Um der gestrigen Premiere von Büchners Dantons Tod gerecht zu werden, muß man zweierlei Maß anlegen. Als regelmäßiger Schauspielbesucher wird man die Inszenierung dürftig, einfallslos und belanglos finden, ABER: die Zielgruppe dieser Produktion ist auch speziell - Büchners Text ist aktuell Pflichtlektüre für die gymnasiale
Oberstufe. Die Inszenierung richtet sich an Schüler und will den
Text verständlich aufbereiten. "Dabei wird" -laut Staatstheater- "ein Schwerpunkt auf die originale Sprache Büchners und seine Auseinandersetzung mit der Rhetorik der Revolution gelegt". Ob Dantons Tod also gelungen ist, müssen Schüler und Pädagogen beurteilen. Für ein kundiges Publikum ist der Abend zwar auf harmlose Art unterhaltend, allerdings nur mit ziemlich schwacher Aussage.
Zur Bedeutung Georg Büchners
Ein besonders eklatanter Fall des Zufrühabgerufenseins ist Georg Büchner (1813-1837). Er starb mit 23 Jahren in der Emigration an Typhus. Man könnte ihn als Nachzügler des Sturm-und-Drangs sehen, aber er scheint eher ein
Jahrhundert zu früh geboren zu sein. Er wirkt heute als Vorläufer des frühen 20. Jahrhunderts, das er mit seinen modernen und bahnbrechenden Werken (Woyzeck, Dantons Tod, Lenz) erahnen lässt. Georg Büchner war eine der größten literarischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Begabungen seiner Zeit und politisch engagiert ("Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“). Die Hellsichtigkeit Büchners wurde erst lange nach seinem Tod gewürdigt. Dantons Tod - der Geniestreich des 21jährigen Autors erlebte seine Uraufführung im Jahr 1902 - also 67 Jahre nach der Entstehung. Vorher entsprach eine Geschichte über einen Revolutionär und eine enttäuscht-pessimistische Politikhaltung nicht der gesellschaftlichen Schicklichkeit.
Was ist zu beachten?
Dantons Tod - ein Drama, dessen Titel das Ende schon offenbart, bei dem es also nicht um den Ausgang geht, sondern darum, wie es passiert und was es aus den Figuren macht. Das Produktionsteam steht dabei vor der Herausforderung eine Situation zu erschaffen, die sie für das Publikum wiederum sezieren muß. Dantons Tod ist weit davon entfernt nur Kostümgeschichte zu sein. Das Stück ist an der Schnittstelle von politischer Macht und individueller Verantwortung. Es geht um die interne Machtpoltik der Revolutionsprofiteure, um kurzfristige Ziele und langfristige Ausrichtungen, Engagement und Resignation, Widerstand und Enttäuschungen, Kampf und Niederlage, Ideale und Korruption, Umsturz und Verrat, Täuschung und Entlarvung - heute finden diese Themen ihren Platz in verschiedensten Situationen politischen Engagements, bei der das Individuum -zerrieben von Machtkämpfen und angesichts der Sinnlosigkeit seines Engagements und Ohnmacht angesichts mangelnder Durchsetzungskraft- aufgibt oder verzweifelt. Bezüglich aktuell beobachteter Tendenzen (Lobbyismus,
Selbstbedienungsmentalität südeuropäischer Politiker oder von
Wirtschaftsbossen und den Gegenbewegungen von Attac, Wutbürgern,
Occupy-Bewegung) also ein brennend heißes
Thema.
Doch Dantons Tod ist nicht nur geschichtlich und politisch, sondern auch existentialistisch und philosophisch und voller Textstellen, über die man bedeutungsschwere Betrachtungen verfassen kann, die aber auch nicht leicht auf der Bühne zu sprechen und vermitteln sind: nur mit voller Konzentration kann man den Thesen folgen. Es gilt also Handlung und Erörterungen, Geschichtliches und Betrachtendes, Politisches und Persönliches in ein Gleichgewicht zu bekommen.
Was wird gezeigt?
Die Regisseurin Simone Blattner hat das Stück stark gekürzt und laut Programmheft versucht, den Text "auf seinen Kern zu verdichten", um "eine stringente, hochspannende Erzählung im Sinne eines temporeichen Thrillers" auf die Bühne zu bringen. Von den fast 30 Personen bleiben acht übrig. Vor allem politische Bezüge und privat-zwischenmenschliche Szenen sind
entfernt und die historische Handlung in ein zeitloses Jetzt übersetzt. Dantons Tod dauert noch pausenlose 100 Minuten. Leider geschieht diese Reduzierung auf Kosten der Binnenstruktur, die an Zusammenhalt verliert. Das Resultat ist die meiste Zeit nur noch geschichtlich und weder politisch noch philosophisch noch existentialistisch - viele Aspekte gewinnen keine deutlichen Konturen und aktuelle Bezüge kommen nicht vor. Man muß auch ein gewisses Maß an Langeweile gewohnt sein, um diese reduzierte Inszenierung wirklich als hochspannende Erzählung im Sinne eines temporeichen Thrillers empfinden zu können.
Hauptmanko der Inszenierung ist, daß alle Rollen ziemlich oberflächlich ausgelegt sind. Zu Beginn -als der Eingangschor den Schülern erklärt, was bisher passiert ist und welche Rollen die Schauspieler inne haben- fehlt nur noch, daß man die Figuren in gut und böse unterteilt.
Durch die Textkürzungen leidet vor allem Danton, der als Hauptrolle stark verliert. Frank Wiegard spielt den Danton und es gelingt ihm am Premierenabend nicht, seinem Charakter Tiefgang zu geben. Ihm fehlt die existentialistische Dimension des inneren Konflikts bei dem der Zwiespalt der Frage, warum und für was es zu kämpfen lohnt, nie richtig zur Geltung kommt. Leidenschaftslos und mit geringer Emotionalität wird Wiegards Danton leider zum Schwachpunkt des Abends. Wer wäre der richtige Schauspieler als an sich und der Welt zweifelnder Danton? Simon Bauer oder André Wagner wären für diese vielschichtige Rolle vielleicht die bessere Wahl gewesen.
Es ist bisher im Schauspiel die Spielzeit von Timo Tank - auch gestern hatte er als Robespierre die stärksten Momente des Abends. Seine Auftritte ähneln denen von heutigen Politikern: er übersetzt
das, was ihm von Vorteil ist in Dogmen der Alternativlosigkeit, die als
Werte oder Political Correctness verkauft werden. Robespiere ist ein
Lügner, dem es schon gar nicht mehr auffällt, daß die machterhaltende
Lüge für ihn zur zweiten Natur geworden ist. Tank spielt seine Rolle glaubwürdig, sprachlich exakt und in jeder Hinsicht überzeugend. Bravo!
Lacroix wird beim sehr guten Gunnar Schmidt zum kühl-überlegten Taktierer. Legendre (Simon Bauer) ist ein ungeschickter Politamateur, der die Situation
nicht begreift und das Gegenteil
erreicht von dem, was er sich vornahm. Jan Andreesen hat ein hohes Potential für bedrohliche und gewalttätige Rollen und passt ideal als St. Just. Schade, daß die Regisseurin die Chance nicht nutzte, um ihm (und eigentlich allen anderen) ein stärkeres Profil zu geben.
In weiteren Rollen Benjamin Berger als ein einfach nur ständig betrunkener Collot D'Herbois und Thomas Halle als Camille Desmoulins. Nur eine Frauenrolle lässt Simone Blattner übrig: Lucile darf in einer kleinen Rolle auf die Bühne. Joanna Kitzl holt aus der Mini-Rolle das Maximum, aber bei ihr, wie auch bei jeder anderer Rolle, ist viel mehr an Regie-Charakterisierung möglich.
Fazit: Harmlose und überraschungsfreie Unterhaltung und eine plakative Inszenierung, die dem Thema nur oberflächlich gerecht wird, denn sie ist defizitär: sie hat von allem zu wenig.
PS(1): Wieder einmal ist der direkte Vergleich für das Schauspiel unter Jan Linders ernüchternd. Erst im Sommer 2011, anlässlich der Baden-Württenbergischen Theatertage,
gastierte das Stuttgarter Schauspiel in Karlsruhe mit einer Danton-Inszenierung, die das Stück in unsere Zeit
legt, ein "Doku-Drama" mit Fernseheinspielungen eines
Nachrichten-Senders, Umfragewerten und ständiger Medienpräsenz um die
Schaltstelle der Macht: eine Warnung vor dem post-demokratischen
Autoritärstaat, wie er sich heute auch in Europa vermehrt andeutet. Auch diese Inszenierung war plakativ, bot aber im Gegensatz zu gestern von allem zu viel - vor allem an Rollencharakterisierung, Brisanz und Aktualität.
Die
letzte Karlsruher Inszenierung im März 2002 von Regisseur Kay Neumann
war aufgrund des damals bevorstehenden Intendanzwechsels leider sehr
kurzlebig und blieb dadurch in Erinnerung, daß nicht nur die Bühne,
sondern das ganze Kleine Haus bespielt wurden und in den Pausen das
Foyer mit einbezogen wurde.
PS(2): Simone Blattner hatte letzte Spielzeit eine Inszenierung mit sehr ähnlicher Qualität: auch Kleists Amphitryon war defizitär.
PS(3): Bühnenbild und Kostüme sind gut gemacht und hätten mehr dramaturgische Qualität verdient gehabt.
Schauspieler & Team
Mitglieder des Wohlfahrsausschusses:
Robespierre: Timo Tank
St. Just: Jan Andreesen
Collot D'Herbois: Benjamin Berger
Deputierte des Nationalkonvents:
Georg Danton: Frank Wiegard
Camille Desmoulins: Thomas Halle
Legendre: Simon Bauer
Lacroix: Gunnar Schmidt
Lucile Desmoulins: Joanna Kitzl
REGIE Simone Blattner
BÜHNE Alain Rappaport
KOSTÜME Claudia González Espíndola
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Letzten Sonntag hab ich mich dann doch überwunden. Ihr Hinweis auf den Stuttgarter Danton passt. Der hat mir nicht gefallen - es ist dennoch ein Klassenunterschied. Die Figuren war viel besser herausgearbeitet und die Inszenierung hatte eine Aussage. Gestern wurde der Text meistens brav aufgesagt. Eine Entwicklung der Rollen fand nicht statt. Und auch bei der Besetzung Dantons haben sie recht - da kam gar nichts rüber. Wiegard klingt immer gleich, egal was er spielt.
AntwortenLöschenViele Grüße
Iris