Was ist bloß mit dem Karlsruher Schauspiel los?
Gerade mal
noch 11 Premieren im Schauspiel (einschließlich Projekt-Theaters, aber abzüglich Doku- und Volkstheaters) wird man in der kommenden Saison auf die Beine stellen, vor zwei
Jahren waren es noch 15, Knut Weber brachte 2004/2005 sogar 18 einschließlich vier Downtown-Projekte. Dazu kommen nun nach drei Jahren viele Abgänge und Wechsel im Ensemble - von einem eingespielten Team ist man weit entfernt und es fehlen Hauptrollendarsteller.
Sinnkrise und Orientierungsprobleme
Das Schauspiel ist seit dem Intendanzwechsel die Problemzone des Badischen Staatstheaters. Die erste Spielzeit (mehr hier) hatte das Temperament eines abgestandenen kalten Kaffees, in der folgenden Saison (mehr hier und hier) wurden die Defizite noch deutlicher. Man mußte viel experimentieren und brachte keine überzeugende individuelle Linie auf die Karlsruher Bühne: zwischen Anspruch und Unterhaltungswert stimmte die Balance zu selten. In seinen besten Momenten konnte das Karlsruher Schauspiel in den letzten drei Jahren gerade noch Normalniveau erreichen, aber den Qualitätsverlust kann man nicht verbergen: inhaltlich und darstellerisch bleibt man defizitär und wirkte immer wieder hilf- und ratlos. Das Karlsruher Schauspiel ist in der Sinnkrise - es weiß nicht, warum und für wen es da ist und versucht sich verkrampft zu legitimieren. Das Programm hatte in dieser Spielzeit erneut programmatische Defizite durch seinen beengenden Zielgruppencharakter (mehr dazu hier im ersten Teil des Rückblicks). Einiges war nicht fürs Schauspielpublikum gemacht und sollte nur spezielle Gruppierungen ansprechen. Grundlegende Besserung zu 2012/13 konnte nicht erreicht werden.
Charisma-Leck
Nur noch wenige profilierte Schauspieler sind vorhanden: mit Lisa Schlegel, André Wagner und Gunnar Schmidt sind die wichtigsten Akteure nun bereits über 10 Jahre Säulen des Hauses. Viele der neuen Schauspieler, die in den letzten drei Jahren noch die besten Eindrücke hinterlassen haben, gehen zum Ende der Spielzeit. Man kann den Eindruck haben, es handele sich um eine Massenflucht. Timo Tank, Georg Krause und Robert Besta haben das Haus ebenfalls verlassen. Nach drei Jahren haben sich kaum neue Publikumslieblinge herauskristallisiert, gegen frühere Schauspieler wie die bereits genannten oder Tom Gerber, Stefan Viering, Jörg Seyer und Sebastian Kreutz hätte sich keiner durchsetzen können. Sympathische Ausnahmen gibt es, die auch schon früher das Ensemble sinnvoll und passend ergänzt hätten, aber an Charisma und Spielfreude konnte Jan Linders mit seinem Team nie an die frühere Leistungsfähigkeit anknüpfen.
Zwischen Spannung und viel Langeweile - die Spielzeit 2013/14
Bei den Darbietungen gab es Licht und Schatten: Endstation Sehnsucht war eine große Enttäuschung mit Ansage. Dazu ein akzeptabler Sommernachtstraum, der aber nie die Qualität der beliebten Inszenierung von 2006 erreichte, eine etwas zu spröde Ausgrabung mit Gas I+II, aber immerhin zwei hervorragend ausgesuchte Komödien (Richtfest und Benefiz) und ein originell gelungener Schiller (Kabale und Liebe), der nicht auf schulisches Zielpublikum reduziert war. Ansonsten wenig Bemerkenswertes. Erfolgreich ist man also inzwischen mit den Schüler-Theaterstücken, den
Komödien, den Singspielen und auch das KSC-Stück scheint beim breiten
Publikum gut angekommen zu sein. Also eine durchaus ordentliche Ausbeute, quantitativ hat man die Kurve anscheinend bekommen, qualitativ aber noch nicht. Gerade die letzten Monate waren öde und langweilig. Und nach drei Jahren hat man in der Summe auch zu wenig Besonders
produziert; der graue Alltag des Mittelmaßes dominiert.
Was ich im ersten Teil des Rückblicks schrieb, gilt besonders in
dieser Sparte. Zumindest kann man der Schauspieldirektion gutschreiben, daß sie einige der bisherigen Defizite anscheinend erkannt hat und daran arbeitet. Um eine frühere Formulierung zu wiederholen: Das Training-on-the-job
scheint Lerneffekte generiert zu haben. Die nächsten Chancen, Karlsruhe
als Schauspielstadt wieder aus dem Schattendasein zu heben, kommen in
der nächsten Spielzeit. Vielleicht kann man die Entwicklung in Richtung
qualitativer Normalität vorantreiben und man verlässt die Problemzone.
Am Ende der Abwärtsspirale? Neustart und "radikales" Schauspiel
Man schwärmt am Badischen
Staatstheater von seinem "radikalen" Schauspielprogramm der kommenden Spielzeit 2014/15 - doch der Spielplan bietet nichts Radikales! (Was ist denn auch radikal? Radikal ist, wer das
Gefühl für das richtige Maß verloren hat. Radikal ist, wer auf Biegen
und Brechen unbedingt etwas ändern will, ohne Rücksicht auf Verluste). Dem Karlsruher Schauspiel mangelt es an Einfällen, an Zauber, an Ausdruck, an Spannung. Errungenschaften hat man nach drei Jahren fast nicht aufzuweisen. Hoffentlich gelingt es nächste Spielzeit, die Schauspieler wieder stärker in den Mittelpunkt zu stellen und den neuen Ensemble-Mitglieder die Chance zu geben, ihr Potential auf der Bühne auszureizen. Man benötigt in Karlsruhe endlich wieder stärkere Schauspieler und mehr besser ausgesuchte und umgesetzte Stücke.
Fazit: Es fehlt etwas! Genügsam ist man in den drei letzten Spielzeiten im Schauspiel des Badischen Staatstheater geworden. Man bleibt dort unter seinen Möglichkeiten. Virtuoses Schauspiel und Freude am Spiel, Phantasie und Enthusiasmus findet man als Schauspielbesucher zu selten, um das, was vom Sprechtheater übrig geblieben ist, pauschal zu loben. Besserungen waren zu Beginn dieser Spielzeit vorhanden.
Doch nach der Spielzeit ist vor der Spielzeit. Ein durchaus interessanter, wenn auch stark reduzierter Spielplan für 2014/15, acht neue Schauspieler kommen
ins Ensemble und innerhalb von drei Jahren hat mal alle Dramaturgen
ausgetauscht. Vielleicht wird man die Chance auf den Neustart nutzen und beweisen, daß man es doch kann, auch wenn man nur magere elf Premieren auf die Beine/Bühne stellen wird.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.