Brisantes Thema als leichte Unterhaltung
Seit der Premiere (mehr dazu findet sich hier) im Mai 2012 gehört Verrücktes Blut zu den Erfolgsproduktionen des Karlsruher Schauspiels. Die gestrige Wiederaufnahme zeigt weiterhin nur positive Qualitäten und hinterlässt weiterhin Fragezeichen. Es gab langen Applaus für eine fast runde Vorstellung. Zwei neue Schauspieler übernehmen Rollen: Johannes Schumacher ersetzt Simon Bauer als Hakim schon fast nahtlos, Jonathan Bruckmeier (anstelle von Matthias Lamp) als Ferit beeindruckt durch genaue Körpersprache.
Lachen über "Kanaken"?
Ist das Publikum der Infamie des Stückes auf die Schliche gekommen? Es
wird dazu verführt, über Boshaftigkeit, Gemütsrohheit und Brutalität zu
lachen und dieses Verhalten wie selbstverständlich mit ausländischen
Jugendlichen aus Problemgebieten zu verbinden. Man bedient Klischees -
doch einige werden darin auch Wahrheiten erkennen. Dabei geht es nicht
nur um Problemmigranten türkisch-arabischer Abstammung. Die
Zugehörigkeit zur Verliererschicht hängt nicht nur von der Herkunft ab,
sondern auch vom sozialen Umfeld und genetischer Prädisposition. Doch
daß eine Figur einen deutschen Vornamen trägt, fällt kaum auf.
Die Karlsruher
Inszenierung unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von der
Uraufführung. Während dort in der Schlußszene der Außenseiter Hasan die
Waffe rächend gegen das Publikum richtet, wird er hier zum
Verzweifelten, der die Waffe gegen sich selbst richtet. In Berlin
erfolgte am Ende die Abrechnung: 90 Minuten hat man sich auf Kosten der
stereotypen Bühnenfiguren amüsiert, lacht über pubertäre Proleten und muß sich dann dafür bedrohen lassen. Der Karlsruher Ansatz
appelliert an die Empathie des Publikums.
Wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt
Leute einschüchtern und bedrohen können die Figuren im Verrückten Blut gut (gestern war Ralf Wegner besonders bedrohlich). Doch der Ernst überholt das Spiel. Jedes Jahr gibt es in den Medien eine Diskussion über migrantische Jugendliche,
die durch Körperverletzung mit Todesfolge bundesweite Aufmerksamkeit
bekommen. Im November 2014 wurde in Offenbach die 23jährige Tugçe
Albayrak von einem aus Serbien stammenden
jungen Mann vor einem McDonalds erschlagen, weil sie zwei Mädchen zu
Hilfe kam. In den Jahren zuvor waren es Daniel S., der 2013 in
Niedersachsen
oder Jonny K., der 2012 in Berlin von türkischstämmigen Jugendlichen zu
Tode geprügelt wurde. Angesichts solcher Vorkommnisse wird dem einen oder anderen das Lachen beim Zuschauen vergehen.
In gewisser Hinsicht ein Mißerfolg?
In einem Radiogespräch mit dem
SWR machte Intendant Spuhler darauf aufmerksam, daß Verrücktes Blut ein
"bürgerliches Publikum" hat, also deutsche Staatsbürger und nicht die gewünschten Ausländer ins
Theater lockte, die ja selber viel zu inhomogen ist, als daß man
sie in Karlsruhe pauschal auf Türken und Araber reduzieren kann. Migrantisches Theater wird in Karlsruhe immer nur ausgesuchte Randgruppen bedienen können, eine migrantische Gemeinsamkeit ist genau so schwer zu adressieren, als ein muttersprachlich deutsches Publikum anzusprechen. Auch Quoten-Migranten im Ensemble, dem Inszenierungsteam oder an den Stabsstellen werden daran nichts ändern. Ist die verbindende Klammer personell, inhaltlich oder künstlerisch? Die Mischung macht's, das Verhältnis bleicht hochgradig diskutabel.
Fazit: Weiterhin eine klare Empfehlung und sehr gute Schauspieler. Auf jeden Fall ein ambivalentes Stück, bei dem Wahrnehmung und Wirklichkeit nicht für alle in Übereinstimmung gebracht werden. Im Endeffekt wird man sich bei Verrücktes Blut vielleicht einfach nur an eine rasante Komödie über ausländische Problemjugendliche und ein Plädoyer für eine bundesdeutsche Leitkultur erinnern.
PS: Im Januar hat die Karlsruher Neuinszenierung von Schillers Räuber Premiere. Man darf gespannt sein, wie die Gebrüder Moor in dieser Gewaltgeschichte abschneiden.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.