Sonntag, 22. Januar 2017

Rokokotheater Schwetzingen: Zingarelli - Giulietta e Romeo, 21.01.2017

Schönes Kleinod im Rokokotheater
Der Winter in Schwetzingen des Heidelberger Theaters präsentierte in dieser Saison ein weiteres, aber spätes Werk der von Alessandro Scarlatti begründeten neapolitanischen Opernschule: Niccolò Antonio Zingarelli (1752-1837) komponierte Giulietta e Romeo in angeblich nur acht Tagen, am 30. Januar 1796 war die Premiere an der Mailänder Scala. Die Oper zwischen Rokoko und Belcanto erfuhr nach konzertanten Vorstellungen bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2016 im Schwetzinger Rokokotheater die erste szenische Neuproduktion seit 187 Jahren und erwies sich dabei vor allem sängerisch und musikalisch als schöne Entdeckung.

1829 soll Zingarellis Oper zuletzt szenisch aufgeführt worden sein, bis dahin stand sie in der Gunst von Publikum und Sängern - Romeo war eine Lieblingsrolle der berühmten Mezzosopranistin Maria Malibran (1808-1836) bevor sie zur ersten Diva für die Werke Rossinis, Donizettis und Bellinis wurde; Bellini war Zingarellis Schüler.

Worum geht es?

Wie auch bei Bellinis I Capuleti e i Montecchi ist Shakespeares Romeo und Julia nicht die direkte Vorlage, Librettist Giuseppe Maria Foppa konzentriert sich auf wenige Personen. Wegen Romeo weigert sich Julia kurz vor der geplanten Hochzeit, Teobaldo zu heiraten, der sich daraufhin mit Romeo duelliert und stirbt. Romeo flieht, Gilberto (hier weder Mönch noch Arzt, sondern ein ungeschickt agierender Vermittler) gibt Julia den Trank für den Scheintod, Romeo vergiftet sich, Julia erwacht und zusammen besingen sie ihre unglückliche Liebe. Julia begeht nach Romeos Tod vor den Augen ihres Vaters Everardo, dem sie noch schwere Vorwürfe macht, Selbstmord.
      
Was ist zu hören?
Musikalisch sind für heutige Ohren Handlung und Musik nur durch lockere Bande verknüpft, mit eleganter Melodik umschifft man die Klippen der Verzweiflung, eine traurige Oper ist hier überwiegend noch nicht traurig, niemand wird eine Träne vergießen, die Dramaturgie will nicht wirken, sondern in Affekten und Melodien schwelgen. Die Partitur hat viele schöne Momente, in der abschließenden Gruftszene erreicht Zingarelli dann auch teilweise dramatisch starke Phasen. Die Konzentration gehört den Sängern und die sind in Schwetzingen sehr gut besetzt, vor allem drei Namen sollte man sich merken und empfehlen sich nachdrücklich für höhere Aufgaben. Da ist als erstes der starke Hauptdarsteller. Der Romeo ist mit einem Countertenor besetzt: Kangmin Justin Kim begeistert durch ein sehr schönes Timbre, klare und unangestrengte Höhe und vor allem gelingt es ihm herausragend gut, seinem Gesang Emotionalität zu verleihen - Kim klingt nie pauschal oder blaß, sondern stets farbig, abwechslungsreich und spannend. Mit dieser Rolleninterpretation empfiehlt sich Kim für Größeres. Als Giulietta hat man die britische Mezzosopranistin Emilie Renard verpflichtet und auch sie dürfte Karriere machen: sie ist bühnenpräsent und gestaltet mit souveräner und sicherer Stimme. Ihr Engagement wurde finanziell ermöglicht durch Produktionspaten - und das hat sich gelohnt. Renards und Kims Duette vermitteln ein wenig ein Aha-Erelebnis - von Zingarelli hat Bellini hörbar etwas gelernt.  Und dann ist da noch Zachary Wilder als Everardo, dessen ausdrucksstarker Tenor für Barockrollen prädestiniert scheint und nur durch leichte Einengungen in der Höhe beeinträchtigt klang, aber das kann bei einem kalten Winter auch naheliegende Ursachen haben. Drei sehr gute Routiniers ergänzen in den kleineren Rollen: den Gilberto singt als Gast Terry Wey, Teobaldo ist Namwon Huh, Julias Amme Matilda ist bei Rinnat Moriah bestens aufgehoben und die knapp 20 Sänger des Heidelberger Chors singen ohne Fehl und Tadel. Dirigent Felice Venanzoni und Philharmonischen Orchester Heidelberg spielen historisch informiert auf sehr guten Niveau, ein routiniertes Originalklang-Ensemble werden nur sehr wenige vermissen. Die Fassung wurde aus verschiedenen Aufführungsjahren zusammengestellt (auch in Salzburg war nicht die Urfassung zu hören).

Was ist zu sehen?
Die zurückhaltende Inszenierung der Regisseure Nadja Loschky und Thomas Wilhelm konzentriert sich auf das überraschungsfreie Geschehen und schafft es, überzeugende Figuren auf die Bühne zu stellen. Dabei erlaubt sich die Regie nur eine Freiheit: ein Mädchen spielt eine zweite Julia als Kind, die von der gewalttätigen, bedrohlichen Männerwelt verängstigt ist und sich emanzipieren will - ein Konzept, das aber nur im Hintergrund erfolgt, im Vordergrund steht eine gelungene Personenregie. Romeo ist anfänglich ein pubertierender Jugendlicher mit kurzen Hosen, der zum Mann mit langen Hosen und weißem Hemd reift, Julia trägt einen kniefreien Rock oder ein nicht sittenstrenges kurzes Nachthemd, die anderen Kostüme kombinieren alt und neu und vermischen Zeiten und Stile, Wams und Halskrause des elisabethanischen Zeitalters, Springerstiefel oder Glitzerhosen - eine Mischung, die funktioniert. Die einfach gehaltene Bühne trägt ihren Anteil zum flüssigen Handlungsverlauf bei, neue Szenen werden durch Vorhänge räumlich ohne Zeitverlust getrennt. Eine sehr gute und schwungvolle Fechtszene ergänzt den guten Eindruck.

Fazit: Eine Produktion bei der Einsatz und Aufwand sängerisch, musikalisch und szenisch überzeugen.

Besetzung und Team:
Romeo: Kangmin Justin Kim
Giulietta: Emilie Renard
Gilberto: Terry Wey
Everardo: Zachary Wilder | Nicholas Scott
Teobaldo: Namwon Huh
Matilda: Rinnat Moriah

Statisterie des Theaters und Orchesters Heidelberg
Chor des Theaters Heidelberg
Philharmonisches Orchester Heidelberg

Musikalische Leitung Felice Venanzon
Chordirektion: Ines Kaun

Regie: Nadja Loschky, Thomas Wilhelm
Bühne:  Daniela Kerck
Kostüme: Violaine Thel
Fechtchoreographie: Thomas Ziesch