiser Abend vor ca. 7-8 Jahren erinnern? Der in kleiner Besetzung in der Insel stattfindende Wiederbelebungsversuch gelang damals nicht: Rio Reiser blieb die Mini-Ikone nostalgischer DDR-Verehrer und Alt-68er, die sich an die gute alte Zeit der Berliner Studentenprotest-, Drogen- und Hausbesetzer- Szene zurückerinnern wollten. Heiner Kondschaks Bühnenfassung wird zweifellos erfolgreicher sein und die Falten glätten. Man kann anscheinend eine für das Große Haus in akustischer Breitwand dimensionierte kommerzielle Beschallungsfassung für die Generation 50+ erleben. Ob allerdings eine problematische Figur wie Rio Reiser das Publikum ähnlich lockt wie Bob Dylan? Doch auch wenn man Rio Reiser als Person nicht besonders interessant findet oder seine Musik nicht vermißt, wenn sie nicht gespielt wird, so scheint der Abend auf jeden Fall wegen Jan Andreesen zu lohnen, der als Sänger und Hauptdarsteller einen sehr guten Eindruck hinterließ.
Die anderen Ausschnitte verblassten dagegen und brachten kaum Erkenntnisse und ein wenig schwächelte die Vorschau fürs Schauspiel an diesem Abend.  Nur das KSC Projekt machte neugierig, indem es den Fußballeralltag als teilweise absurde Wiederkehr des fast immer gleichen Trainingsbetriebs unter unterschiedlichen Trainern humoristisch deutete.

Die Balletteinstimmung wurde moderiert von Peter Spuhler. Birgit Keil, Vladimir Klos und auch Choreograph Youri Vámos schauten im Publikum zu. Dabei gab es einen Ausschnitt aus In den Winden im Nichts und eine Vorschau auf Dornröschen, die zeigte, daß in den zwei Monaten bis zur Premiere noch viel geprobt werden wird.
Der Höhepunkt des Abends lag dazwischen eingebettet. Wie schon im letzten Jahr (mehr hier) war es erneut eine Choreographie Reginaldo Oliveiras, die besonders die Aufmerksamkeit auf sich zog. Flavio Salamanka tanzte Across the Border zur Musik von Albertos Iglesias' El Alsalto del Hombre Tigre. Oliveira hat ein spannendes, unruhig-flirrendes und sehr körperliches Ballett geschaffen, das unmittelbar das Publikum in seinen Bann zog, den stärksten Applaus des Abends bekam und neugierig auf die Premiere des Ballettabends Mythos im März machte.

Deutlich mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit hatte man diesmal der Oper gegönnt. Heiner Kondschak moderierte zum ersten Mal auch diesen Teil des Abends und bewies nicht unbedingt irgendeine Form von Sachkenntnis, unterhielt aber das Publikum mit Gedichten und Witzen blendend. Doch auch musikalisch hatte man mehr als in den Jahren zuvor zu bieten. Tenor Andrea Shin und Barbara Dobrzanska sangen ein Duett aus Verdis Maskenball, das viel erhoffen lässt, Armin Kolarczyk wird eventuell auch den Skeptikern der Oper Dr. Atomic gezeigt haben, daß John Adams' Oper hörenswert ist. Renatus Meszar gab ein erstes Beispiel als Hans Sachs aus den Meistersingern und Christina Bock -in der letzten Spielzeit als Hannchen im Vetter aus Dingsda eine Entdeckung- wird die Hauprolle in Ravels Kurzoper Das Kind und die Zauberdinge singen. Zudem sangen Ina Schlingensiepen und die neue Sopranistin Emily Hindrichs. Mit Kostümen und für die jeweiligen Ausschnitte speziellem Bühnenbild waren die Darbietungen aufwändiger als in den Vorjahren.

Wie bereits erwähnt gab es dieses Jahr keine langen Reden oder Ansprachen, auch Peter Spuhler hielt sich bei der Ballettmoderation zurück und verwies nur auf die sehr gute Zuschauerzahl der letzten Spielzeit und daß man beabsichtige, diese Saison über 300.000 Besucher liegen zu wollen. Quantitativ ist man auf dem richtigen Weg, qualitativ ist noch Luft nach oben. Wo man vor einem Jahr noch den Bonus des Beginnens hatte (die Fachzeitschrift Die Deutsche Bühne kürte das Badische Staatstheater als vermeintlich drittbestes Haus der Republik), wurde man für die Leistungen der letzten Saison ignoriert und mit der Höchststrafe belegt: der Südwesten hat bundesweit die spannendste Theaterlandschaft, aber Karlsruhe spielt dabei keine Rolle, Heidelberg und Freiburg sind besser, Stuttgart sowieso, so das Urteil derer, die im Jahr zuvor noch die "Bronzemedaille" vergeben hatten (mehr dazu auch hier). Nicht nur die Zuschauerzahlen sollen in der kommenden Spielzeit stimmen, besonders auch die Qualität auf der Bühne (vor allem in der Problemsparte Schauspiel) wird in der dritten Spielzeit unter spezieller Beobachtung stehen.

Fazit: Ein schöner Start, dem das schlechte Wetter nichts anhaben konnte.

4 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,
    vielen Dank für die klaren Worte zu Rio Reiser. Für mich unverständlich, wie man diese Person verklären kann. Jemand der nach der Wende Parteimitglieder der SED-Nachfolgepartei PDS wurde, kann keine Augen im Kopf gehabt haben. Falls Sie über den Rio Reiser Abend schreiben, dann bitte achten Sie darauf, ob es nur eine seichte Unterhaltungsshow wird oder die Person Rio Reiser auch ein kritisch beleuchtetes Profil bekommt.
    Beste Grüße
    Thilo

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    1. Hallo Thilo, vielen Dank, aber ich habe noch genug vom letzten Rio Reiser Abend und werde die Vorstellung nicht besuchen. Weder zeitgeschichtlich noch musikalisch oder persönlich finde ich etwas wirklich Interessantes daran. Ob Reiser bei Kondschak "verklärt" wird, muß Ihnen in dem Fall die Tageszeitung verraten.

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  2. Eine Anmerkung zu Thilo. Was passiert denn heute mit dem Egomanen Richard Wagner, dem wüsten Antisemiten, wo man zudem beneiden ist, weil er nicht zu eigenen Bekanntenkreis gehört.Keiner stört sich an einem Arienabend, wo nur dem Werk des Meisters gehuldigt wird und frohgemut unter Auslassung des schwierigen Charakters moderiert wird, und so zur seichten Unterhaltungsshow verkommt, weil die Zusammenhänge des Werks zudem verloren gehen. Ich habe die Rock-Revue über Rio Reiser insgesamt sehr genossen. Und mit diesem Anspruch einer Revue habe ich auch die Karte gekauft und wurde nicht enttäuscht.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar!
      Person und Werk befinden sich fast immer in einem Spannungsfeld. Richard Wagner äußerte sich antisemitisch, aber seine Werke sind es nicht (sonst würden sie nicht von Dirigenten wie Daniel Barenboim aufgeführt). Peter Handke verteidigte die serbischen Politiker, die Kriegsmassaker zu verantworten haben, aber seine wichtigen Romane und Theaterstücke thematisieren das nicht. Rio Reiser bekannte sich nach dem Fall der Mauer zur SED Diktatur und wurde Parteimitglied der SED-Nachfolgeorganisation, aber seine Songs sind keine Stasi-Verherrlichung. In dem Moment, wo man sich mit dem Leben von Wagner, Handke oder Reiser seriös auseinandersetzen will, kann man diese Aspekte allerdings nicht ausblenden und so machen, als wäre nichts gewesen.

      Was ist seicht? Ein Arienabend ist übrigens deswegen keine seichte Unterhaltungsshow, da es für die Künstler eine jahrelange Ausbildung benötigt, um den musikalischen Ansprüchen der Komposition gerecht zu werden. Genausowenig ist ein x-beliebiges Konzert bspw. im Tollhaus seicht. Erst dann kann man von einer seichten Unterhaltungsshow sprechen, wenn Dilettanten am Werk sind und/oder wenn man unter seinen Möglichkeiten bleibt und sich nicht auf der Höhe der Herausforderung befindet.

      Ich habe weder Dylan noch gestern Rio Reiser gesehen und kann nicht beurteilen, was gezeigt wird. Wenn es gestern nur Rio Reiser Songs zu hören gab, kann der Abend aufgrund der beteiligten Künstler nicht seicht gewesen sein. Wenn es eine Art musikalische Biographie mit Handlungselementen war, die aber die Hauptfigur nicht von beiden Seiten beleuchtet, dann war man nicht auf der Höhe der Herausforderung. Ob es dem Anspruch einen Staatstheaters genügt, ist leicht zu beantworten. Nämlich dann, wenn der Abend mit einem vergleichbaren Ansatz auch jedem anderen Künstler gerecht werden würde. Wenn nicht, dann war es seichte Unterhaltung.

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