Montag, 17. April 2023

Breiner - Maria Stuart (Ballett), 16.04.2023

Mit drei Jahren pandemiebedingter Verspätung präsentiert Ballettdirektorin Bridget Breiner ihr ambitioniertes Großprojekt mit Staatsballett, Staatskapelle und Staatsopernchor, das ursprünglich 2020 ihr erstes großes Handlungsballett in Karlsruhe werden sollte. Und der Erfolg war ihr beim ballettfreundlichen Karlsruher Publikum sicher, und zu recht, wenn auch mit Abstrichen. Maria Stuart ist als Produktion ein gewolltes Spektakel, aber unspektakulär als Ballett. Bis zu 90 kostümierte Tänzer und Sänger sind auf der Bühne, musikalisch und szenisch wurde viel Aufwand betrieben, das Ballett erreicht allerdings nicht die mitreißende Dichte und Spannung, die fasziniert und vereinnahmt.  Doch trotz mancher dramaturgischer Schwächen ist Maria Stuart ein kurzweiliges Erlebnis, das viele Zuschauer anlocken sollte.

Historisches

Vielleicht würde die Welte heute Spanisch statt Englisch sprechen, hätten die Intrigen gegen den protestantischen englischen Hof Erfolg gehabt. Die katholische Maria Stuart (*1542 †1587), als Königin von Schottland 1567 vom schottischen Adel zugunsten ihres Sohnes abgesetzt, sollte den englischen Thron besteigen, die spanische Armada England als Konkurrenten aus dem Weg räumen. Doch es war Sir Francis Walsingham (*1532 †1590), der als früher Spionage-Experte verschiedene Verschwörungen aufdeckte, darunter auch die, die 1586 Maria an die Macht bringen sollte und zu ihrer Hinrichtung im Februar 1587 führte. 1588 wurde die spanische Armada besiegt - Englands Aufstieg zur weltweiten Seemacht war gesichert. Nach dem Tod von Elisabeth I. (*1533 †1603) bestieg Maria Stuarts Sohn und schottischer König den englischen Thron uns vereinigte beide Königreiche.

Worum geht es? 
Für das Ballett nahm man sich Friedrich Schillers Drama als Vorbild. Schiller erweiterte den politisch-religiösen Konflikt um erfundene persönliche Motive, die sich hinter den Geschehnissen verbergen. Er erzählt kein komplexes  Historiendrama, sondern zeigt die letzten drei Tage vor der Hinrichtung, das Urteil ist bereits gefällt (im Ballett wird diese Szene hinzugefügt), Elisabeth hat es aber noch nicht unterschrieben. Maria kämpft um ihr Leben und hofft auf Gnade, doch tragischerweise bringen sie alle Rettungsmaßnahmen dem Schafott näher. Elisabeth I. (Tochter von Heinrich VIII. und der geköpften Anna Boleyn), die sogenannte jungfräuliche Königin, die lebenslang unverheiratet und kinderlos blieb, und die attraktive Maria Stuart konkurrieren auch erotisch, Schiller sah seine Figuren deutlich jünger als die historischen Vorbilder. Elisabeths engster Vertrauter Graf Leicester liebt heimlich Maria und schlägt ein Treffen der Frauen vor, das fehl schlägt, beide versuchen einander gegenseitig zu demütigen. Elisabeth ist älter, Maria attraktiver. Die weniger begehrte und geliebte englische Königin ist bei Schiller eifersüchtig und neidisch, Maria reagiert überheblich: Elisabeth müsste vor ihr im Staub liegen, denn sie sei die wahre Königin. Als dann auch noch der junge Katholik Mortimer mit einem Attentatsversuch bei Elisabeth scheitert, unterschreibt Elisabeth zwar das Todesurteil, durch einen Trick schiebt sie die Verantwortung für die Hinrichtung auf ihre Höflinge. Maria verliert zwar ihr Leben, doch sie gewinnt an Würde und Größe, Elisabeth gewinnt politisch und verliert menschlich.

Was ist zu sehen (1)?
Die historisierende Ausstattung ist attraktiv, das Programmheft gibt Auskunft: "Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Franz Kirner verbindet in seiner Ausstattung zu Maria Stuart historisch geprägte Architektur und Kostümbild mit abstrakteren inneren Räumen und Zuständen, die aus den Hauptprotagonistinnen heraus entwickelt sind. Ein Ziel war es, Situationen von Gefangenheit, Enge sowie Transparenz und Weite gleichzeitig stattfinden und ineinander übergehen zu lassen. Für  die hierzu eigens angefertigten beweglichen Vorhänge wurden knapp 3,5 Kilometer Metallketten verarbeitet." Man hat sich entschieden, "die Ausstattung aus einem inneren Zustand heraus zu begreifen. Diese beiden Frauen, Maria und Elisabeth, stehen im Mittelpunkt, und wir erzählen Zustände, die sie umgeben und die aus ihnen heraus entstehen. So kamen wir zu der Kettenarchitektur, die beweglich ist, wandelbar. Begriffe wie entspannt, umspannend, majestätisch, aber auch starr, gerade, gefangen, einengend kommen in den Sinn." Die Aussage Kirners zu Ausstattung: "Mit einem Blick muss der Eindruck entstehen, dass alles zusammengehört und sich ein Sog entwickelt, der einen in die Geschichte zieht und nicht mehr loslässt" ist zweifach erfüllt: für die Ausstattung und die Musikzusammenstellung, nur die choreographische Dramaturgie hat Schwächen

Was ist zu sehen (2)?
Bei Breiner liegt das Drama im Dreiecksverhältnis Elisabeth - Leicester - Maria. Der schottischen Königin gönnt die Regie das royale Blau, Elisabeth ist in leicht säuerlichem, neidischen Gelb. Breiner läßt Maria als gefürchtete Konkurrentin um den Thron erscheinen, beider Beziehung zu Leicester und dessen Doppelspiel mag aber nicht richtig spannend werden. Für Schillers geniales Dramenzentrum findet Breiner keine tänzerische Entsprechung, das Aufeinandertreffen von Elisabeth und Maria, das nicht intim im kleinen Kreis als Tanzduell abläuft, sondern vor großer Kulisse als untänzerische Abfolge von Gesten, hat keine Kraft. Der Konflikt wird nicht eskaliert, der Gegensatz von Triumph und Hass, Arroganz und Verachtung wird nicht tänzerisch auf  die Spitze getrieben. Schiller legt Elisabeth das traurige, aber gültige Motto der Realpolitik in den Mund: "Gewalt nur ist die einzige Sicherheit, kein Bündnis ist mit dem Gezücht der Schlangen", choreographiert ist diese Unversöhnlichkeit zwischen den Figuren nicht überzeugend.
Auch das allererste Bild ist diskutabel, das Ballett mit einer Szene zwischen Königin und Henker beginnen zu lassen, hat eine gewisse unfreiwillige Komik. Doch ansonsten gibt es viele gute Szenen, intime Momente stehen neben Massenszenen, Sänger und Tänzer harmonieren auf der Bühne.

Was ist zu sehen (3)?
Es gibt viele starke Momente für die Tänzer. Bridgett Zehr als Maria Stuart wirkt von Beginn an geläutert und reif und der Situation menschlich gewachsen, die Überheblichkeit, die zur Eskalation und Gesprächsabbruch mit Elisabeth führt, mag man kaum finden. Sophie Martin als Elisabeth I. darf schon mehr Allüren und Stärke zeigen, Macht und Verantwortung haben sie ge(ver)formt. Die vielleicht größte Rolle ist Graf Leicester, der engste Vertraute Elisabeths, der aber Maria heimlich liebt, Ledian Soto tanzt diese Figur ausdrucksstark. Baron Burleigh, der kategorisch gegen Maria ist und schnell deren Hinrichtung befiehlt, wird von José Urrutia verkörpertDer katholisch-abtrünnige Adlige Mortimer wird von Neuzugang Leonid Leontev getanzt. Auch die kleineren Rollen wissen zu gefallen: Die  Amme ist Francesca BerrutoPablo Octávio der französische Prinz, der um Elisabeth wirbt,  Staatssekretär Davison ist João Miranda und Baris Comak als Henker.

Was ist zu hören (1)?

Ein englischer und ein schottisch-katholischer Komponist prägen dieses Ballett: Benjamin Britten (*1913 †1976) und James MacMillan (*1959). Bridget Breiner und Daniele Squeo (inzwischen GMD in Kaiserslautern) kombinierten Kammermusik, Symphonik sowie theatralische und sakrale Vokalkompositionen. Der Erfolg eines Balletts hängt stark an der Zugkraft der Musik, im Programmheft hat man das erkannt: "Die besondere Herausforderung in der Umsetzung einer solchen Collage liegt darin, aus der reinen Abfolge von Nummern ein dramaturgisch wie musikalisch konsequentes Gesamtbild zu kreieren.Siegfried und Momo, beide aus dem Annus Mirabilis des Badischen Staatsballett 2011/2012sind bspw. Maßstäbe, an denen sich Maria Stuart messen läßt. Die Badische Staatskapelle und Dirigent Dominic Limburg musizieren so engagiert, daß man sich insbesondere mehr Britten in Konzert und Oper wünscht. Der Badische Staatsopernchor "ergänzt die orchestrale Musik durch eine atmosphärische wie abstrakte Qualität", das gesungene Wort ist nicht auf die Goldwaage zu legen. Die Kombination von Tänzern und Sängern, die gleichzeitig auf der Bühne sind, funktioniert.

Was ist zu hören (2)?
1. Akt
Benjamin Britten
- A Ceremony of Carols, op. 28 (1943): Interlude
- Spring Symphony, op. 44 (1949): The Morning Star
- 4 Sea Interludes aus Peter Grimes, op. 33 (1945): Sunday Morning
- Symphonic Suite aus Gloriana, op. 53a (1953): March, Coranto, Pavane, Morris Dance
- War Requiem, op. 66 (1962): Kyrie Eleison
- Symphonic Suite aus Gloriana, op. 53a (1953): Galliard, Lavolta, The Tournament
- War Requiem, op. 66 (1962): Kyrie Eleison
- Symphonic Suite aus Gloriana, op. 53a (1953): Morris Dance

MacMillan 
- … as others see us … (1990): Henry VIII

Britten 
- War Requiem, op. 66 (1962): Diese Irae
- Symphonic Suite aus Gloriana, op. 53a (1953): Lute Song
- Variations on a Theme of Frank Bridge, op.10 (1937): Moto Perpetuo

MacMillan
- For Sonny (2011)

Britten 
- Variations on a Theme of Frank Bridge, op.10 (1937): Bourrée Classique, Adagio, Fugue and Finale


2. Akt
Britten 
- Symphonic Suite aus Gloriana, op. 53a (1953): Gloriana moritura
- 4 Sea Interludes aus Peter Grimes, op. 33 (1945): Dawn
- Sinfonia da Requiem, op. 20 (1941): Requiem aeternam

MacMillan
- Seven Last Words from the Cross (1994): Father, forgive them …
- Three Interludes aus The Sacrifice (2007): The Investiture, Passacaglia

Britten
- War Requiem, op. 66 (1962): Recordare, Confutatis
- 4 Sea Interludes aus Peter Grimes, op. 33 (1945): Moonlight, Storm

Fazit: Visuell gelungen, musikalisch spannend, ein sehenswertes Ballett.

Besetzung und Team:
Elisabeth I., Königin von England: Sophie Martin
Maria Stuart: Bridgett Zehr
Robert Dudley, Graf von Leicester: Ledian Soto
William Cecil, Baron von Burleigh: José Urrutia
Georg Talbot, Graf von Shrewsbury: Joshua Swain
Amias Paulet, Ritter, Hüter von Maria: Timoteo Mock
Mortimer, sein Neffe: Leonid Leontev
Hannah Kennedy, Amme von Maria: Francesca Berruto
Französischer Prinz: Pablo Octávio
Wilhelm Davison, Staatssekretär: João Miranda
Henker: Baris Comak
Gauklertruppe: Valentin Juteau, Carolina Martins, Alba Nadal, Louiz Rodrigues
Badisches Staatsballett, Studierende der Akademie des Tanzes Mannheim
Badische Staatskapelle und Staatsopernchor
 
Choreografie & Inszenierung: Bridget Breiner
Musikalische Leitung: Dominic Limburg a. G.
Chor: Ulrich Wagner
Musikszenario: Bridget Breiner, Daniele Squeo
Bühne & Kostüme: Jürgen Franz Kirner
Licht: Bonnie Beecher