Endlich mal wieder etwas aus dem Belcanto-Repertoire! Und das war vielleicht
das Schönste an der gestrigen Premiere: der einhellige und herzliche
Jubel für Ina Schlingensiepen und Eleazar Rodriguez, die ihre anspruchsvollen Hauptrollen so schön und
sicher sangen. Es heißt, daß Felix Mendelssohn Die Regimentstochter bewunderte
und gerne selber komponiert hätte. Donizettis komisches Meisterwerk
bietet große Szenen und berühmte Arien für die Sänger, eingängige Musik
und viel Leichtigkeit und Witz - in Karlsruhe gelingt dies in hohem Maße in einer guten Inszenierung.
Worum geht es?
Die Oper spielt zu Zeiten Napoleons. Die französischen Revolutionstruppen kämpfen 1805 gegen Österreich und sind in Tirol. Die Handlung von Donizettis fröhlichster Oper ist harmlos und eingänglich. Kurz gesagt: das von Soldaten großgezogene Sopran-Findelkind Marie findet ihre Mutter (die Marquise von Berkenfield) wieder und darf am Ende den Tenor Tonio heiraten.
Marie, Tochter einer illegitimen Beziehung zwischen einem bürgerlichem Soldaten und einer adligen Mutter, die sie nie kennenlernte, wurde nach dem frühen Tod ihres Vaters von dessen Regimentskameraden und dem Sergeanten Sulpice großgezogen. Marie kennt nur das Soldatenleben und hat viele "Väter" im Regiment. In Tirol verliebt sie sich "in den Feind" - in den Tiroler Tonio. Um Marie heiraten zu können, tritt dieser in die französische Armee ein - er will so die Zustimmung von Maries "Väter" erhalten. Doch kaum ist dies geschehen, wendet sich das Blatt. Sulpice findet in Tirol durch Zufall Maries Tante, die sich später als deren Mutter erweist: die Marquise von Berkenfield nimmt die burschikose Marie mir auf ihr Landgut, um aus ihr eine Dame der besseren Gesellschaft zu machen und sie standesgemäß zu verheiraten. Eine schwierige und für das Publikum amüsante und unterhaltsame Aufgabe. Doch letztendlich gibt die Marquise nach: Marie kriegt Tonio.
Was ist zu sehen?
Regisseurin Aurelia Eggers stand vor einer einfachen Aufgabe: Die Regimentstochter muß Spaß machen. Diese Aufgabe hat sie gut gelöst, im ersten Akt gab es zwei mal Szenenapplaus für die Inszenierung. Das Bühnengeschehen ist abwechslungsreich mit überwiegend guten Einfällen.
Eggers bemüht sich vor allem um politische Korrektheit. Um die 200 Jahre alte Militärseligkeit dieser Oper zu entwaffnen und verniedlichen, setzt sie auf Satire und lässt bspw. die Soldaten im ersten Akt zum Lange-Unterhosen-Appell antreten, bei der Marie die Regimentsväter mit der passenden Alpen-Unterwäsche ausstattet. Die Bühne ist in einen Rahmen gefasst, das Bühnenbild ist pittoresk im Stil eines kolorierten Stichs. Der historische Kriegshintergrund wird zur allegorischen Auseinandersetzung zwischen den von Schauspielerinnen gespielten Ländern Frankreich und Österreich, die während der Ouvertüre in Streit geraten und sich mit Kanonen beschießen.
Auf Kostümebene sind die französischen Soldaten in typischen Uniformen der napoleonischen Zeit; Eleazar Rodriquez ist als Tonio anfänglich fesch in Trachtenbekleidung, Marie ist dagegen zu Beginn in einem aktuell zeitgemäßerem Outfit. Der Landadel hingegen besteht aus Gruftis und erinnert an Figuren aus alten amerikanischen Schwarz-weiß-Gruselfilmen. Bei ihrem Auftritt zeigt die Regisseurin buchstäblich uralten Adel. Nachdem sich kurz zuvor Donzetti im Trio Tous les trois réunis als musikalisches Vorbild für Jacques Offenbach zeigte, inszeniert Eggers im Schlußbild eine kurze Offenbachiade mit entsprechenden musikalischen Anleihen - dieser Abschnitt ist der diskutabelste dieser Regimentstochter, da sein Witz nur auf Klamauk beruht und den Schluß eher zu verzögern scheint, statt zum Ende nochmal Tempo zu gewinnen.
Was ist zu hören?
Donizettis 67 erhaltene Opern haben ein wechselvolles Bühnenleben. Vor allem die drei komischen Opern Der Liebestrank, Die Regimentstochter und Don Pasquale sowie die tragische Lucia di Lammermoor sind immer auf den Opernbühnen präsent gewessen. Andere werden mehr oder weniger regelmäßig wieder neu entdeckt oder vergessen. Donizettis für Paris in französisch komponierte komische Oper La fille du régiment ist eine der schönsten und witzigsten ihres Genres mit sehr
anspruchsvollen und schwierigen Rollen für die Sänger. Maries Abschiedsarien Il faut partir am Ende des 1. Akts und Par le rang et par l'opulence im 2. Akt sind große Arien, die auch in Donizettis tragischen Opern ihren Platz gefunden hätten und wurden gestern von Ina Schlingensiepen zum Dahinschmelzen schön gesungen. Sie bleibt ihrer Rolle als Marie nichts schuldig: anfänglich lebhaft burschikos und doch feinfühlend und entwaffnend beherrscht sie in jeder Hinsicht die Szenerie und wird von Eleazar Rodriguez ideal ergänzt. Besonders die
erste Arie des Tonio am Ende des 1. Akts gilt wegen der extrem hohen
Lage (neun hohe C!) als schwierige Paraderolle und wurde von dem jungen Mexikaner bravourös gesungen. Für den Tenor eine geglückte und glückliche Premiere. Das Ganze wird verfeinert durch Edward Gauntt als Sulpice, Sarah A. Hudarew als Marquise und einem sehr guten Chor. Es lohnt sich auch immer wieder, der Badischen Staatskapelle unter Johannes Willig zuzuhören und sich bewußt zu machen, was dort Schönes und Großes von Donizettis erklingt.
Fazit: Ein Triumph für Ina Schlingensiepen, viel Jubel für Eleazar Rodriguez, Edward Gauntt und Sarah A. Hudarew, die zusammen mit allen andern Sängern und dem Chor sowie dem Orchester die Garanten dafür sind, daß diese Regimentstochter immer wieder fröhlich und ausgelassen wirkt und ihr Publikum fast durchgängig sehr gut unterhält.
PS(1): Ina Schlingensiepens großes Rollendebut wurde noch veredelt: Intendant Peter Spuhler und sein Vorgänger Achim Thorwald kamen beim Schlußapplaus auf die Bühne und verliehen ihr den Titel Kammersängerin. Herzlichen Glückwunsch!
PS(2): Die Idee, Marie als Regimentswäscherin zu zeigen, wobei im Hintergrund
lange Unterhosen zum Trocknen aufgehängt sind, erinnert allerdings sehr
stark an die DVD Produktion des Royal Opera House 2007 mit Natalie
Dessay und Juan Diego Flórez ...
PS(3): Im Publikum waren neben Achim Thorwald bspw. auch Thomas Brux, Justin Brown, Katharine Tier und Stefan Viering
Team und Besetzung
Marie: Kammersängerin Ina Schlingensiepen
Tonio: Eleazar Rodriguez
Sulpice: Kammersänger Edward Gauntt
La Marquise de Berkenfield: Sarah Alexandra Hudarew
Hortensius: Lucas Harbour
La Duchesse de Crakentorp: Tiny Peters
Ein Offizier: Thomas Rebilas
Ein Bauer: Jan Heinrich Kuschel
Ein Notar: Martin Beddig
Dirigent: Johannes Willig
Regie: Aurelia Eggers
Bühne & Kostüme: Rainer Sellmaier
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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