Dienstag, 19. September 2017

1. Symphoniekonzert, 18.09.2017

Die neue Symphoniesaison startete vielversprechend und mit einem großartigen Beethoven.

Finnland hat nach Jean Sibelius (1865-1957) zwei weitere wichtige Komponisten hervorgebracht, Aulis Sallinen (*1935) und den im letzten Jahr verstorbenen Einojuhani Rautavaara (*1928 †2016), der u.a. 8 Symphonien, 6 Opern, viele Solokonzerte und Orchesterwerke sowie Chor- und Kammermusik geschaffen hat. Apotheosis ist der Name des letzten Satzes von Rautavaaras 6. Symphonie (1992), die wiederum Musik seiner Oper Vincentiana (1990) über Vincent van Gogh verarbeitet. Eine Apotheose des Künstlers und seiner Kunst nach Qual und Zweifeln, der Pfad zum Suizid ist kein Bestandteil, eher von dort zum Nachruhm, allerdings mit wenig theatralischer Wirkung. Die Musik ächzt zu Beginn unter einer Last, es tönt mit ausholender Steigerungsbewegung und endet etwas verklärend. Das Werk behauptet im Titel eine Apotheose und das ist mehr als es im Klang zumindest gestern wiedergab. Die Steigerung vermag nicht ganz überzeugen, die Musik klingt aber vielversprechend und als ob Entdeckungen im weiteren Rautavaaraschen Musikkosmos wahrscheinlich sind.
 
Peter Tschaikowsky komponierte sein Violinkonzert D-Dur op. 35 1878 am Genfer See in einem Zustand der Freude und Erleichterung nach einer Phase der Depression. Beliebt war das technisch sehr schwierige Werk beim Publikum erst mal nicht, geradezu berüchtigt ist das Urteil des damals maßgeblichen Musikkritikers Eduard  Hanslicks: „Friedrich Vischer behauptete einmal, es gebe Bilder, die man stinken sieht. Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob  es nicht auch Musikstücke gibt, die man stinken hört.“ Auch heute kann man noch Vorbehalte gegen dieses technisch so anspruchsvolle und schwierige Werk haben. Das expressive Element gelingt dann, wenn es nicht extrovertiert klingt, sondern verinnerlicht, im Ansatz introspektiv und analytisch und Tschaikowskys Zerrissenheit betont. Wenn das nicht erfolgt, kann die Violine eitel und angeberisch wirken, das Konzert rutscht ins Sentimentale und Selbstgefällige ab. Gerade die beiden wenig kontrastierenden ersten Sätze erfordern Gestaltungskraft, die Herausforderung: lyrisch statt sentimental, melancholisch statt jaulend und vor allem nie selbstverliebt und narzißtisch.Und genau das gelang: im ersten Satz Allegro moderato mit vorsichtig raumgreifender Geste, tastend und lyrisch - der erste Satz benötigte über 20 Minuten. Nach diesem Verzicht auf überfließende Emotion erklang das folgende Canzonetta. Andante melancholisch, fragil und sehr behutsam, die emotionalen Ausbrüche waren nie schmalzig oder triefend. Die Kontrastierung funktionierte im Finale -ein Allegro vivacissimo- nicht reibungslos, es war zwar beschwingt und schwungvoll und erfüllte seinen Zweck, das Publikum jubelte begeistert, es fehlte aber eine gewisse Robustheit und Gelöstheit, das Finale war zu brav und zu elegant. Die musikalische Gestaltungskraft des Solisten reichte für dieses Werk vielleicht doch noch nicht ganz, aber wer wollte das auch in diesem Fall bereits fordern? Der schwedische Violinist Daniel Lozakovich ist 16 Jahre alt. Der frühberufene und hochbegabte Geiger wird seit 2012 an der Karlsruher Hochschule für Musik ausgebildet und hat bereits viel erreicht: zahlreiche Preise, Auftritte mit Orchestern, Kammermusik mit renommierten Partnern und ein Plattenvertrag mit der Deutsche Grammophon. Der 2001 geborene Künstler steht vor einer großen Karriere und bewies gestern seine Ausnahmestellung vor vollem Haus. Ein Kraftakt im Staatstheater, den er spielerisch leicht mit souverän wirkender Technik und elegantem Spiel bewältigte, jeder Moment ein Hörgenuß. Als Zugabe folgte die Sarabande von Bach. Ein erinnerungswürdiger Auftritt des Solisten.

Die Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60 von Ludwig van Beethoven gilt manchen als unscheinbar und Schattengewächs zwischen der heroischen 3. und schicksalhaften 5. Symphonie. Die 4. hat keinen Furor, kein Aufbegehren, kein Trotz, kein Geheimnis. Das 1807 in einem Privatkonzert im Palais des Fürsten Lobkowitz uraufgeführte Werk ist vielmehr freundlich und gut gelaunt, die Poesie und Heiterkeit haben keine sinnfällige Programmatik, sie wirken dem Augenblick verhaftet und anlaßlos. Nur die langsame, unbewegliche Introduktion birgt einen unberechenbaren Moment, dann bricht die Sonne durch. Der spanische Dirigent Pedro Halffter verwandelte und gestaltete diese Symphonie gestern als großes und vollwertiges Beethoven-Werk, indem er ihr etwas brodelnd Temperamentvolles verlieh. Halffter dirigierte auswendig, ohne Partitur, und auch wenn man im Publikum nur seinen Rücken sah, hörte und sah man, mit wie viel Freude und Feuer er diese 4. interpretieren ließ. Die Badische Staatskapelle präsentierte sich in Bestform (von den Holzbläsern darf man schwärmen) und musizierte eine leidenschaftliche und mustergültige Beethoven-Symphonie. BRAVO!

Halffter scheint auch einer der Kandidaten für die Nachfolge von Justin Brown als neuer GMD zu sein(?). Die Auswahl an kompetenten Kandidaten macht es spannend, der zwischenmenschliche Faktor könnte den Ausschlag geben. Man hört gerüchteweise, daß eine Frau gute Chancen haben könnte: Joana Mallwitz, die aktuell Generalmusikdirektorin des Theaters in Erfurt ist, aber meines Wissens noch gar nicht in Karlsruhe dirigiert hat (?) [NACHTRAG: hat sie doch, DANKE für die Info!].  Wichtig ist nur, wer der Favorit des Orchesters ist. Wer auch immer in der kommenden Spielzeit neuer Generalmusikdirektor wird, das Orchester muß sich deutlich zu der Wahl bekennen. Politik und Intendanz sind keine kompetenten Entscheider, sondern lediglich Erfüllungsgehilfen.

5 Kommentare:

  1. Joana Mallwitz hat in der letzten Saison einmal eine Nozze di Figaro dirigiert mit sehr klarer Gestik, ich hatte das Gefühl, sie weiß, was sie will. Mir persönlich erschienen aber manche Tempi zu schnell, und alles mehr mechanisch; zuwenig "gemeinsam musiziert", zuwenig sanglich und sinnlich - aber das ist natürlich subjektiv.
    Ernst Ott

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    1. Herzlichen Dank Herr Ott für die Information, Mallwitz' Dirigat habe ich komplett übersehen, sie war laut Theaterheft für eine Clemenza di Tito vorgesehen, erst am Ende der letzten Saison, dann am kommenden Sonntag - an beiden Terminen wurde ihr Name dann ersetzt, ein Symphoniekonzert mit ihr ist gar nicht erst vorgesehen. Alle anderen Konkurrenten scheinen beides zu haben: Oper + Konzert.
      Mit Frank Beermann, Robert Trevino, Pedro Halffter und Constantin Trinks ist die Konkurrenz groß. Wenn man seinen Anspruch aufrecht erhält, einem jungen Dirigenten ein Karrieresprungbrett geben zu wollen, sind Mallwitz und Trevino vorne, Beermann mit seinen zahlreichen CD-Aufnahmen ist ein bekannter und renommierter Routinier, Halffter und Trinks sind die mittleren Kandidaten, nicht mehr sehr jung und auch keine festen Größen. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei ...

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  2. Von den genannten Kandidaten ist Trinks gewiss der arrivierteste: Paris, Zürich, Wien und München. Und er hat cojones: Vor sechs Jahren setzte er sich gegen einen Intendanten mit Allmachtsphantasien öffentlichkeitswirksam zu Wehr. Das könnte ja angesichts aktueller Umstände auch für den einen oder anderen Orchestermusiker ein Argument für Trinks sein... (F.Kaspar)

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  3. Die Vorfälle und Schlammschlacht in Darmstadt zwischen Trinks und Intendant John Dew haben ja einige Wellen geschlagen. Beide sollen die Lebenspartner des anderen als Sänger am Haus abgelehnt haben.
    Meine Favorit ist Trinks aktuell nicht, sein Symphoniekonzert fand ich zu unaufregend:
    https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.de/2016/11/2-symphoniekonzert-31102016.html

    Gestern bekam ich einen Hinweis aus dem Badischen Staatstheater (an dieser Stelle: vielen Dank für die Info), daß Mallwitz anscheinend sehr gute Chancen hat. Mitglieder der Verwaltungsrats sollen angeblich einen Ausflug nach Erfurt machen, um sich ein Symphoniekonzert von ihr anzuhören. Man hat wohl keinen Termin für sie im Karlsruher Konzertkalender gefunden. Daß Politiker auf Kosten des Steuerzahlers einen Ausflug machen, um ein Konzert zu hören, damit sie sich ein Bild von einem Kandidaten für den Posten des GMD machen können, klingt allerdings für mich wie eine Realsatire, es sei denn, die Entscheidung ist schon so gut wie gefallen und zum Kennenlernen macht man einen kleinen Gruppenausflug.

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  4. NACHTRAG: Heute habe ich erfahren, daß Mallwitz inzwischen abgesagt haben soll, sie hat anderswo anscheinend eine Zusage. Das Personalkarussell dreht sich also vielleicht wieder weiter ....

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