Samstag, 7. Juni 2014

Festspielhaus Baden-Baden: Gounod - Faust, 06.06.2014

Gestern hatte ein lang erwartetes Highlight im Baden-Badener Festspielhaus Premiere: sängerisch und musikalisch hielt der Abend, was er versprach. Inszenatorisch ist dieser Faust aber bestenfalls als sehr konventionell und adäquat bebildert zu beschreiben. Gute Einfälle sind leider Mangelware.
  
Yoncheva statt Gheorghiu statt Netrebko
Drei Monate vor einer Premiere mit der Begründung abzusagen, daß die Rolle nicht passe und der Stimme nicht liege, ist eine sehr späte Entscheidung. Ob Netrebko es wirklich erst dann bemerkt hatte, wie schwer die Marguerite zu singen ist, oder es doch mit der Trennung von ihrem Lebensgefährten Erwin Schrott zusammenhängt, der den Mephisto singt, bleibt vorerst unklar. Beliebt macht man sich mit solchen Entscheidungen nicht. Netrebko hatte in Baden-Baden allerdings bereits so viele gute Auftritte, daß das dortige Stammpublikum ihr verzeihen sollte. Und das Festspielhaus hatte scheinbar mit Angela Gheorghiu den in jeder Hinsicht idealen Ersatz. Doch Gheorghiu ist für ihre Absagen ebenso berüchtigt, wie sie für ihre Auftritte gefeiert wird und so war es keine große Überraschung, daß auch sie nicht wollte, da ihr die Inszenierung nicht behagte und ihre Änderungswünsche nicht berücksichtigt wurden. Wenige Wochen vor der gestrigen Aufführung erklärte sich die junge bulgarische Sängerin Sonya Yoncheva bereit, die Aufführung zu retten. Und Ihre Chance hat sie grandios genutzt! Niemand sollte gestern die unwilligen Diven vermisst haben.

Goethe aus der Konditorei
Gounods Oper ist sinnlich und schwelgend, eine Liebesgeschichte mit Bösewicht und voller spannender Momente, großen Arien und unverkennbarer und oft Wunschkonzert-tauglicher Musik. Goethe und Gounod - das Verhältnis wurde einst so beschrieben: "Marguerite, Gretchen aus Paris, die sich die erdenklichste Mühe gibt, ihre traurig schöne Liebesgeschichte nach dem deutschen Original zu erleben." Gounods Faust ist zweischneidig: Begradigung und Verformung in einem. Seine lyrische Oper zaubert mit Milieus und Kolorismus. Problematisch ist die Figur des Mephisto, der hier nicht um Fausts Seele wettet und eher als Zauberer oder Strippenzieher beschrieben wurde. Aber Dirigent Thomas Hengelbrock machte korrekterweise auf eine Beziehung zur barocken Opernpraxis aufmerksam: "die Werke haben dort mit dem mythologischen Ursprung oft nur den Titel gemein". 

Was ist zu sehen?
Regisseur Bartlett Sher -ein vielfach gewürdigter Star der US-amerikanischen Regie-Szene- lieferte eine ungewöhnlich einfallslose Regie ab, die den Abend konstant auf Mittelmaß temperiert hält und sich szenisch nie so verdichtet, daß es jemand heiß werden wird. Eher im Gegenteil: immer wieder kühlt sich die Inszenierung auf statisches Bebilderungsniveau ab. Ein Geschichte über das Böse und das Altern, meinte der Regisseur entdeckt zu haben. Der alte Faust darf sich im ersten Akt um seine (von einer Schauspielerin dargestellten) pflegebedürftige Frau kümmern, die ihn nach seiner Verjüngung verfolgt und seine Herzlosigkeit lamentiert. Das war's auch schon .... . Keine szenischen Aufschwünge, kein Spannungsbogen. Die Walpurgisnacht (eigentlich für das obligate Ballett in Paris komponiert) ist nicht gestrichen, macht aber bei dieser Inszenierung keinen Sinn und ist fast schon unangenehm hilflos umgesetzt. Zu Faust fiel dem Regisseur wenig ein, zu Mephisto gar nichts: er ist nicht diabolisch, sondern eher blasiert und unbeteiligt. Wenn Erwin Schrott nicht ab und zu teuflisch lachen würde, wäre dieser Mephisto szenisch blutleer. Das Bühnengeschehen ist ideenarm und läuft ins Leere.

Was ist zu hören?
Wer braucht Netrebko oder Gheorghiu? Sonya Yoncheva war als Marguerite ebenbürtig: schüchtern und unschuldig zu Beginn, dann mit dramatischen Steigerungen und das ohne erkennbare Anstrengung, technisch sicher und mit wunderschöner Stimme: BRAVO!
Erwin Schrott hat sich letztes Jahr bereits im Festspielhaus als Don Giovanni (mehr hier) bestens präsentiert und es bestanden wohl kaum Zweifel, daß auch Mephisto für ihn eine Paraderolle sein sollte - und genau so war es: Don Giovanni und Mephisto sind wie für ihn gemacht. Schrott dominiert die Bühne, nur schade, daß der Regisseur für die Figur keine Ideen hatte. So wirkt Mephisto wie ein Don Giovanni mit schlechter Laune.
Als Faust hatte man Charles Castronovo engagiert, der ebenfalls letztes Jahr in Don Giovanni auftrat und der schweren Rolle sehr gut entsprach. Jacques Imbrailo sang einen hörenswerten und eleganten Valentin und sogar für die kleineren Rollen hat man sehr gute Besetzungen: Angela Brower (Siébel) und Jane Henschel (Marthe) ergänzten ideal.
   
Gounods Oper glänzt mit einprägsamen und berühmten Milieus: Faust Monolog, Kirmes-Chöre und Walzer, Begegnungsszene, Rondo vom goldenen Kalb, Gartenszene, Thuleballade und Juwelenarie, Kirche mit Orgel, Militärszene mit Marsch oder die Gefängnisszene am Schluß mit prunkvoller Orgel und überwältigender Apotheose - es gibt viel zu hören und Thomas Hengelbrock dirigiert das NDR Sinfonieorchester spannend und abwechslungsreich. Bereits letztes Jahr überzeugte Hengelbrock in Baden-Baden mit einem ungewöhnlichen Don Giovanni und auch bei Gounod zeigt er eine hochinteressante individuelle Lesart, bei der er die Partitur in alle Richtungen auslotet: wer zu Beginn fürchtete, Faust im getragenen Stil von Parsifal zu hören, den verblüffte der Dirigent beispielsweise  in der Folge sowohl mit gelegentlich sehr raschen Tempi (z.Bsp. bei Mephistos Rondo) als auch mit süßlichen Stellen, die fast schon klebrig sein durften.

Fazit: Musikalisch lohnend und hörenswert, szenisch nichtssagend, einfallslos und ohne Erinnerungswert

PS: nach einer solchen Regie weiß man zu schätzen, was man aktuell in Karlsruhe an den Meistersingern hat: viele Ideen, Gestaltungswille und hohe Ambivalenz!

Besetzung und Team
Faust: Charles Castronovo
Marguerite: Sonya Yoncheva
Méphistophélès: Erwin Schrott
Valentin: Jacques Imbrailo
Siébel: Angela Brower
Marthe Schwertlein: Jane Henschel
Wagner: Derek Welton

Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock
NDR Sinfonieorchester
Philharmonia Chor Wien (Choreinstudierung: Walter Zeh)

Inszenierung: Bartlett Sher
Kostüme: Catherine Zuber
Bühnenbild: Michael Yeargen

1 Kommentar:

  1. @Klaus
    Vielen Dank für die Info. Dobrzanska als Turandot ist ja fast schon eine Reise nach Franken wert!

    AntwortenLöschen