Die Premiere des Blauen Engels gestern im Karlsruher Kammertheater erhielt langen Applaus, die Inszenierung ist kurzweilig mit viel Musik und sehr guten Darstellern und vor allem Stefan Viering in der Hauptrolle kann glänzen.
Das Kammertheater ist wieder eine Institution in Karlsruhe
Seitdem Bernd Gnann und Ingmar Otto das Kammertheater leiten, haben sie für viel Schwung gesorgt, das
Programm modernisiert und leichte Muse in intelligenter Umsetzung und mit gelegentlich aus dem Fernsehen bekannten Schauspielern zu
ihrem Markenzeichen gemacht. Die Bearbeitung von Filmen und Büchern für die Bühne ist längst eine
beliebte Möglichkeit für die Theater geworden, um den Erwartungen eines
Publikums zu entsprechen, das wählerisch(er und weniger aufgeschlossen?) geworden ist. Das Kammertheater hat in den vergangenen Jahren diesen Trend aufgegriffen und mit bekannten Bühnenklassikern ergänzt: Cyrano de Bergerac, Romeo und Julia, The Comedian Harmonists, The
Rocky Horror Show, The King's Speech, Sonny Boys, Im Weißen Rössl,
Cabaret, Ziemlich beste Freunde, Blues Brothers, in dieser Spielzeit Der Blaue Engel, Der kleine Horrorladen sowie einer Bearbeitung von Til Schweigers Honig im Kopf - die Titel sprechen Bände. Was bringt die Zukunft? Es gibt neben Filmdrehbüchern auch einige historische Stoffe, die man aktualisieren könnte, z.B.: Schwarzwaldmädel (ein Singspiel, das sechs mal verfilmt wurde), Die Zürcher Verlobung, Der fröhliche Weinberg.....
Zur Historie
Viele kennen den Blauen Engel nur indirekt, der Film aus dem Jahr 1930 läuft kaum mal noch im Fernsehen, das Lied Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt von Friedrich Hollaender ist als Ohrwurm geblieben. Als Stoff sieht man auf der Bühne eine mehrfache Zusammensetzung - die Adaption eines Films, der eine Roman adaptiert. Carl Zuckmayer und zwei weitere Autoren schrieben das Drehbuch nach der Vorlage von Heinrich Manns Roman Professor Unrath, UfA-Regisseur Josef von Sternberg hatte Emil Jannings in der Hauptrolle, die unbekannte Marlene Dietrich als sein Verhängnis wurde nach der Premiere 1930 zum Star. Der österreichische Schriftsteller Peter Turrini kombinierte Film und Roman für seine Bühnenfassung, die 2009 bei den Bregenzer Festspielen erstmals gezeigt wurde.
Worum geht es?
Eine einfache Geschichte und ein
komplexes Psychodrama. Der strenge, pedantische und unbeliebte Gymnasiallehrer Professor Rath, den
die Schüler Unrath nennen, findet eine Autogrammkarte von Lola, einer
Revue-Sängerin/Tänzerin eines zweifelhaften Etablissements, bei einem
Schüler. Aus Empörung will er sie zur Rede stellen und verfällt ihr
bedingungslos. Raths Zentrum heißt ab jetzt Lola Fröhlich (im Roman Rosa
Fröhlich, im Film Lola Lustig), er läßt sich umgarnen, glaubt sich geliebt, heiratet sie, ist eifersüchtig,
wird ausgenutzt und verliert alles, Beruf und Vermögen, nicht ein mal
seine Würde bleibt ihm - er wird zur lächerlichen Figur (im Roman) und
stirbt (im Film). Die Theaterfassung läßt ihn in einem traurigen Ende überleben
Was ist zu beachten?
Heinrich Mann legte sein Buch als Gesellschaftssatire an, der Film sieht die Geschichte eher als trauriges Einzelschicksal. Die Bühnenfassung hat nichts Satirisches (was auch, es ist heute zu einfach, nach seiner Façon glücklich zu werden, es gibt kein unstandesgemäßes oder unsittliches Verhalten, selbst bei unsozialem Verhalten schaut der Bürger oft lieber weg, es gibt keine soziale Ächtung, auch keine Gesellschaftsordnung wird durch das Thema ins Wanken gebracht - über fast nichts kann man sich lustig machen, nur einige Comedians schaffen Kunstfiguren aus dem Proleten-Milieu, um sie dem Gelächter preiszugeben), es wird auch kein Pychodrama gezeigt (die Textfassung kann die Figuren nicht ergründen). Der blaue Engel entwickelt sich auf der Bühne in eine andere Richtung: Vor der Pause wird die Liebe des Professors zu Lola zu einer Emanzipation: der alternde Rath befreit sich und darf endlich leben. Nach der Pause erfolgt der Absturz zur mitleiderregenden Figur.
Was ist zu sehen?
Was passiert mit Professor Rath? Stefan Viering in der Hauptrolle zeigt eine späte Tragik aus Liebe und Zerstörung, Hingabe und Aufgabe im Leben des erst überheblichen und dann gedemütigten Studienrats. Seine Figur läßt er nie wirklich unsympathisch werden, ein verkrampftes Leben wird befreit und dabei doch zerstört und einem verkrampften Ende zugeführt. Viering zeigt etwas Unterdrücktes und Gehemmtes im Freudschen Sinne und gibt dem Abend durch seinen starken Auftritt das schauspielerische Zentrum.
Wer ist Lola? Die Bürde, Marlene Dietrich vergessen zu machen, ist schwer. Die Femme fatale - 1930 anscheinend irgendwie eine kesse,
moderne Frau - heute neu zu erfinden, ist kaum möglich. Die Theaterfassung verzichtet sowohl auf eine Neugestaltung als auch auf eine Ausleuchtung. Lola darf ein Rätsel bleiben, fast scheint es, sie hat mehr zu singen als zu sprechen. Nathalie Parsa gibt Lola den Ausdruck einer lasziven
Bereitschaft und komplizenhaften Willigkeit. Lola wird nie unheimlich, nie böse, das Abgründige ihres Charakters verliert sich in Leichtfertigkeit. Parsa überzeugt als Sängerin, neben dem Klassiker Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt von Friedrich Hollaender und anderer Filmmusik singt sie auch das nicht zum Film gehörende Lili Marleen (das Lale Andersen 1939 aufnahm, die Dietrich übernahm es später). Auch die übrige Besetzung ist stark, in verschiedenen Rollen spielen Michaela Hanser (auch sie darf u.a. einen späteren Song Marlene Dietrichs singen: The Boys in the Backroom - aus einem Western mit James Stewart), Nils Buchholz, Thomas Cermak und Martin Trippensee. Die Bühne ist einfallsreich, es gibt Zaubertricks, eine Live-Band, eine Puppe - Augen und Ohren kommen auf ihre Kosten.
Fazit: Gut gemachte Unterhaltung! Stefan Viering liefert die schauspielerische Klasse für diese Revue, deren trauriges Ende nicht lange bestehen bleibt und die nach dem ersten Applaus musikalisch wieder zur guten Laune zurückgeführt wird.
Team und Besetzung:
Stefan Viering: Professor Rath
Nathalie Parsa: Lola Fröhlich
Nils Buchholz: Lohmann / Schüler
Thomas Cermak: Ertzum / Schüler / Kassierer
Michaela Hanser: Guste / Akrobatin / Diseuse / Haushälterin
Martin Trippensee: Kiepert / Zauberer / Redakteur
Live Band: Madarys Morgan (Piano), Gerd Pfeuffer/Pascale Feiertag/Christoph Heeg (Saxophon), Marco Maier/Miriam Raab (Kontrabass)
Inszenierung: Ingmar Otto
Musikalische Leitung: Paul Taube
Bühne: Florian Angerer
Kostüme: Christina Pantermehl
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.