Freitag, 4. Juni 2021

Zukunft Choreographie (Ballett als Livestream), 03.06.2021

Gelungener Positionswechsel
Bridget Breiner setzt Birgit Keils Nachwuchsförderung fort. 16 Tänzer des Badischen Staatsballett präsentierten gestern eigene Choreographien - von Solos über Duette bis zum achtköpfigem Ensembletanz war alles dabei und ein sympathisches, unterhaltsames und abwechslungsreiches Kaleidoskop künstlerischer Kreativität.

Als choreographischen Mentor hatte man Kevin O'Day gewonnen, der lange in Mannheim für das Ballett sorgte. Die jungen Choreographen nutzen die Gelegenheit, manch Gelegenheitswerk entstand dabei dennoch, bei dem zwar getanzt wurde, aber noch zu wenig passierte oder die Binnenspannung zu gering blieb. Auffallend war, daß der Abend oft nicht jung im Sinne von unbeschwert erschien, einiges hingegen war getragen und melancholisch. Der energiegeladene Höhepunkt war Francesca Berrutos Tanz für drei Männer zu einem afrikanisch inspiriertem Trommelstück von Jonatan Szer. Musikalisch reichte das Spektrum bspw. von Tomaso Antonio Vitali und J.S.Bach, Fauré und Rachmaninow über zeitgenössische Musik bis zu einer Eigenkomposition des Tänzers Paul Calderone, eine Komposition des Schauspielers Andrej Agranovski und einem eigenen Musik- und Videoarrangement von Baris Comak, der eine bemerkenswert originelle Choreographie mit dem schönen Titel Stimmungsschwankungen präsentierte und in der Pause seine Kollegen zu ihren Arbeiten befragte. Ambitioniert auch die mit ca. 25 Minuten längste Choreographie, die von Paul Calderone, Louiz Rodrigues und Emiel Vandenberghe als ein rätselhaftes Gemeinschaftswerk entworfen wurde und auch hinsichtlich Bühnenbild und Kostüme positiv auffiel. Mit seinem schönen Barockballett empfahl sich José Urrutia für kommende Händel-Festspiele, Valentin Juteau zeigte ein starkes erzählerisches Talent, als ob er sich an ein Handlungsballett wagen wollte. Die selbstgetanzte Gemeinschaftschoreographie von Anastasiya Didenko und Carolin Steitz überzeugte durch eine fragile und dennoch starke Emotionalität. Auch das Duett von Maxime Quiroga gelang sehr ausdrucksstark. Ein gewisse Vorliebe für Schmerzliches war bei den Choreographen bemerkbar, besonders gut gelang dies den Solotänzern João Miranda in Rita Duclos komplementären Auf-und-ab-Ballett sowie der Japanerin Momoka Kikuchi, die in Balkiya Zhanburchinova Choreographie auch ihre Einsamkeit während der Corona-Beschränkungen tänzerischen Ausdruck verleihen konnte.

Fazit (1): Was für eine talentierte und sympathische Ballett-Kompagnie, die einen so interessanten und abwechslungsreichen Abend auf die Beine stellen kann! Wenn schon live unmöglich ist, dann zumindest hier ein digital gerufenes BRAVO!

Fazit (2): Gibt es in Karlsruhe einen internationaleren Ort als das Badische Staatstheater? Musik, Oper und Ballett sind grenz- und sprachüberschreitende Kunstformen. Tänzer, Sänger, Musiker, Künstler aus der ganzen Welt kommen nach Deutschland, denn nirgendwo sonst ist der Stellenwert der Hochkultur (also einer Kultur, die jahrelanges Üben benötigt, um ihr gerecht werden zu können) so eminent wie hier. Wer das Besondere nicht fördert, versinkt im Mittelmaß. Die Mitglieder des Karlsruher Gemeinderats sollten das bedenken, wenn sie im Juni mal wieder über den Stellenwert der Kultur und den Preis des Theaters abstimmen. Das Badische Staatstheater ist der internationale Leuchtturm der Stadt, wer ihn demontiert oder kürzt, handelt auf bornierte Weise provinziell, kurzsichtig und kleingeistig.

CHOREOGRAPHIEN und BESETZUNG:

HALF THE BEAUTY
Choreographie: Lucia Solari
Musik: Sergej Rachmaninow
Tänzer: Anastasiya Didenko, Nami Ito, Carolina Martins und Carolin Steitz

AND YOU WALKED AWAY…
Choreographie: Maxime Quiroga
Musik: Ólafur Arnalds
Tänzer: Sara Zinna, Maxime Quiroga

STIMMUNGSSCHWANKUNGEN
Choreographie: Baris Comak
Musik- und Videoarrangement: Baris Comak
Tänzer: Baris Comak, Daniel Rittoles

EIN WIEDERSEHEN
Choreographie: Valentin Juteau
Text: Charles Bukowski
Musik: Gabriel Fauré
Tänzer: Francesca Berruto, Nami Ito, Sara Zinna, Olgert Collaku, Ledian Soto

WHAT ABOUT LAUGHING GAS?
Choreographie: Rita Duclos
Musik: David Gray
Tänzer: João Miranda

UNDERNEATH THE SURFACE
Choreographie: Anastasiya Didenko, Carolin Steitz
Musik: Andrej Agranovski (UA)
Tänzerinnen: Anastasiya Didenko, Carolin Steitz

CHACONNE
Choreographie: Maxime Quiroga
Musik: Tomaso Antonio Vitali
Tänzer: Julian Botnarenko (a.G.), Balkiya Zhanburchinova

ONE IN THE CROWD
Choreographie: Francesca Berruto
Musik: Jonatan Szer
Tänzer: Olgert Collaku, Ledian Soto, Joshua Swain

LACK OF VOCABULARY
Choreographie: Paul Calderone, Louiz Rodrigues, Emiel Vandenberghe
Musik: Paul Calderone (UA)
Tänzer: Natuska Abe a.G., Paul Calderone, Louiz Rodrigues, Joshua Swain, Emiel Vandenberghe

NOSTALGIE
Choreographie: Balkiya Zhanburchinova
Musik: Vaja Azarashvili
Tänzerin: Momoka Kikuchi

BAROQUE LADIES
Choreographie: José Urrutia
Musik: Johann Sebastian Bach
Tänzer: Lucia Solari, Balkiya Zhanburchinova, Sara Zinna

THE EMBRACE
Choreographie: Maxime Quiroga
Musik: Nils Frahm
Tänzer: Carolin Steitz, Daniel Rittoles

THE JOURNEY
Choreographie: Pablo Octávio
Musik: Aaron Martin, Bryce Dessner, Arcade Fire, Owen Pallett
Tänzer: Momoka Kikuchi, Carolina Martins, Alba Nadal, Balkiya Zhanburchinova, João Miranda, Louiz Rodrigues, Joshua Swain, Emiel Vandenberghe