Dienstag, 4. März 2014

Händel - Rinaldo, 03.03.2014

Die Sitten verfallen schon immer und immer wieder, eigentlich ständig, und auch in London vor 300 Jahren war das puritanische Bürgertum nicht begeistert vom Big Business des kommerziellen Kunstbetriebs der italienischen Oper, die findige Geschäftsleute mit adliger Unterstützung für die feine und zahlungskräftige Londoner Gesellschaft einführen wollten. Vor Händel gab es keine erfolgreichen Ansätze dazu. Rinaldo (Premiere 1711) war auch noch nicht der Durchbruch, aber die erfolgreiche Initialzündung. Die für die damalige Zeit spektakulär-effektvolle Inszenierung in Kombination mit Händels Musik war ein Überraschungserfolg mit Folgen. Es folgte u.a. 1713 Teseo (2015 in Karlsruhe zu hören) und 1720 begann dann mit dem Sensationserfolg Radamisto der regelmäßige Londoner Opernbetrieb für Händel.
Rinaldo ist Händels siebte von 42 Opern. 30 Jahre später im Jahr 1741 ertönte Händels letzte Oper Deidamia in London. Danach war er als Oratorienkomponist tätig und mit biblischen Themen in englischer Sprache und in nicht-szenischer Darstellung aktualisierte Händel sein Kunstkönnen marktgerecht als religiöse Erbauung.
 
Zauberoper im Marionettengewand
Das Sujet um den Kreuzritter Rinaldo und die Zauberin Armida ist prädestiniert für eine phantastisch-illusionsreiche, also anti-naturalistische Interpretation und die Idee zur Umsetzung mit Marionetten erwies sich beim Karlsruher Publikum als großer Erfolg. "Alte Musik und altes Handwerk" - das Mailänder Marionettentheater Carlo Colla & Figli  zeigt liebevoll und oft auch humorvoll gemachten barocken Bühnenzauber, also all das, was eine konventionelle Darstellung von Händels Rinaldo sonst nicht zeigt: Ritter reiten auf Pferden über die Bühne, Drachen fliegen durch die Lüfte, Tempel versinken im Erdboden, Armeen prallen aufeinander, Armida verwandelt sich durch Drehung eines Bühnenelements in Almirena und wieder zurück. Die Bühne ist ca. acht Meter breit, die Figuren ca. 100-120 Zentimeter hoch. Zum Schlußapplaus hoben sich dann alle Vorhänge und zeigten die Bühnentechnik und die zehn Marionettenspieler, die einen starken Extrajubel bekamen.

Was ist zu hören?
Die engagiert und schön musizierende Lautten Compagney Berlin spielte Rinaldo mit 25 Musikern - Anhänger historischer Klein- und Kleinstensembles  werden das eventuell mögen, aber tatsächlich verlangt Rinaldo nach einem größeren Orchester. Und gerade nach dem Vergleich mit Riccardo Primo wird mal wieder deutlich, was die Karlsruher Händel Festspiele im Kern ausmacht - das extra aus Experten gebildete Festspielorchester der Deutschen Händel-Solisten  mit seinen 40 Musikern erzeugt einen differenzierteren Klang als gestern die Lautten Compagney, die immer wieder etwas zu dünn klang. Nur die Trompeten wurden extra für Karlsruhe nachgerüstet und auf vier erhöht, um den militärischen Szenen Schwung und Glanz zu verleihen.
Die Sänger im Orchestergraben zeigten eine sehr gute und sehr ausgeglichene Leistung, bei der es schwer fällt, jemand hervorzuheben - Hagen Matzeit, der Sänger der Titelpartie, hat es trotzdem verdient. Sein Rinaldo war sicher und klangschön gesungen, wie überhaupt alle Stimmen sehr gut zusammengestellt waren und eine individuelle Charakterisierung ermöglichten. Bravo!
Händels Oper ist in dieser Version deutlich gekürzt, wahrscheinlich auch mit Rücksicht auf die körperliche Anstrengung für die Marionettenspieler und die Ausdrucksmöglichkeiten der Figuren, die sich bei den langen ABA' Arien doch erschöpfen würden. So geht die Vorstellung weniger als drei Stunden, statt mehr als vier. Das nicht überanstrengte Publikum dankte für diese kurzweilige Umsetzung mit viel Applaus und Bravos

Fazit: Der Erfolg dieses Gastspiels, das eine Produktion u.a. der Händel Festspiele Halle und des Theaters Winterthur ist, war vorauszusehen und begeisterte auch in Karlsruhe das Publikum. Nicht nur für Barock-Experten, sondern auch für Händel-Einsteiger und Freunde der Augsburger Puppenkiste zweifellos eine zauberhafte Produktion, die man auch zukünftig erneut ins Programm nehmen könnte.

PS: Unter den über 40 Opern von Händel finden sich beliebtere und weniger bekannte Werke, doch Rinaldo gehört neben Julius Cäsar, Ariodante und Alcina, Rodelinda und Radamisto zweifellos zu den bekanntesten und beliebtesten barocken Bühnenkompositionen und auch bei den Karlsruher Händel Festspiele ist Rinaldo bereits selber inszeniert worden (1981, R: J.L. Martinoty) und war als Gastspiel der Frankfurter Musikhochschule Frankfurt zu hören (2010).
 
Besetzung und Team
Rinaldo: Hagen Matzeit
Almirena: Olivia Vermeulen
Armida: Gesche Geier
Goffredo: Yosemeh Adjei
Argante: Tobias Berndt
Mago: Florian Götz
Eustazio: Artem Krutko

Musikalische Leitung: Wolfgang Katschner
Lautten Compagney Berlin

COMPAGNIA MARIONETTISTICA CARLO COLLA E FIGLI
Mailänder Marionettentheater Carlo Colla & Figli
Regie: EUGENIO MONTI COLLA
Technische Leitung: TIZIANO MARCOLEGIO
Licht: FRANCO CITTERIO
Übertitel: BABETTE HESSE
Produktionsleitung; ARTIE HEINRICH
Gemeinsame Produktion der Händel Festspiele Halle, des Theaters Winterthur, der
Associazione Grupporiani Milano, der Comune di Milano und der Lautten Compagney
Berlin.

2 Kommentare:

  1. Hallo Herr Kritiker,
    ich möchte doch einmal meinen Respekt für Ihre beeindruckende Seite aussprechen. Was Sie unter "Zur Intention" geschrieben haben, spricht mir aus der Seele. "... private Stimmungsbilder, die kurz nach der Aufführung spät abends entstehen und mir als persönliche Erinnerung an meine unmittelbaren Eindrücke und Gedanken dienen". In der Tat, darum dreht es sich. Was mich außerdem positiv stimmt, ist Ihr kontinuierliches Engagement für das Haus vor Ort, für das man Kraft, Begeisterungsfähigkeit, Herz und analytischen Verstand investiert - und das man mit seinen Besuchen unterstützt.

    Mein Interesse rührt übrigens auch daher, dass ich in den frühen 90er Jahren öfters im Badischen Staatstheater war. Mein "Stammhaus" war damals die Stuttgarter Oper. Ich habe in Karlsruhe den Ring von Neuhold gesehen - ich erinnere mich noch sehr gut an das hervorragende Siegfried-Finale -, Macht des Schicksals, Hindemith und ein gutes Dutzend weiterer Opern. Und dann mit dem letzten Zug zurück nach Stuttgart. Dass Sie von Karlsruhe auch das nahe Baden-Baden besuchen können, ist natürlich ein zusätzlicher Anreiz, Ihren Blog zu lesen. Vielleicht besuchen Sie auch eines der diesjährigen Osterfestspielkonzerte der Berliner Philharmoniker und berichten von Ihren Eindrücken.

    Mit freundlichen Grüßen
    Anton Schlatz

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    1. Vielen Dank Herr Schlatz für die freundlichen Worte! Ich kenne Ihren Blog, seitdem ich mich über den Auftritt von Heidi Melton in Berlin informieren wollte und halte mich gerne bei Ihnen über die Berliner Geschehnisse auf dem Laufenden.
      Wobei ich mich selber nicht als "Kritiker" sehe. Wahrnehmungen und Stimmungen sind die Quelle für momentansten Ausdruck. Meine Äußerungen sind durch meinen augenblicklichste Verfassung geprägt, also frische Eindrücke und momentane Gegenwart, in der unberechenbare Elemente sich mischen - ein ständiges Sichinbezugsetzten, ein Tagebuch innerer Momentaufnahmen und der Versuch, Gefühle in Denkausbrüche zu verwandeln. Für meine Zielgruppe soll das ein Beispiel sein, daß Opern- und Theaterabende mehr sind als Unterhaltung, sondern auch Anreiz und Anregung, wobei auch negative Gefühle, Unzufriedenheit und Ärger auftreten können.
      An die Vorstellungen Ihrer Besuche in Karlsruhe kann ich mich noch gut erinnern: Hindemiths Cardillac mit Günter von Kannen und der viel zu selten gespielte Martinoty Ring.
      Nach Baden-Baden fahre ich dieses Jahr aufgrund des späten Ostertermins aus familiären Gründen nicht. Manon Lescaut verpasse ich leider.
      Ich habe auf Pfingsten gesetzt: Gounods Faust mit Erwin Schrott, die Netrebko hat ja gerade erst leider abgesagt. Hoffentlich nutzt eine andere Sängerin diese Chance.
      Viele Grüße nach Berlin
      H.S.

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