Samstag, 18. Februar 2023

Händel - Ottone, 17.02.2023

Erfolgreicher Start in die 45. Händel Festspiele
Ottone gehörte zu Lebzeiten zu Händels erfolgreichsten Opern. Uraufgeführt vor 300 Jahren am 12.01.1723, erlebte er im folgenden Jahrzehnt vier Wiederaufnahmen und über 30 Vorstellungen in London, bei denen mehrfach das englische Königshaus zu Gast war, weiterhin Aufführungen in anderen Städten und 1734 spielte sogar die in der englischen Hauptstadt mit Händel konkurrierende Opera of the Nobility den Ottone mit Starkastrat Farinelli als Adelberto. Und auch in Karlsruhe ist Ottone nach den 25. Händel Festspielen 2002 bereits zum zweiten Mal im Programm:. Die gestrige Premiere war ein Erfolg: großartig musiziert, erstklassig gesungen und kurzweilig inszeniert. 

Worum geht es?
Ottone, Re di Germania - Otto, König von Deutschland hat einen historischen Hintergrund: Die Heirat des deutschen Königs und späteren Kaisers Otto II. (*955 †983) mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu (†991) in der Peterskirche in Rom am 14. April 972 durch Papst Johannes XIII., bei der oströmisches und weströmisches Kaisertum dynastisch verbunden wurden. Nach Ottos Tod sollte Theophanu (die keine Tochter, sondern "nur" eine entfernte Nichte des oströmischen Kaisers Johannes I. Tzimiskes war) als kluge Regentin das Reich stabilisieren, der gemeinsame Sohn Otto III. wurde Thronfolger. Theophanus Sarkophag steht in der Kölner Kirche St. Pantaleon.

Handlung: In Rom will König Ottone die ihm unbekannte Prinzessin Teofane heiraten. Gismonda, Witwe des langobardischen Königs Berengario (dessen Konflikt mit Otto I. erzählt Händel in der Oper Lotario), will die Heirat durch eine Intrige verhindern, um den italienischen Thron zurück zu gewinnen. Ihr Sohn Adelberto gibt sich gegenüber Teofane als Ottone aus, Gismonda als dessen Mutter. Doch der echte Otto trifft gerade noch rechtzeitig ein. Ein erfolgreicher Kampf gegen den festgenommenen Seeräuber Emireno verzögerte seine Ankunft. Er läßt Adelberto zu Emireno ins Verließ bringen. Am Ende des 1. Akts sieht es so aus, als ob die Intrige gescheitert ist. Doch durch die vorangegangene Täuschung ist die Beziehung zwischen Otto und Teofane distanziert und getrübt. Ottos Cousine Matilda, die eigentlich Adelberto heiraten sollte, ist verärgert, weil Otto ihrem geplanten Gatten nicht vergeben will und organisiert mit Gismonda einen Ausbruch. Emireno und Adelberto fliehen gemeinsam aus dem Kerker und entführen Teofane. Doch Emireno erkennt Teofane - er ist tatsächlich ihr älterer Bruder Basilius, der vor dem damals herrschenden und inzwischen verstorbenen Tyrannen fliehen mußte. Emireno nimmt Adelberto gefangen, bringt Teofane zurück zu Otto und dieser vergibt allen, um der Barockoper ein glückliches Ende zu ermöglichen.

Was ist zu sehen? 
Die Bühne zeigt mittig eine Wand, die sich sowohl im unteren Teil über die Drehbühne als auch im oberen Teil öffnen läßt, so das man einen nächtlichen Himmel  oder Wellengang sieht; rechts und links ein offenes Treppenhaus, der Verputz hat stark gelitten - man wähnt sich in einem gruftigen Barock. Otto und Matilde sind schwarz gekleidet. Gismonda und Adelberto kontrastieren in weiß und mit gespenstisch weiß geschminkten Gesichtern. Teofane ist der goldene Lichtblick, Emireno ein violetter Korsar aus dem Morgenland. Das ist sinnfällig ohne zwingend zu wirken, und sowohl Bühne und Kostüme als auch die Regie wirken unprätentiös, denn man will unterhalten ohne aufdringlich zu sein. Solche Inszenierungen können leicht langweilig werden, wenn die Personenregie es nicht schafft, Persönlichkeiten zu zeichnen und die Beziehungsspannungen aufrecht zu erhalten. Dies gelingt Regisseur Carlos Wagner durch eine geschickte Balance und manche Kürzungen. Das Ergebnis ist kurzweilig und unterhaltsam und gewinnt, weil man starke Sänger hat.

Was ist zu hören?
Ottone ist knapp besetzt, es gibt weder Flöten, Hörner, Trompeten oder Pauke. In Karlsruhe sind es 22 Streichinstrumente, 2 Oboen und Fagotte sowie Harfe, Laute und Cembalo - knapp unter 30 Musikern - das ist ein ähnlich karg besetztes Orchester wie in Arminio. Es geht wie in Arminio nicht primär um Macht, Politik und Prunk, sondern um das Innenleben der Figuren, um Hoffnungen und Enttäuschungen, um Anspruch und Verzicht. Dirigent Carlo Ipata ist selber Barock-Flötist und hat als Solist einige Flötenkonzerte auf CD eingespielt. Er leitet die wie üblich grandios klingenden Händel-Solisten vorbildlich mit variablem Tempo, teilweise zugespitzt, aber auch imner wieder im barocken Breitwand-Sound und vor allem nie beliebig oder langweilig. BRAVO! Carlo Ipata sollte man auch zukünftig bei Neuproduktionen einplanen.
Viele Händel-Fans bestehen auf Komplettaufführungen, d.h. drei Akte, jeder mit ca. 10 Arien und mindestens 60 Minuten Spieldauer und zwei Pausen - mindestens vier herrliche Stunden sollte eine ordentliche Händel-Oper schon dauern. Wie schon der letzte Karlsruher Ottone ist auch diese Inszenierung stark gekürzt, die knapp über drei Stunden Spielzeit dauert mit einer Pause ca. drei Stunden. Das mag man bedauern, doch die gestrige Premiere wirkte stringent, erst im 3. Akt ging es dann ein wenig zu schnell, doch das Ergebnis überzeugt: langweilig wird es bei diesem Ottone nicht.

Gesungen wir durchgehend erstklassig - BRAVO! Yuriy Mynenko singt die Titelpartie mit geschmeidiger Stimme, schönem Timbre und spannenden Koloraturen, sein Ottone klingt nobel und verständnisvoll, ein quasi aufgeklärter Herrscher, der gerecht sein will. Die Rolle der Teofane verliert ein wenig durch die Kürzungen und bleibt ein wenig blaß. Der Regisseur konzentriert sich nicht auf die Paarbeziehung, Ottone und Teofane kommen sich nicht näher, ihr Liebesduett singen sie kaum miteinander, sondern gemeinsam bei der Erfüllung ihrer Pflicht, für Versöhnung und Frieden zu sorgen. Lucía Martín-Cartón hat eine schöne, anmutige Stimme, ihre Rolle als pflichtbewußte, loyale zukünftige Gattin hätte noch etwas mehr Pep vertragen. Die intrigante Mutter Gismonda ist bei der souveränen Lena Belkina bestens aufgehoben. Eine der schönsten und wirkungsvollsten Arien sang gestern der italienische Countertenor Raffaele Pe als Adelberto, Bel labbro im 1. Akt war beeindruckend schön und ergreifend gesungen! Sowohl Mynenko als auch Pe sind Countertenöre, die man auch zukünftig engagieren kann. Die wankelmütige Matilda -laut Libretto eine "deutsche Amazone"- ist mit der Altistin Sonia Prina besetzt, die mit ihrer geerdeten Stimme aufhorchen läßt und im Duett mit Lena Belkina eine der wirkungsvollsten Szenen hat. Ein Ensemble-Mitglied ist dabei: als Emireno singt Nathanaël Tavernier eine seiner bisher schönsten Rollen in Karlsruhe. Für ihn wie auch für alle anderen Sänger gilt: jede Arie ist spannend interpretiert!

Kurzer Rückblick: 
Nach 2002 steht Ottone zum zweiten Mal im Programm der Karlsruher Händel Festspiele. Begutachtet man das damalige Programmheft, findet man Mitarbeiter, die sowohl damals beteiligt waren als auch in diesem Jahr erneut bei Ottone dabei sind und die qualitative Kontinuität bei den Händel Festspielen belegen. Bereits 2002 bei Ottone dabei waren u.a. bei den Violinen Almut Frenzel,  Eva Scheytt,  Michael Gusenbauer und Christoph Timpe, Cellist Markus Möllenbeck, Oboistin Saskia Fikentscher, Fagottistin Rhoda Patrick. Weiterhin Gewandmeisterin Petra Annette Schreiber und  Beleuchtungsexperte Rico Gerstner.

Besetzung und Team:
Ottone: Yuriy Mynenko   
Teofane: Lucía Martín-Cartón
Emireno: Nathanaël Tavernier
Gismonda: Lena Belkina
Adelberto: Raffaele Pe
Matilda: Sonia Prina 

Musikalische Leitung: Carlo Ipata
Regie: Carlos Wagner
Bühne & Kostüme: Christophe Ouvrard
Licht: Rico Gerstner

6 Kommentare:

  1. "Ottone" war meine erste Begegnung mit Händel und einem Countertenor - vor 23 Jahren in Ulm. Bis heute erkenne ich sofort, ob eine Arie zu diesem Werk gehört oder nicht. Ich habe mich wie ein Schneekönig über die Ankündigung des Badischen Staatstheaters gefreut, "Ottone" zu spielen und war wie Sie in der Premiere. Ich habe mich riesig über das Wiederhören gefreut - aber wenn es dieses Mal mein erster Händel gewesen wäre, dann wäre ich wohl nur begrenzt angetan gewesen.

    Das lag bestimmt nicht an dem sehr feinfühligen, aber nie selbstgefällig-gediegenen Dirigat, sondern an der Regie und den Sängern.

    Zur Regie: warum man die große Bühne ad ultimo ausdehnen und die Sänger*innen bis ins zweite und akustisch problematische Stockwerk hinauf hetzen muss, war mir genauso unbegreiflich wie die ständigen Bewegungen und Choreographien. Kann man gerade in einer Largo-Arie dem Solist den Raum geben, einfach nur zu singen anstatt einen Kollegen anzusingen und über Bühnenteile zu treten? (Antwort: Nein, das Publikum war im Rang erschreckend unruhig als sei es eine Sonntagsmatinee der "Lustigen Witwe" - es wäre bei weniger "Action" wohl noch undisziplinierter gewesen.)

    Zu den Sängern: bis auf Sonia Prina (und phasenweise auch Raffale Pe) klingen sie alle wenig individuell. Technisch unangreifbar, gewiss, aber ich würde bei einem Wiederhören wohl keinen Wiedererkennungseffekt haben. Mynenko in der Titelpartie begann eher schwach, konnte sich aber immerhin steigern. Viel zu leicht und soubrettig klang die Teofane von Lucía Martín-Cartón - da erwarte ich mehr Körper.

    Fazit: schön, wieder mal "Ottone" gesehen zu haben, aber falls es nächstes Jahr nicht die eine oder andere Neubesetzung (Cencic?) gibt, werde ich die Wiederaufnahme auslassen - bei aller Liebe.

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    1. Vielen lieben Dank Herr Kaspar für Ihren Kommentar. Das Bessere ist der Feind des Guten und jeder langjähriger Opern-Freund kennt die Vorfreude auf eine Lieblingsoper und das Risiko der Enttäuschung, wenn einem Vergleich nicht entsprochen werden kann. Für mich sind es ungefähr die 35. Händel Festspiele, knapp über 30 Händel-Opern habe ich inszeniert auf der Bühne gesehen; meine erste Oper in den 80ern war Julius Cäsar in Karlsruhe, dann folgte ein schwieriges Jahrzehnt, wo Jahr um Jahr nicht der Barockopern-Knoten bei mir platzte und erst mit Agrippina und Rodelinda fand ich zurück und wurde begeisterter Händel-Fan.
      Mir hat der neue Ottone gefallen. Die Inszenierung reißt einen nicht vom Hocker, es ist eher eine Bebilderung - aber ich fand es kurzweilig. Im letzten Jahrzehnt gab es bspw. Tolomeo, Alcina und Teseo, die vielleicht visuell attraktiver waren, aber auch Längen hatten und mich langweilten. Arminio - als Oper mit vergleichbarer Struktur - fand ich eine Klasse besser als Ottone.
      Zur Vorbereitung hatte ich die letzten Wochen die Decca-Gesamtaufnahme (u.a. Cencic, Hallenberg, Petrou, ...) angehört. Das Dirigat von Carlo Ipata empfand ich als lebendig und spannend und nie monoton oder glatt. Bei den Sängern gebe ich Ihnen recht, die Stimmen könnten individueller sein, Yuriy Mynenko sang schön, aber Ottone war blaß, Lucía Martín-Cartón fehlte ebenfalls (noch) die Bühnenpräsenz. Ich kann Ihre Enttäuschung nachvollziehen. Dieser Ottone ist keine Spitzeninszenierung, sondern irgendwo im Mittelfeld. Aber dennoch habe ich die Vorstellung genießen können. Ich freue mich am kommenden Sonntag auf das Wiederhören (nicht unbedingt auf das Wiedersehen).

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  2. Für mich war der Opernabend gelungen: Sehr schöne Stimmen, wunderbare Orchesterklänge und eine Inszenierung (samt Kostümen und Bühnenbild), die stimmig und passend war. Herz, was willst du mehr? Es ist ja nicht so, als wären wir in letzter Zeit opernmäßig besonders verwöhnt worden … Für „Ottone“ 24 habe ich jedenfalls schon Karten und freue mich im Voraus.
    Gefreut hat mich auch, dass das Programmheft wieder an das Niveau aus Dr. Kehrmanns Zeiten Anschluss gefunden hat - vielleicht hat das „Meckern“ doch etwas genützt.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich werde mir auch im kommenden Jahr Ottone gerne wieder anhören. Das Programmheft habe ich noch nicht ganz durch, was ich gelesen habe, war sehr informativ und gut geschrieben.

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  3. Ich fand es insgesamt einen gelungenen Opernabend. Ich stimme aber zum Teil der Kritik von Herrn Kaspar zu. Mag die geschlossene, meist zweidimensionale Bühne ein Vorteil für die Sänger gewesen sein, so waren die Stimmen von der Thronebene sehr problematisch, das mag aber z.T. auch davon abhängen, wo man im Saal saß.

    Mir stoßen aber vor allem die doch starken Kürzungen auf, ich finde gerade bei Händelfestspielen sollte man damit doch wesentlich behutsamer umgehen, als bei einer Giulio Cesare Aufführung im Provinztheater.

    Ein Ärgernis der Händelfestspiele ist für mich immer noch das umfangreiche Gesamtprogrammbuch. Es ist total unpraktisch und unhandlich, man sieht bei Konzerten Besucher ihre Handies herauskramen, um die Programmpunkte nachzuschlagen. Zudem ist es sehr misslich, bei Liederabenden wie dem Galakonzert nicht die Texte der Arien abzudrucken, erst recht bei Verzicht auf Übertitelung.

    Dennoch kehre ich natürlich immer gerne nach Karlsruhe zurück, obtrotz des sinnlosen (teilweisen) Vorverkaufsstarts ohne Besetzungsinformationen, sehnte mir aber die sehr schlichten Programmhefte aus Halle herbei. Aber das sind ja kleine Probleme, wenn es zwei andere Händelfestspiele nicht schaffen, ihre Termin überlappungsfrei zu legen.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Das Programmbuch ist nun ja bereits seit einigen Jahren in diesem Komplett-Format. Ich kaufe es immer an der Garderobe und stecke es sofort in meine Tasche, die ich dann abgebe. Um dieses Buch mit in die Vorstellung zu nehmen, fehlt es mir an ausreichend dimensionierten Jackentaschen.
      Ich habe auch bereits meine Siroe-Karten, allerdings nur für eine Vorstellung. Erst wenn ich die Besetzung kenne, investiere ich ggf. mehr.

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