Jommellis Fetonte - das ist in Schwetzingen ein in jeder Hinsicht konventioneller und wenig auffälliger 1. Akt, gefolgt von zwei weiteren bemerkenswerten, eher kurzen und aufregenden Akten.
Ausgrabung zum 300. Geburtstag
Der Neapolitaner Niccolò Jommelli (*1714 †1774) war ein früher Gastarbeiter: 16 Jahre (1753-1769) war er Hofkapellmeister des württenbergischen Herzogs Karl Eugen (Schiller flüchtete 1782 vor dem Despoten, der seine Soldaten wie Sklaven verkaufte), der in Ludwigsburg das größte Opernhaus Europas errichtet hatte. Jommelli komponierte jährlich zwei Opern (zu dessen Namens- und Geburtstag), in der Summe 28 soll er für den Herzog geschrieben haben. Fetonte war seine letzte im Jahr 1768 und ein Monumentalprojekt zum 40.Geburtstag des Landesherrn: eine Prunkoper mit großem Aufwand, aber anscheinend so teuer, daß die finanziellen Mittel des Herzogs danach erschöpft waren und es keine weiteren Opern gab. 400 Statisten und 86 Reiter zu Pferde wurden angeblich benötigt, ganz abgesehen von fünfzig Musikern im Orchester und zahllosen Spitzensängern, darunter drei Kastraten. In Schwetzingen agiert man deutlicher reduzierter: nur mit den Solisten und mit einem halb so großen Orchester.
Worum geht es?
Fetonte, das ist Phaeton in der griechischen Antike, der Sohn einer Affäre des Sonnengottes Helios mit Klimene, der später verwitweten Königin von Nubien, die ihren Sohn mit ihrer Stieftochter Libia verheiraten will. Doch auch der König von Ägypten (Epafo) begehrt Libia, der König von Äthiopien (Orcane) hat ein Auge auf Klimene geworfen. Fetonte will seinen Anspruch auf Libia und den Thron durch den Beweis seiner göttlichen Abstammung festigen: er nimmt sich auf Anraten seiner Mutter den Sonnenwagen seines Vaters, überschätzt sich aber maßlos, stürzt ab, löst fast eine globale Katastrophe aus und verbrennt selber dabei. Libia stirbt ebenfalls, Klimene begeht verzweifelt Selbstmord.
Was ist zu sehen?
Die Bühne von Katharina Schlipf besteht auf variablen Elementen, die gedreht, auf- und zugeschoben werden können und das Königreich Nubien in eine Großindustriellenfamilie der 1950/60er Jahre verlegt. Man sieht in geschlossenem Zustand der Elemente eine holzvertäfelte Wand, Bar und Bibliothek. Fetonte wirkt verschüchtert, entscheidungsschwach und lebensfern - ein Hobby-Bastler und Tüftler, der die Gefahr seiner Aufgabe unterschätzt. Klimene ist Manager im Hosenanzug und militärisch wirkendem Mantel, Orcane und Epafo sind im edlen Zwirn, Libia ist eher unauffällig und brav. Sonnen-, Meeres- und Schicksalsgott treten phantasievoll auf. Die Inszenierung von Demis Volpi ist oft einfallsreich und überzeugt doch nicht immer. Volpi buchstabiert Emotionen und Situationen zwar richtig, aber etwas zu glanzlos, ohne den stimmigen Ausdruck, ohne die entsprechende Metapher zu finden. Gerade im handlungsarmen 1. Akt, in dem Personen und Haltungen in vielen Arien vorgestellt werden, wirkt seine Personenführung wie eine etwas sterile, aber bestandene akademische Übung. Volpi hat für jede Szene eine akzeptable, meistens aber nur halbwegs passende Antwort. Im 2. und 3. Akt spitzt sich die Handlung vor allem musikalisch zu und die Regie findet bessere Lösungen als zu Beginn.
Was ist zu hören?
Der 1. Akt dient dazu, die Personen und ihre Motivationen vorzustellen. Dies geschieht in Jommelis Komposition ohne besonderen Erinnerungswert und gestern mit anfangs unsicheren Solisten, die sich im Verlauf des Abends deutlich steigerten. Besonders auffallend ist die schöne und natürlich klingende Stimme des Countertenors Antonio Giovannini in der Titelrolle, der auch auf einer größeren Bühne wie Karlsruhe eine gute Figur machen sollte. Besonders hervorheben muß man auch Jeanine de Bique (Climene), Elisabeth Auerbach (Libia) und Artem Krutko (Epafo) mit sehr guten Leistungen und engagierten und guten Kollegen in den anderen Rollen..
Das Orchester Heidelberg ist unüberhörbar nicht für die Aufführungspraxis des Barock und Rokoko spezialisiert: der Klang ist immer wieder suboptimal. Dirigent Felice Venanzoni bringt mit seinem oft rauhen, energischen und flotten Dirigat dennoch viele Feinheiten unmittelbar zu Gehör uns trägt besonders in den musikalisch spannenden und mit wirkungsvollen Ensembles und Szenen ausgestatteten 2. und 3. Akt zum Erfolg maßgeblich bei,
Fazit: Eine weitere interessante Aufführung der Heidelberger Oper! Fetonte ist nicht durchgehend auf hohem Niveau und dennoch lohnt sich diese Oper aufgrund der sehr guten Akte 2 und 3 für Raritätenfreunde.
PS: Der Schriftsteller Wilhelm Heinse (*1746 †1803) erwähnt in seinem 1795 erschienen Roman Hildegard von Hohenthal Jommelis Fetonte und gibt in einem Dialog (zwischen Hildegard von Hohenthal und ihrem Musiklehrer Lockmann) einen Eindruck, wie ein Zeitgenosse Jommellis das Werk aufnahm. Auch vor 220 Jahren traf man schon treffende Urteile.
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Als er in das Zimmer trat, sah er sie über Jomelli's Fetonte
sich lustig machen. »Welch ein Einfall,« sagte Hohenthal, »den Sturz
Phaetons, Himmel und Erde und die Elemente in Brand, auf dem Theater
vorstellen zu wollen!«
Lockmann versetzte gleich darauf: »Es ist gewiß das albernste
Bretterspiel, durchaus ohne Verstand und Empfindung. Vielleicht hat der
Herzog selbst dem unsinnigen Dichter aus ältern Operntiteln das
Thema angegeben, und der große Tonkünstler mußte sein Genie dabei
mißbrauchen. Es ist aber auch in der Musik meistens nur sein Stil sichtbar. Wo der Text einigermaßen gut wird, ist er jedoch vortrefflich;
welches nur bei wenigen Fällen statt findet. Fast alles ist bloß für
Phantasie und Ohr gearbeitet.«
»Die zwei Könige Epafo von Ägypten, und Orcano von Äthiopien,«
fuhr Hohenthal fort, »sind die albernsten Fratzen, die ich auf dem
Theater kenne; und diese machen die ganze Verwickelung aus. Sie zwingen
den Phaeton zu beweisen, daß er ein Sohn des Phöbus sei.«
»Der Ausgang ist wirklich das possierlichste Zeug. Himmel und Erde
brennt; Jupiter zerschmettert den Wagen Phaetons mit einem Donnerkeil;
Libia, dessen Geliebte, stirbt in Ohnmacht; und Climene, die Mutter,
schwatzt noch lange mit den hundstollen Königen und stürzt sich darauf
ins Meer. Kein Schauspieler erstickt oder verbrennt, welches ordentlich
zum Lachen sein muß, bei dem ungeheuern Aufruhr aller Elemente; und das
Stück endigt sich mit Dunst und Rauch und dem Davonlaufen aller.«
»Sehr wahr,« sagte Lockmann lachend; »aber der Schluß in der Musik ist doch pittoresk und prächtig.«
»Der Herzog hat mit seinen großen Künstlern das Unmögliche möglich
machen, und ein glänzendes Feenspiel zum Erstaunen der guten Schwaben
für Augen und Ohren geben wollen.«
»Der Anfang gleich ist eine Zauberei nach der andern; die Symphonie
schön und neu. Das Andante macht die Anrufung der Climene an die Thetis
mit einem Chor tanzender Priester. Im Presto stürzt alles zusammen, und
Thetis erscheint in aller Pracht auf einem Thron. Die Arien sind für
äußerst geübte hohe Sopranstimmen. Der Chor der Tritonen ist ein
Meisterstück für ihren Charakter. Das Duett der Thetis und Climene
hat schöne Stellen; dann kommt freilich auch in der Musik Leeres und
Langweiliges. Der Abzug des Phaeton zur Sonnenburg ist das Beste; und
sein Duett mit der Fortuna, deren vom Vater erbetenen Beistand er aus
Stolz nicht annehmen will, das Wesentliche vom Ganzen.«
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Team und Besetzung
Fetonte: Antonio Giovannini
Climene: Jeanine de Bique
Libia: Elisabeth Auerbach
Teti / La Fortuna: Rinnat Moriah
Orcane: Namwon Huh
Epafo: Artem Krutko
Proteo / Il Sole: Philipp Mathmann
Philharmonisches Orchester Heidelberg
Musikalische Leitung: Felice Venanzoni
Regie: Demis Volpi
Bühne: Katharina Schlipf
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.