Mittwoch, 7. November 2012

Zu den Ergebnissen der Publikumsumfrage

Der gute Stil der Intendanz des Badischen Staatstheaters zeigt sich beispielsweise daran, daß stärker als früher der Dialog mit den Zuschauern gesucht wird. Die Besucherstudie, die von Juni 2011 bis Juli 2012 in insgesamt drei Erhebungen mit knapp über 2500 Teilnehmern vom Institut für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde, ist nun veröffentlicht worden. Die komplette 91-seitige Studie als pdf-Datei befindet sich zur Zeit hier auf den Seiten den Badischen Staatstheaters.  

Vorbemerkung:
Man darf diese Studie nicht überbewerten. Sie sammelt Symptome, doch diagnostiziert sie keine Ursachen und gibt nur wenige Hinweise auf Beweggründe und Entstehung. Gerade in Deutschland neigt man dazu die Erfassung und Verwaltung von Problemen mit deren Lösung zu verwechseln. Mit dieser Studie werden die Probleme nur umkreist und man wäre schlecht beraten, aufgrund dieser Umkreisung zu glauben, daß man nur noch eines Breitbandantibiotikums bedarf, um die Erkrankung des Kultursystems in den Griff zu bekommen. Eine Lösung oder Therapie liefert diese Studie nicht, nur Ansätze zur weiteren Diagnose der vielfältigen Ursachen.

Hier nach einer ersten schnellen Durchsicht einige zentrale Aussagen der Studie mit Anmerkungen, bei denen die Zitate aus der Studie "kursiv und in Anführung" gekennzeichnet sind.

1) Besucherstruktur
: Es fehlen Junge, Gebildete, Akademiker, Wohlhabende, Migranten und Ausländer   
Irgendwie wussten wir es schon lange: "Aufgrund der Daten zur Besucherstruktur lässt sich das Publikum des Staatstheaters Karlsruhe vor dem Intendanzwechsel im Sommer 2011 als relativ alt, häufig bereits im Ruhestand, mit relativ durchschnittlichem Bildungsgrad und mit mittlerem Einkommen ausgestattet charakterisieren."
Klare Verhältnisse. Es hat sich also ein typisches Bestandspublikum herauskristallisiert. Interessant wäre zu wissen, warum gerade diese Gruppen den Großteil der Zuschauer stellen. Auch eine Abonnentenanalyse über die letzten Jahre wäre hilfreich.    
  
"Die Hälfte aller im Sommer 2011 befragten Besucher des Staatstheaters Karlsruhe war
über 60 Jahre alt."

Das bedeutet nicht, daß die Hälfte der Zuschauer über 60 Jahre ist, sondern nur, daß die Teilnehmer der Umfrage in dieser Altersgruppe sind. Gerade zu Beginn der Umfrage konnte man beobachten, daß jüngere Zuschauer wenig Interesse an der Umfrage hatten und vor allem die regelmäßigen Besucher ein Interesse daran hatten, sich erfassen zu lassen. Das ist auch der Grund, wieso der Eindruck entstand, im Verlauf der Spielzeit hätte sich das Publikum bereits verjüngt. In der ersten Umfragenaktion waren vor allem die langjährigen Stammbesucher aktiv.  

"Die Altergruppen zwischen 21 und 30 Jahren und zwischen 31 und 40 Jahren sind unterrepräsentiert."
Ein Ergebnis, das meines Wissens schon früher als typisch galt: Ausbildung, Studium, Beruf, Familie, Kinder und konkurrierende Freizeitangebote, die altersgemäßer erscheinen. Das Staatstheater konkurriert  mit Kino und TV, Clubs und Disco, Pop/Rock/etc-Konzerten und steht vor der Herausforderung ein jüngeres Image aufzubauen, um hier gleichberechtigte Wahlmöglichkeit zu werden. Dabei stellt sich die Frage, wie man künstlerischen Anspruch mit Unterhaltung verbindet, ohne als Boulevard-Theater zu enden.
Das Problem könnte auch ganz anders geartet sein: musische und kulturelle Kompetenzen sind lange als "Bildung" denunziert worden und erschienen gewissen Kreisen als "elitäres Feindbild", da dessen Genußwertschwelle zu mühsam zu erreichen ist und früher das Bildungsbürgertum anzog. Geht es gar nicht um Zielgruppen, sondern um Image-Pflege und Haltungen und Positionen, die "Hochkultur" wieder salonfähig machen?

Es fehlen in Karlsruhe akademisch ausgebildete Menschen im Publikum, um die man werben muß, denn: "Akademiker mit gehobenem Einkommen gehören zum Kernpublikum klassischer Hochkultur",    
aber
"gerade Akademiker wegen Arbeitsbelastung, nicht stabilisierter Gewohnheit oder fehlenden Anstößen im sozialen Umfeld ausbleiben."
Hier gibt es noch deutlich mehr Analysepotential, wieso gerade das akademische Umfeld in Karlsruhe so anders ist als in anderen Städten! Auf die Folgestudie bin ich gespannt.  

"Der hohe Anteil auch niedrigerer Einkommen war angesichts des Auftrags, Theater für alle Menschen der Region zu machen, ein erfreulicher Befund."  
Ein sehr schönes Ergebnis, daß ein sehr gutes Licht auf das Karlsruher Publikum wirft und zeigt, daß finanzielle Kürzungen im Kulturetat zur Refeudalisierung führen würden: Oper, Ballett und Theater wären dann nur noch für Besserverdienende.  

"Im Vergleich mit anderen Stadt- und Staatstheatern kommt es relativ selten aus dem Stadtgebiet selbst."
Das zeigt aber auch, daß das Badische Staatstheater in seiner Bedeutung und Förderung nicht mit einem Stadttheater verglichen werden kann. Karlsruhe-Land hat mehr Einwohner als Karlsruhe-Stadt, dazu kommen noch die angrenzenden Gebiete. Die Empfehlung sich mehr auf das Stadtgebiet zu konzentrieren, ist zu einseitig und meines Erachtens nicht richtig.

"Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit bzw. Deutsche mit migrantischem Hintergrund waren in der Besucherstruktur des Staatstheaters Karlsruhe im Sommer 2011 im Vergleich zu den Zahlen für die Bevölkerung in Karlsruhe bzw. Baden-Württemberg stark unterrepräsentiert."
Über 94% der Zuschauer, die an der Umfrage teilgenommen haben sind von Geburt deutsch. Allerdings muß man auch hier minimal relativieren. Zum Beispiel die vielen asiatischen Besucher, die man regelmäßig sieht, werden an der Studie gar nicht erst teilgenommen haben.
Für meine ausländischen Arbeitskollegen kommt Schauspiel gar nicht in Betracht - verständlicherweise gibt es da eine, wenn auch oft nur leichte, Sprach-Hürde. Theater und Oper ist für die meisten etwas von einem anderen Stern und wenn, dann kommt nur bei Frauen Ballett in Frage. Der Durchschnittsausländer unterscheidet sich nicht vom Durchschnittsdeutschen: beide sind entweder uninteressiert, unaufgeschlossen oder glauben nicht, daß sie die Einstiegshürde überspringen.
Übertitel in Fremdsprachen taugen dennoch nur für Touristen und evtl. asiatische Studenten, nicht für lange in Deutschland lebende Ausländer.


2) Erwartungen und Zufriedenheit 
Für Karlsruher kommt Kunst von Können: man ist "vorrangig an handwerklich qualitätsvoller Kunst interessiert. Dies wurde dadurch unterstrichen, dass im Bereich der konkreten Anregungen und Wünsche häufig der Wunsch nach technisch anspruchsvollem Gesang, Sprache und Musik sowie nach Werktreue geäußert wurde."
Daraus wird abgeleitet, daß "mehr inhaltlich interessierte und ästhetisch offene Menschen als Besucher des Staatstheaters gewonnen werden" sollten.
Eine unfreiwillig komische Analyse! - inhaltlich interessiert und ästhetisch offen - das Publikum sucht und wünscht sich jeder! Wo genau findet man diese Gruppe?

Aber nicht nur Qualität, sondern auch Unterhaltung ist gewünscht:
"Ein wichtiger Aspekt war, dass auch Unterhaltung, das Live-Erlebnis und gute
Atmosphäre von jeweils mehr als 40% der Befragten erwartet wurden – Motive, die auf
wenig herausfordernde Unterhaltung in angenehmem Umfeld ausgerichtet sind."

Ok, gute Unterhaltung ist aber nicht grundsätzlich primitiv bzw. "wenig herausfordernd". Allerdings suchen viele wenig herausfordernde Konsum-Unterhaltung, die sie für "gut" halten. Das musikalische Schauspiel/Musical hat den geringsten Akademikeranteil und den höchsten für niedrige Bildungsabschlüsse und gilt als ideal, um Theater-untypisches Publikum anzuziehen.

"Die niedrigen Zufriedenheitswerte mit künstlerischen Kernaspekten sollten trotz der noch befriedigenden Gesamtzufriedenheit als Indikator angesehen werden, dass auch bei dem bestehenden Publikum die Gefahr abnehmender Bindung an das Haus besteht."

Das Stammpublikum, daß zu über 50% die Teilnehmergruppe ausmacht darf nicht durch aufgeweichte Qualitätsansprüche vernachlässigt werden.   

Es gibt auch konkret Verbesserungsvorschläge zum Haus:
"Gerade ... angesichts der relativ häufig geäußerten Beschwerden über bauliche Aspekte (z.B. Aufzüge, Toiletten, Klimaanlage) genutzt werden, um gerade dem älteren Stammpublikum zu zeigen, dass man seine Bedürfnisse ernst nimmt und an Veränderungen arbeitet."

Keine Experimente!?! Schlechte Produktionen werden schneller bestraft als früher:
"Gerade angesichts des zu erwartenden flexibleren Freizeitverhaltens der gewünschten neuen Besuchergruppen sollte berücksichtigt werden, dass hier niedrige Zufriedenheitswerte schneller zum Besuch konkurrierender Angebote führen können als bei Besuchern, die seit langem, häufig durch Abonnements, an das Haus gebunden sind."

Zur Zufriedenheit mit den Kommunikationsmedien (Theaterheft etc.):
"Das Niveau bleibt ... bei allen Medien auf einem niedrigen Niveau.
"
Aber mangels Alternativen hat das wenig Auswirkungen: "der deutliche Rückgang in der Zufriedenheit mit den Kommunikationsmedien des Hauses ....geht nicht systematisch mit geringerer Nutzung einher."
Die Studie empfiehlt: "Da die Zufriedenheit mit den Medien das Hauses immer noch auf niedrigem Niveau ist, sollte dennoch weiterhin kontinuierlich daran gearbeitet werden, ... konkrete Anregungen aufzunehmen und zu evaluieren, ob sich die Zufriedenheit auf ein besseres Niveau entwickeln lässt."    

Es wird allgemein ein "Potenzial zur Steigerung der Bindung bestehenden Publikums" festgestellt.
Weiterhin hat "die Bedeutung von Mund-zu-Mund-Progaganda"  zugenommen und die "Kommunikation im sozialen Umfeld für die Planung von Freizeitaktivitäten" wird wichtig.
Man braucht also einen guten Ruf, um für Besucher attraktiv zu erscheinen.
"Online-Präsenz wird immer stärker zu einem zentralen Kontaktangebot für Informationen, Reservierung und Buchung."


3) Spartenspezifisches

Die Kernsparte des Badischen Staatsheaters ist die Oper: sie wird "fast vom gesamten Publikum des Hauses zumindest gelegentlich besucht". Oper hat aber auch die höchste Einstiegshürde: nur sehr wenige Erstbesucher debütieren hier. Das Publikum von Oper und Konzert erwartet künstlerische Qualität, nicht Spaß und Unterhaltung.
Ballett und Konzerte haben ein Nischenpublikum, das oft viele Vorstellungen dieser Sparte besucht, während andere sich dafür nur sehr selten Karten besorgen. Man mag es, oder man mag es nicht.
Das treuste Publikum
ist im Konzert und mit leichten Einbußen im Opernbereich: "31,7% sind mehr als einmal pro Monat im Staatstheater". Beim "Schauspielpublikum gab es eine Spitze bei 7-12 Besuchen pro Jahr (42,8%)". Ballett ist als Einstiegs- und Nischenbranche, die auch oft verschenkt wird, mit der geringsten Bandbreite: "33% der Besucher waren höchstens dreimal pro Jahr im Staatstheater".
Das Ballettpublikum ist sinnlich-hedonistisch und will unterhalten werden und hat die meisten jungen Besucher.
Das Publikum des Schauspiels äußerte häufiger als das Publikum der "anderen Sparten den Wunsch nach guter Unterhaltung, gepaart mit neuen Eindrücken und Impulsen, vor allem auch zu politischen Anliegen geäußert".
Ballett und Schauspiel eignen sich -wenig überraschend- am besten für Erstbesuche.


4) Wie gewinnt man Neubesucher und Nicht-mehr-Besucher? 
Erstmal nichts Neues: Es gilt erst noch Strategien und Aktivitäten für junge Menschen zur Erstgewinnung und stärkeren Bindung zu entwickeln. Beim Ballett funktioniert sinnlich-hedonistisches Programm - ist das die Erwartung an andere Sparten?

Wie aktiviert man Couch Potatoes? 
"
Häufig ist das Fernbleiben vom Staatstheater bei Nicht-Mehr-Besuchern nicht Folge einer grundsätzlichen Abkehr von Theaterbesuchen, sondern Folge des geringeren Zeitbudgets, das nach und nach in Gewohnheit mündet."     
Die oben genannten 30- und 40-jährigen und die Akademiker dürften darunter sein.      

Da "unter Akademikern Nicht-Mehr-Besucher (37,7%) und regelmäßige Besucher (36,4%) deutlich am häufigsten" waren, sollte vor allem dort die Wiederaktivierung im Vordergrund stehen.       

Es überrascht auch wenig: "die meisten Noch-Nie-Besucher haben auch insgesamt noch nie oder vor langer Zeit Aufführungen der darstellenden Künste oder klassischer Konzerte besucht."
Nach meiner Erfahrung im Kollegenumfeld (auch einige Akademiker) scheuen sie das Theater wie der Teufel das Weihwasser. Verlorene Liebesmüh und wahrscheinlich die Gruppe, die man auch nie wirklich aktivieren wird, denn sie werden abwägen "ob ein Theaterbesuch den eigenen Bedürfnissen entspricht." Aus jahrzehntelanger Erfahrung würde ich behaupten, daß das Ergebnis bereits feststeht.

"Bei Noch-Nie-, besonders aber bei Nicht-Mehr-Besuchern wird von der Lieblingsinstitution deutlich häufiger Unterhaltung, gute Atmosphäre und Entspannung erwartet als vom Staatstheater. Will man diese Menschen angesichts der vielen Kultur- und Freizeitangebote tatsächlich ansprechen und gewinnen, muss man sie zunächst mit Angeboten überraschen, die sie bei Ihren eigenen Aktivitäten abholen."

Das ist deutlich: es benötigt ein Paralleltheater, um diese Gruppe anzusprechen!

Der Preis der Eintrittskarten spielt übrigens nur eine geringe Rolle!

 
Die Studie gibt folgende Empfehlung:
"Strategien zur Gewinnung von neuem Publikum oder der Wiedergewinnung von altem Publikum sollten nicht auf der Annahme aufgebaut werden, dass sich Nicht-Mehr- oder Noch-Nie-Besucher vom Theater als solchem abgeschreckt fühlen. Vielmehr sollte die Hauptaufmerksamkeit darauf gerichtet werden, dass im sozialen Umfeld über das Staatstheater kommuniziert wird und seine Angebote als Option für Freizeitaktivitäten in Erwägung gezogen werden."

und
"Zukünftig sollte ein größerer Fokus darauf liegen, das Theater als „Newsroom“ zu verstehen, in dem Informationen und Medien in unterschiedlichen Formen aufbereitet werden. Diese Medien sollten als „Teaser“ gezielt auf verschiedenen Plattformen positioniert werden und möglichst so gestaltet sein, dass sie den Besuch auf der zentralen Online-Präsenz nach sich ziehen."

Es freut mich, daß dieser Blog, der für Angehörige, Freunde und Bekannte konzipiert ist, also bereits unwissentlich Bestandteil dieser Strategie ist und das Ergebnis antizipierte. Seit über 2 Jahrzehnten verschenke ich Karten und nehme Leute mit ins Badische Staatstheater: darunter Studenten, Akademiker, Arbeitskollegen, Deutsche, Migranten, Ausländer - genau die Zielgruppen, die benötigt werden. Aber das ist keine wirkliche Strategie: nur sehr wenige erachten Oper, Ballett und Theater als ihre kulturelle Lieblingsaktivität und werden deswegen zu regelmäßigen Besuchern. Die meisten gehen nur in der Gruppe und bei einem organisierten Besuch; nur sehr wenige kauften eigeninitiativ Eintrittskarten. Keiner hat ein Abonnement abgeschlossen.


Fazit: Viele Aspekte der Studie erscheinen zwar etwas hilflos und pauschal und benötigen noch Vertiefung und Reifung, aber ein wichtiger Anfang ist gemacht. Aber es ist auch nur ein Anfang - die Übersetzung dieser Erkenntnisse in Maßnahmen wird wahrscheinlich einige Diskussionen hervorbringen bis Richtungsentscheidungen fallen. Junge, Gebildete, Akademiker, Wohlhabende, Migranten und Ausländer sind keine homogene Gruppen.
Es geht darum den geringen Prozentsatz darin anzusprechen, dem Theatererlebnisse jeder Art etwas bedeuten. Die Frage stellt sich, wie man genau diese Menschen anspricht - nicht jeder ist kompatibel mit Theater, Ballett, Oper, Musical, Operette oder  Klassik, Jazz, Pop/Rock, Techno, Barock, .....

Und zum Abschluß noch ein großes ABER: Liebes Badisches Staatstheater, ein wenig mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung. Die Programmlinie des musikalischen Schauspiels ist nicht neu und nicht euer Verdienst, sondern das von Knut Weber, der Heiner Kondschak 2002 mit nach Karlsruhe brachte, das musikalische Schauspiel etablierte und zuletzt mit Woyzeck, Cabaret und Big Money große Erfolge hatte. Dylan, Brel und Alice führen das fort, was Weber eingeleitet hat und bereits Pavel Fieber setzte auf Musical und brachte Tom Waits.
Ebenso wirkt es ein wenig übertrieben, wenn von "neuen ästhetischen und inhaltlichen Positionen des Spielplans" gesprochen wird, die "attraktiv für einen Besuch" sind. Ihr bringt lediglich etwas anderes und versucht das frühere Niveau zu halten, eine Attraktivitätssteigerung des Spielplans und Programms konnte ich bisher nicht feststellen. Eher im Gegenteil: nach 15 Monaten der neuen Intendanz werde ich oft gefragt, wieso es so wenig Interessantes gibt. Und wie ihr selber analysiert: "Der häufigste Grund für einen Erstbesuch oder für häufigere Besuche im Staatstheater sind Empfehlungen und Vorbild von Freunden, Bekannten oder Verwandten." Mir fällt es immer noch schwer, etwas für diese Zielgruppe weiterzuempfehlen und ich war deutlich seltener mit diesen Personen im Staatstheater als früher.
Das Opernprogramm ist toll, aber ganz klar für Liebhaber und Kenner, über das Schauspiel habe ich schon hier ausführlich geschrieben, nur das Ballett taugt für Abende mit Freunden oder Kollegen (was hier schon analysiert wurde sowie im letzten Spielzeitfazit).
Ein sehr großes Lob verdient das Junge Staatstheater, das sich schnell als Sparte etabliert hat. Hier liegt bisher die große Leistung der neuen Leitung.

10 Kommentare:

  1. Hallo Honigsammler,
    die Studie zeigt, dass sich das Publikum ausdifferenziert hat. Es geht nicht darum Akademiker oder Migranten zu gewinnen, sondern spartenspezifisch nach Publikum zu suchen.
    Das Ballett ist aktuell die gesundeste Sparte – und die Leute wollen vor allem die großen Handlungsballette. Hier würde ich „kleine“ Ballett-Abos vorschlagen, die diese Besucher abholen, ein Ballett-Premierenabo, dass evtl. durch eine Oper mit Balletteinlage ergänzt wird und auch ein Konzert beinhaltet. Wer Nussknacker, Siegfried und Momo hört, sollte auch potentiell für ein Klassik-Konzert und eine populäre Oper zu gewinnen sein. Dazu muß man beachten, dass Ballett eine „Frauensparte“ ist, die weibliche Besucher überproportional anzieht.

    Die Sinfoniekonzerte stehen vor einem Problem. Noch sind sie sehr voll, aber in 15 Jahren sieht das ganz anders aus. Hier würde ich dringend Filmmusik-Konzerte vorschlagen. Ein „Symphonic Lord of the Rings“ zum Beispiel. Viele haben heute gar keine Berührungspunkte mehr mit Klassik und stehen der Musik hilflos oder verständnislos gegenüber. Das wird eine Herausforderung, der sich auch die Oper stellen muß. Früher hieß es, es benötigt eine gewisse Reife um klassische Musik genießen zu können. Die Gesellschaft favorisiert zur zeit Unreife und Jugendwahn: Eltern, die mit ihren Kinder befreundet sein wollen und mit ihnen die gleichen Fernsehshows sehen und Casting-Shows und Dieter Bohlen als sie Spitze der erreichbaren Kultur betrachten. Man kann nur hoffen, dass bald eine Generation heranwächst, die wieder erwachsen werden will und sich davon absetzen will.
    Im Schauspiel gab es eine sehr erfolgreiche Phase, die Sie bereits analysiert haben: Knut Weber löste eine Phase mit sehr vielen Zuschauerm aus. Das zeigt die gefahr dieser Taktik: kurzfristig hatte Weber den Kartenverkauf in die Höhe getrieben, danach senkte er sich langsam wieder auf Vor-Webersche Zeiten ab und hier stagniert Jan Linders weiter.

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    1. Vielen Dank für Ihre Analyse. Sie haben recht: es geht bei den ausbleibenden Zuschauern um eine Mentalitätsfrage und die Frage, wie man diese Verständnislosigkeit für „Hochkultur“ bekämpft und überbrückt. Kurzfristig kann man neue Zuschauer locken, die ein bis zweimal im Jahr ins Musical gehen. Aber es geht vielmehr darum, Zuschauer auch zu Abonnenten zu machen, für die Regelmäßigkeit zum Selbstverständnis wird.
      Spuhler hatte dann Erfolg, wenn die Abonnentenzahl wieder steigt oder zumindest die altersbedingte Abnahme kompensiert wird und wenn er Zuschauerzahlen über 300.000 erreicht. Und noch genauer: betrachtet man die Zuschauerzahl vor 20 Jahren, dann muß das Ziel sein 300.000 + die Zuschauer des Kinder-/Jugendtheaters

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  2. Die Leitung des Badischen Staatstheater sonnt sich doch bereits im Glanz Ihrer Auszeichnungen. Es geht ihnen nur um ihre weitere Karriere und sie werden sich nur um kurzfristige Publikumsgewinne bemühen. „Drittbestes Theater“ – ein Witz und eine weltfremde Entscheidung, die ebenso andere Städte verdient hätten und nichts, aber auch gar nichts aussagt. Vor allem weil sie schon im ersten Jahr der neuem Intendanz verliehen wurde. Heute gibt es noch eine weitere Auszeichnung, dass man sich ein „unverwechselbares Profil“ erarbeitet hat. Das sind alles Auszeichnungen, die man nach frühestens 2-3 Jahren verdient. Nach dem mittelmäßigen ersten Jahr erscheint der Wert mehr als fragwürdig.

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    1. Da kann ich Ihnen zustimmen: Diese merkwürdigen Auszeichnungen kommen zur falschen Zeit und zu früh. Ich kann sie nicht ernst nehmen. Als hätte man gerade mal jemanden gebraucht, der die Titel nehmen kann. Ich vermute, daß sie mehr durch gute persönliche Vernetzung zustande kommen und nicht durch profunde bundesweite Analyse. Aber klar, für Marketingzwecke nutzt man das gerne. Neubesucher zeigen sich davon vielleicht beeindruckt – die langjährigen Stammbesucher, die gewisse Programmpunkte in der letzten Spielzeit erleiden mussten, sehen sie im Kontext und wissen, daß man sie nicht hoch bewerten muß.

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    2. Noch eine Anmerkung. Von einer Verjüngung ist nichts zu merken und wenn sie bereits minimal stattgefunden hat war das Zufall und kein verdienst des neuen Intendanten. Die Stammbesucher wurden sensibilisiert und bemühen sich verstärkt um jüngere Zuschauer. Jetzt schon wieder die Programmauswahl dafür verantwortlich zu machen ist ist eine Falschdarstellung der man klar widersprechen muss!

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  3. Ich glaube alle sind sich darüber einig: 2011/2012 war ein absolut durchschnittliches Jahr. Es gab schon schlechtere und bessere Spielzeiten. Es ist Spuhler zu verdanken, daß die Diskussion angestoßen wurde und neue Zuschauer aktiv gesucht werden. Am Ende zählen nur die Zuschauer- und Abonnementzahlen: wenn Sie dauerhaft gehalten oder sogar gehoben werden, war er erfolgreich, sonst wurde viel heiße Luft produziert. Wobei ich hoffentlich hier nicht einem Irrglauben erliege, daß Qualität und Quantität vereinbar sind...
    Aber schön ist doch, daß es vielen am Herzen liegt ein attraktives Staatstheater zu haben. Und klar, wo viel verändert wird, wird auch viel genörgelt. Deshalb VIELEN DANK noch mal an alle Kommentatoren, denen es hier um die Sache und die Tatsachen geht!

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  4. Hallo Honigsammler
    Sie haben wieder einmal deutliche Worte gefunden – die deutlichsten zu finden unter ABER.
    Ich habe an dieser Umfrage nicht teilgenommen, weil mich der Fragebogen zu sehr an die die Hotelbeurteilungen erinnert hat, die die Buchungsplattformen nach jeder Buchung verschicken. Von diesem Formular war nicht mehr zu erwarten. Eine auf Interviews basierende Befragung wäre aber wohl ungleich teurer gewesen. Ich hege überhaupt große Zweifel, ob es sinnvoll ist, ein Besucherprofi- bzw. ein Nicht-Besucher zu erstellen um daraus Zielgruppen zu identifizieren. Einfacher und aufschlussreicher wäre die Analyse erfolgreicher und erfolgloser Stücke – nicht nur in Karlsruhe, sondern auch an anderen Theatern.
    Beim Schauspiel braucht man nicht lange zu suchen: Knut Weber hat sehr viel richtig gemacht. Vor Weber fällt mir nur Istvan Bödy. Das Musiktheater war nur wirklich erfolgreich unter Pavel Fieber und das Ballett unter Birgit Keil. Fieber hat in seiner kurzen Amtszeit auch das Randrepertoire des Musiktheaters gepflegt – vor allem mit den sehr bildhaften Inszenierungen von Schulte-Michels. Bödy war selbst ein hervorragender Regisseur. Seither ist die Regie in Karlsruhe auf einen der hinteren Plätze gerutscht. Gute Ausstatter haben diese Misere oft kaschiert.
    Sie haben an anderer Stelle (Rückblick auf die vergangene Schauspielsaison geschrieben „.. es geht nicht um das Was, es geht um das Wie“. Das WAS prägt mit dem Spielzeitmotto den Spielplan und lässt für das WIE nur belanglose Adjektive wie „spannend“ oder „aufregend“ übrig. Selbst das Konzertprogramm wird von dieser Dramaturgie dominiert. Wer legt denn Wert auf historische Programme und wer nimmt überhaupt das Spielzeitmotto zur Kenntnis. Ins Theater lässt sich damit niemand locken.
    Wie schafft es das Nationaltheater Mannheim mit „Auf den Marmorklippen“ drei Spielzeiten lang das Opernhaus zu füllen, wie die Oper Frankfurt den „Lear“ von A. Reimann, wie das Staatstheater Stuttgart mit „La Juive“? Gewiss, es waren musikalisch gute Darbietungen, aber sie waren vor allem hervorragend in Szene gesetzt. Die Alternative kennt Karlsruhe auch: „Samson und Dalila“ mit Jose Cura. Da kamen die Akademiker, die Besserverdienenden, die aus dem Landkreis und von sonst wo her. Das Haus war voll, Nicht-Abonnenten zahlten den doppelten Preis und das Staatstheater schaffte es in die Feuilletons. Cura hat gut gesungen, seine Inszenierung musste man eben dafür schlucken. Wenn das ein Weg sein sollte – Villazon inszeniert auch sehr gerne.

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    1. Vielen Dank Herr Kiefer für Ihre Analyse, der ich mich mal wieder (fast) uneingeschränkt anschließen kann.
      Ich finde die Umfrage interessant: vieles, was man vielleicht nur vermutet und ahnt, wird bestätigt.
      Ich habe an der Umfrage teilgenommen, allerdings nur in der ersten Phase. Daß die zweite und dritte Phase bereits zur Analyse der Unterschiede herangezogen wurde, war mir weder bewußt noch wurde sie kommuniziert, sonst hätte ich noch mal die Fragen beantwortet. Viele werden sich nicht die Mühe gemacht haben, den Bogen mehrfach auszufüllen. Die Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Phasen gehen mir daher etwas zu weit. Ob Zufall oder Tendenz lässt sich noch gar nicht sagen.
      Aber ja, es geht um das Wie - und das war schon oft karge Kost. Und Ihnen scheint es wie mir zu gehen: sie schütteln wahrscheinlich auch den Kopf über die Selbstanalyse des Staatstheater, das sich permanent „spannend“ oder „aufregend“ oder sehr oft "berührend" findet.

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  5. Dem letzten Abschnitt der Besprechung kann ich nur zustimmen. Es war eine ganz normale Spielzeit. Das Schlechteste an ihr war das andauernde Eigenlob der Leitung und die andauende Behauptung, nun hätte man endlich das Rad erfunden. An jeder Einführung wurde ein neuer Regiestar im voraus gelobt (während man doch gerade bei Regisseuren eine besonders unglückliche Hand hatte). Wenn durch diese Selbstanpreisungen nicht so grandiose Erwartungen geweckt worden wären, wären wir nicht so ernüchtert, sondern hätten uns manchmal aufgeregt und oft gefreut - wie immer.
    Ernst Ott

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    1. Herzlichen Dank Herr Ott für Ihren Kommentar. Ein wenig wundere ich mich immer, wieso die Verantwortlichen des Staatstheaters es für nötig erachten, sich mit fremden oder falschen Federn zu schmücken.
      Erst dachte ich, daß man im Staatstheater die eigene Studie nicht richtig gelesen hat und gar nicht gesehen, daß dort die obige falsche Behauptung aufgestellt wurde. Nach einer zweiten Durchsicht der Studie von Professor Siebenhaars Institut fiel mir auf, daß es dort bezüglich Publikumsverjüngung heißt:
      "zeichnet sich ... eine tendenzielle Verjüngung ... ab" (Seite 30)
      und
      "die ergriffenen Maßnahmen ... scheinen bereits Wirkung zu zeigen" (Seite 36)
      Also die Publikumsverjüngung scheint sich abzuzeichnen ...
      Es könnte also so sein, aber das erfordert eine weitere Analyse.
      Beim Staatstheater wird es zur Tatsache uminterpretiert. Man lehnt sich weit aus dem Fenster und geht das Risiko ein, auf die Nase zu fallen. Seriös wirkt das auf mich nicht.

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