Dienstag, 18. September 2012

1. Symphoniekonzert, 17.09.2012

Die neue Konzertsaison begann mit Frühwerken dreier Komponisten, die auf ganz unterschiedliche Weise Auskunft geben über das Werden eines Komponisten.

Benjamin Britten
(1913-1976) schrieb keine Symphonien. Die Sinfonia da Requiem (op.20, im Jahr 1940 im Alter von 26 Jahren komponiert) ist allerdings ein orchestral-symphonisches Werk; es ist ca zwanzigminütig, dreiteilig und ohne liturgischen Text. Mit Trommelschlägen beginnt das Lacrymosa (Andante ben misurato), dessen Gestus klagend und protestierend ist. Das Dies Irae (Allegro con fuoco) ist bedrohlich, das abschließende Requiem Aeternam (Andante molto tranquillo) dann friedvoll und im Ansatz versöhnlich. Ein sehr interessantes Stück und eine sehr spannende Entdeckung, die Justin Brown ins Programm genommen hat und so engagiert präsentierte, daß man danach bedauerte, daß sich Britten nicht weiter als Symphoniker entwickelte.

Der Komponist Thomas Adès, der 1971 in London geboren ist, gilt als der wichtigste zeitgenössische britische Komponist seit Benjamin Britten. Schon früh wurden seine ersten Werke aufgeführt und bei EMI auf CD veröffentlicht. Dirigenten wie Simon Rattle und Kent Nagano förderten ihn. Seine Musikstil ist -z.B. im Vergleich mit Wolfgang Rihm- geradezu konventionell und eingänglich. Gestern nun wurde er auch zum ersten Mal in Karlsruhe gespielt. Das kurze, ca. zehnminütige Werk … but all shall be well (op.10 aus dem Jahr 1993) zeigt sein großes Gespür für Instrumentierung und klangliche Wirkung, ist aber nicht unverwechselbar und hinterließ keinen besonderen Eindruck. Es diente lediglich der Entspannung zwischen Britten und Brahms.

Nach der Pause dann der mit Ungeduld erwartete Höhepunkt des Abend - das 1. Klavierkonzert op.15 von Johannes Brahms (1833-1897). Die Uraufführung 1859 in Hannover war ein Fiasko und auch heute hat es gelegentlich aufgrund der anti-virtuosen Klavierbehandlung den Ruf, ein Konzert für Orchester mit obligatem Klavier zu sein, bei dem es keinen technisch herausfordernden Satz für den Solisten gibt. Das Konzert fordert dem Pianisten trotzdem immens viel ab: die Transparenz der polyphonischen Sätze ist die schwierigste Aufgabe. Als Pianist war ein großer Name zu hören: Boris Berezovsky. Er gewann 1990 den 1. Preis beim renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Im Juni 1992 war er zum ersten Mal in Karlsruhe: damals gab er eine beeindruckende, starke Interpretation von Tschaikowskys 1. Klavierkonzert. Inzwischen hat er eine umfangreiche CD-Diskographie eingespielt und weitere Preise gewonnen. Sein Auftritt wurde seinem großen Ruf gerecht.
Der erste Satz ist gekennzeichnet durch Themenfülle, zusammenprallende Themen, eine ungestüme Radikalität und soll unter dem schockierenden Eindruck eines Selbstmordversuchs von Robert Schumann entstanden sein. Justin Brown spielte den ruppigen und bedrohlichen Anfang mit finsterer Energie. Das Klavier begann mit einem freien und atmenden Gestus, der fast schon improvisiert wirkte, doch unmerklich leitete Berezovsky zur dramatischen Zuspitzung über, die dann wieder von einem freundlichen Seitenthema kontrastiert wird. Sehr schön, wie souverän Berezovsky immer wieder die exponierten Stellen spielte, an denen ihm Neues abgefordert wird.
Das war auch sein Erfolgsgeheimnis bei der gestrigen Aufführung: der Pianist fand den organischen Weg durch die kantige und von sprunghaften Wechseln geprägte Partitur und präsentiere Brahms mit voluminösem und leidenschaftlichem Klang. Das mittlere Adagio (fast ein Requiem-ähnlicher Anklang nach Schumanns Tod und damit auch die Verknüpfung zu Brittens Requiem am Beginn des Abends) nahm bei ihm einen versonnenen Charakter an, das abschließende Rondo endete leidenschaftlich klang- und schwungvoll. Eine herausragende Leistung, die lange bejubelt wurde und auch das Orchester beklatschte Berezovsky stark. Als Zugabe wurde das Ende des Konzerts wiederholt.

Justin Brown und die Badische Staatskapelle zeigten einen sehr guten Start in die Saison.


PS(1): Die Stimmung zwischen Orchester, Berezovsky und Brown wirkte so herzlich, daß es diesmal hoffentlich nicht so lange dauern sollte, bis Berezovsky erneut nach Karlsruhe kommt. Rachmaninows 2. oder 3  bzw. Prokofiews 2. oder 3. Klavierkonzert wären doch geeignete Kandidaten für eine Fortsetzung!?! Ein anderes großes Frühwerk Benjamin Brittens war auch lange nicht mehr in Karlsruhe zu hören: sein Klavierkonzert op.13.

PS(2): Etwas Geschichtliches - Brahms selber war der Pianist seines ersten Konzerts bei der ersten Aufführung der Badischen Hofkapelle unter Hermann Levi am 3. November 1865. Brahms' 1. Symphonie erlebte dann bekanntermaßen seine Uraufführung in Karlsruhe am 4. November 1876, dirigiert von Felix Otto Dessoff.

7 Kommentare:

  1. Die Sinfonia da Requiem von Britten lebt meines Erachtens vom Übergang zwischen dem düsteren und dann auch dramatischen ersten Satz zum fast schon Jenseitigen im dritten Satz. Ein Spannungsbogen, welcher durch die Staatskapelle schön herausgearbeitet wurde.

    Ich teile die Meinung von Honigsammler bzgl. der Komposition von Ades, dem zweiten Stück des Abends. Viele "Soundeffekte" der Perkussion scheinen mir mehr in das Genre der Welt- oder Filmmusik zu passen. Es stimmt, man wird das Stück bald wieder vergessen haben.

    Der Kopfsatz des Brahmsschen Klavierkonzertes hätte ideal zum düsteren ersten Satz der Britten-Komposition gepasst, hätte die Staatskapelle hier nicht allzu "beherzt" aufgespielt. Dieses Werk lebt meines Erachtens insbesondere davon, dass die Dramatik mehr latent bleibt; die Eruption wird eher gehemmt als dass sie sich voll entfalten kann.

    Im zweiten Satz brillierte der Solist am Klavier; leider in den Piano-Passagen manchmal gestört durch die "Einwürfe" der Bläser des Orchesters.

    Der dritte Satz versöhnte hier durch das in der Tat sehr gute Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester.

    Auch ich bin gespannt auf ein Wiedersehen (oder besser Wiederhören) mit Beresovsky!

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    1. Vielen Dank! Die Zusammenstellung der Stücke von Britten und Brahms war wirklich ein sinnvolle Kombination von Justin Brown und Brittens Sinfonia da Requiem, die ich als Aufzeichnung zwar kannte, war für mich eine Entdeckung und hinterließ auf mich life im Konzert einen viel stärkeren Eindruck als erwartet.
      Sie haben Recht: es war im 1. Satz eher eine direkte Dramatik bei Brahms, keine latente. Das gelegentliche Auftrumpfen des Orchesters gefiel mir, wie ich auch den ganzen Brahms als idiomatisch empfand. Es gab ja eine Aufzeichnung für den SWR; Auf die Radio-Übertragung bin ich gespannt.

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  2. Ich habe zwei Fragen an den Honigsammler.

    1.In Ihrer Bericht handelt es sich um die zweite Aufführung (am 17. Sep.) des 1. Sinfoniekonzerts, stimmt's? Ich frage deshalb danach, weil ich bei der ersten Aufführung (16. Sep.) anwesend war und auch an diesem Tag das Ende des 3. Satzes als Zugabe gespielt wurde. Ich wurde dadurch überrascht: Erstens, da ich von meinen Erfahrungen weiß, dass Berezovsky normalerweise nach einem Klavierkonzert gerne ein Solo-Stück als Zugabe spielt. Zweitens, da er die Wiederholung als Zugabe völlig anders als vorher spielte - mit schnellerem Tempo, mit mehr Fluss, mit mehr Inspiration. Ehrlich gesagt, ich denke er war an dem Tag nicht unter seiner besten physischen Verfassung. Seine linke Hand bewegte sich manchmal ein bißchen träge. Das war nicht normal für ihn. Obwohl ich einräume, dass seine Interpretation wirklich tief-dringend, hinreißend war.

    2.So dachte ich, dass er in der zweiten, dritten Aufführung dasselbe Konzert völlig anders spielen wird (und er ist sowieso ein Interpret, der immer auf der Bühne improvisiert). Deshalb bin ich höchstens interessiert für die SWR2-Übertragung.
    Können Sie, Honigsammler, mir die Auskunft geben, wie ich die Übertragung nicht verpassen kann? Wie kann man wisssen, wann sie erfolgen wird? Kann man SWR2 auch im Internet hören?

    Vielen Dank!

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    1. Danke für die Anmerkung!
      Seine Interpretation von Rach 2, dessen Link Sie angegeben haben, mag ich auch am liebsten :)

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  3. Herlichen Dank für die Anmerkungen.
    Ich war am Montag und hatte ebenfalls den Eindruck, daß die Zugabe schneller und anders gespielt wurde: Berezovsky machte aus dem 'Allegro non troppo' des Rondo ein klares Allegro. Die linke Hand fiel mir am Montag nicht auf - für mich war er beidhändig grandios.

    Es dauert für gewöhnlich einige Monate bis der SWR (auch im Internet hörbar: http://www.swr.de/swr2/) die Aufzeichnung bringt. Für gewöhnlich infomiert die Internetseite des Badischen Staatstheater darüber. Ich werde den Termin auch bekanntgeben, wenn ich ihn rechtzeitig erfahre.

    Schade, daß ich kein koreanisch kann, sonst würde ich Ihren Blog gerne lesen!

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    1. Besten Dank für die wichtigen Informationen! Ich vermute schon, dass die zweite und dritte Aufführung besser als die erste gewesen war. Sein Brahms-repertoire war seit vielen Jahren auf das 2. Konzert und die erste und dritte Sonate eingeschränkt (soweit ich weiß, spielte er dieses 1. Konzert erst nach langer Zeit in Karlsruhe wieder).

      Ich habe noch eine Ursache Ihnen zu danken, lieber Honigsammler. Erst durch Ihren Blog konnte ich mich über diesen Konzerttermin informieren! Ich promoviere in Tübingen und es war für mich das erste Mal, lediglich um eines Konzerts willen nach einer anderen Stadt gefahren war :-) Übrigens, das Karlsruher Publikum war das beste, das ich jemals erlebt habe. In Tübingen z. B. husten alte Leute zu viel ;-)

      Ich konnte am Sonntag nach dem Konzert mit dem Solisten kurz reden, und er hat mich darauf hingewiesen, dass sein Recital in der nächste Woche durch Internet übertragen wird (http://www.medici.tv/#!/boris-berezovsky-tribute-to-brigitte-engerer-auditorium-du-louvre-2012). Begeistert hat er von der "Sonata Romantica" von Medtner erzählt, die neu in sein Repertiore aufgenommen ist. Das Recital wird zunächst aus Louvre in Paris live übertragen und danach 60 Tage lang kostenlos abrufbar sein.
      Das war eine Information für alle, die Berezovsky gerne kören.

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    2. Es freut mich, daß sich der Besuch in Karlsruhe für Sie gelohnt hart. Es ist -verglichen mit manchen anderen Städten- wirklich ein sehr gutes und sehr herzliches Publikum, daß konzentriert zuhören kann.
      Und vielen Dank für den Hinweis zum Konzert aus Paris. Die "Sonata Romantica" von Medtner kenne ich noch nicht und bin schon neugierig.
      Viele Grüße nach Tübingen!

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