Machtmißbrauch an Opernhäusern: «Wer sich wehrt, wird kaltgestellt»
titelt die Neue Zürcher Zeitung (und zwar hier) und bezieht sich in dem Artikel auch auf Peter Spuhler und Michael Fichtenholz. Durch den Artikel wird untermauert, was man in Karlsruhe spätestens seit letztem Jahr weiß: die Hierarchien im Theater sind in gewisser Weise altertümlich zurückgeblieben. Das selbstverliebte Führungspersonal verwendet zwar gerne den Zeigefinger, verglichen zur freien Wirtschaft herrschen Verhältnisse, die seit einiger Zeit überwunden schienen. Der in der Regel denunzierend eingesetzte Begriff des alten weißen Manns scheint in Wahrheit ein Attribut sich mit Tarnbegriffen wie divers oder bunt aufspielender Kulturmacher zu sein, die das Theater nicht nur in Karlsruhe zum Ort der Spießer und Heuchler gemacht haben. "Der Opernberuf ist ein toxischer Beruf", sagte die während Spuhler/Fichtenholz am Badischen Staatstheater engagierte Mezzosopranistin Katharine Tier der NZZ; "Allein in der Machtfülle, die ein Generalintendant innehat, ist der Machtmißbrauch potenziell angelegt.", wird Barbara Kistner als Vorsitzende des Personalrats am Staatstheater Karlsruhe zitiert.
Nicht nur in Karlsruhe sind Übergriffe bekannt, laut NZZ "erfuhren auch in der Schweiz 79% der Bühnenkünstlerinnen und -künstler während der vergangenen zwei Jahre sexuelle Belästigung; in Schweden demonstrierten 800 klassische Sängerinnen und Sänger gegen Übergriffe. Auch wenn ein Großteil der Menschen an den Opernhäusern sich korrekt verhält, wirft die Höhe der Quote Fragen auf. Weshalb wird die Bühne zum Tatort? Warum wehren sich Betroffene nicht stärker? Wieso sind die Täter kaum je namentlich bekannt?"
"Frauen und junge Männer sind von Belästigung besonders häufig betroffen"
Starre Hierarchien begünstigen den Machtmißbrauch. "Betroffen sind häufig die Mitglieder von Opernstudios, von
Jugendtheatergruppen oder junge Statisten. «Es ist viel zu wenig
bekannt, daß nicht nur Frauen, sondern auch junge Männer belästigt
werden», sagt das ehemalige Karlsruher Ensemblemitglied Katharine Tier."
Man mag es kaum glauben: "«Für Außenstehende ist es schwierig nachzuvollziehen, wie es zu den
Übergriffen kommt», sagt ein Schweizer Tenor, der nicht namentlich
genannt werden will. Natürlich gebe es das Quidproquo, die
Geschäftsverhandlung unter der Gürtellinie, bei der Rollen gegen
sexuelles Entgegenkommen angeboten werden. ...Viel öfter spielen sich die Übergriffe aber in einer Grauzone ab, wo sie
wenig fassbar sind. So habe ein homosexueller Regisseur, dessen
Annäherungsversuche er abgewiesen hatte, bei einer Wiederaufnahme einer
Mozartoper über den gesamten Abend hinweg eine homoerotische Annäherung
zwischen der Rolle des Tenors und einer zweiten männlichen Figur ins
Stück hinein inszeniert, schließlich sollten sich der Tenor sowie der
andere Sänger gegenseitig küssen und berühren. «Auf der Bühne fand
sozusagen meine Bekehrung zur Homosexualität statt. Das ist eine Form
von Erniedrigung, gegen die man sich kaum wehren kann.»"
"Zwischen einigen Intendanten kursieren offenbar schwarze Listen. Wenn
sich ein Künstler gegen Übergriffe oder Machtmißbrauch wehrt, erhält er
kein Engagement mehr", sagt die Vorsitzende des Personalrats am
Staatstheater Karlsruhe, "Wer sich wehrt, wird kaltgestellt.", bestätigt auch Mezzosopranistin Katharine Tier der NZZ.
In Karlsruhe wurde die Schweigespirale durchbrochen
Den Dramaturgen Dr. Boris Kehrmann sollte die Stadt Karlsruhe nachträglich für seinen Mut belohnen und einen Preis verleihen. Doch auch die Kulturpolitik hat auf die Veröffentlichung der Karlsruher Zustände mit Ablehnung und Kritik reagiert. Daß es Schweigeklauseln für Mitarbeiter gab, die das Badische Staatstheater entnervt verlassen haben, ist vielsagend. Daß weder OB noch Ministerin die Widerrufung der Schweigeklauseln ankündigen, ist bezeichnend. Man schützt die Täter und Verantwortlichen, statt sie in die Pflicht zu nehmen. Das Übergriffige ist das Hinnehmbare, solange es von den eigenen Verbündeten verübt wird. Heuchelnd empört mit dem Zeigefinger zu drohen, das hebt man sich immer nur für die passende Gelegenheit auf.
Die Spitze des Eisbergs
"An die Öffentlichkeit dringt kaum etwas davon. Ausgerechnet im Reich der schönen Töne herrscht eine Kultur des Schweigens.", schreibt die NZZ. Doch diese Vorfälle verdienen keine Diskretion, sondern konsequente Aufarbeitung. Es ist bezeichnend, daß Direktoren und Intendanten deutscher Theater sich nicht laut gegen die Zustände an den Theater äußern, daß es keine überregionale Solidaritätsbekundung von Führungskräften mit den Mitarbeitern am Theater gibt, kein System gefordert wird, daß die Theater wieder zu dem macht, für was der Steuerzahler viel Geld bezahlt: Orte der Hochkultur, die die Gelegenheit haben, das Besondere zu fördern, ohne dabei Gefälligkeiten bzw. Gefolgschaft zu fordern. Das letzte Karlsruher Jahrzehnt war hingegen von falschen Wertigkeiten geprägt. Dem Interimsintendanten stehen heikle drei Jahre bevor, um Konflikte zu bereinigen und Theater und Inszenierungen nach innen und außen zu modernisieren.
@anonym: Vielen lieben Dank für die Infos ;-)
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