Das war nun mal wirklich ein Höhepunkt und festlicher Abschluss der 8.Karlsruher Ballettwoche! Wer nicht dabei war, hat was verpasst! Hochkarätige Gäste und so viele besondere Momente, daß man kaum weiß, wie man alle Eindrücke überhaupt angemessen zusammenfassen soll! An einem starken Abend den beeindruckendsten Auftritt hatten Lucia Lacarra und Marlon Dino vom Bayerischen Staatsballett. Es kam Perfektion schon sehr nahe, wie die beiden die Gesetze der Schwerkraft und Physis ignorierten und zu Rachmaninows Préludes die Zeit stehen ließen. Erst staunend, dann begeistert: das Publikum feierte die beiden lang und ausgiebig. (Einen extra Applaus verdiente sich die Pianistin des Abends: Angela Yoffe).
Zwei sehr gut aufeinander abgestimmte Tanzpaare waren zu sehen: Catherine Franco und Denis Piza vom Ballett der Staatsoper Hannover harmonierten wie bereits in Sissi beeindruckend miteinander (auch hier wieder u.a. zu Gustav Mahler, und zwar dem Urlicht aus der 2.Symphonie, schön gesungen von Stefanie Schaefer); Krasina Pavlova und Arshak Ghalumyan vom Staatsballett Berlin zeigten zwei interessante Paarstudien: zuerst ein getanzter Dipolmoment, dann Leidenschaft in sich umkreisender Halbdistanz.
Interessant war der Vergleich der beiden Choreographen Kenneth MacMillan und John Cranko, die mit emotional vergleichbaren Szenen hintereinander gezeigt wurden. Beide haben ja einen sehr ähnlichen Zugang zu Prokofievs Ballett Romeo und Julia (mehr hier) und MacMillan gilt eher als britisch distanziert, aber sein Pas des deux aus Winter Dreams, den Marianela Núñez und Thiago Soares vom Royal Ballet in London tanzten, wirkte auf eine altmodische Weise überdramatisiert und teilweise auf eine unfreiwillig komische Weise pathetisch. Crankos Choreographie aus Onegin (mehr hier), aus dem die Schlußszene von den beiden langjährigen Stars Maria Eichwald und Filip Barankiewicz vom Stuttgarter Ballett präsentiert wurde, wirkte dagegen deutlich geschmackvoller und aktuell zeitloser.
Eric Gauthier ließ sich zur Musik von Kate Bush zu einer kleinteilig-bewegungsreichen und gehetzten Choreographie inspirieren, während Thiago Bordin vom Hamburg Ballett Lebensfreude zu Cello-Musik versprühte. Ein Extra-Bravo geht an den Cellisten der Badischen Staatskapelle Johann Ludwig, der auf der Bühne sitzend mit seinem souveränen Spiel dem Hamburger Tänzer fast ein wenig die Schau stahl.
Das Badische Staatsballett präsentierte zu Beginn den Walzer aus Dornröschen und dann drei weitere Choreographien, darunter zwei Uraufführungen. Eine erschuf Ensemblemitglied Reginaldo Oliveira, der unlängst mit Der Fall M. (mehr hier) im Rahmen des Ballettabends Mythos einen großen Publikumserfolg feierte und dabei ist, sich als "Hauschoreograph" zu etablieren. Sein neues Ballett Attacke ist ein klaustrophobisches Stück, bei dem vier Tänzer vor ungewissen Bedrohungen flüchten: angstvoll und unheilvoll und mit einem visuellen und akustischen Showdown. Oliveira bekam zweifach viel Applaus und Jubel, denn auch ein bereits bekanntes Publikumslieblingsstück wurde getanzt: Arman Aslizadyan und Reginaldo Oliveira zeigten ihr inzwischen beliebtes und bekanntes Two 4 One mit Tänzer-vervielfachendem Live- Kameramitschnitt.
Zum Abschluß des Abends standen dann 32 Tänzer des Staatsballetts auf der Bühne. Thiago Bordin, der also nicht nur ein Solo tanzte, kreierte auf Musik aus Jean Sibelius' 2. Symphonie ein neues Stück mit viel Humor und großen Ensemble-Szenen.
Die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Steven Moore und Justus Thorau trug mit packend gespieltem Max Richter, Tschaikowsky, Glasunow, Mahler, Sibelius und Schostakowitsch viel zum großartigen Eindruck des Abends bei und manch einer wird sich nun das eine oder andere Stück im Symphoniekonzert wünschen.
Fazit: Viel Jubel im Publikum. Birgit Keil schafft es ein ums andere mal, ihr Publikum zu begeistern und mit der sensationellen Freigabe von John Crankos Choreographie zu Der Widerspenstigen Zähmung in der kommenden Saison ist man endgültig im Balletthimmel angekommen. Glückwunsch an Birgit Keil für Ihre großartige Aufbauarbeit und alle Tänzer und Beteiligten des Badischen Staatsballett!
Zusammenfassung der Programmpunkte
Lucia Lacarra und Marlon Dino vom Bayerischen Staatsballett
THREE PRELUDES
Musik Sergej Rachmaninow
Choreografie Ben Stevenson
Klavier Angela Yoffe
Maria Eichwald und Filip Barankiewicz vom Stuttgarter Ballett
HOMMAGE À BOLSCHOI
Musik Alexander Glasunow
Choreografie John Cranko
PAS DE DEUX
aus Onegin (III. Akt)
Musik Peter I. Tschaikowski (eingerichtet von Kurt-Heinz Stolze)
Choreografie John Cranko
Krasina Pavlova und Arshak Ghalumyan vom Staatsballett Berlin
HEUTE IST DAS GESTERN VON MORGEN
Musik Max Richter
Choreografie Raimondo Rebeck
TRANSPARENTE
Musik Arshak Ghalumyan feat. Mariza
Choreografie Roland Savkovic
Catherine Franco und Denis Piza vom Ballett der Staatsoper Hannover
INFERNO
Musik Lisa Gerrard & Andrew Claxton
Choreografie Jörg Mannes
URLICHT
Musik Gustav Mahler
Choreografie Jörg Mannes
Mezzosopran Stefanie Schaefer
Marianela Núñez und Thiago Soares vom Royal Ballet in London
WINTER DREAMS PAS DE DEUX
Musik Peter I. Tschaikowski
Choreografie Kenneth MacMillan
Klavier Angela Yoffe
Thiago Bordin vom Hamburg Ballett,
PRAMIM
Musik Alexander Tscherepnin, Johann Sebastian Bach
Choreografie Jörg Mannes
Thiago Bordin, Hamburg Ballett
Violoncello Johann Ludwig
Eric Gauthier, Leiter der am Theaterhaus Stuttgart beheimateten Compagnie GauthierDance
I FOUND A FOX
Musik Kate Bush
Choreografie Marco Goecke
Badisches Staatsballett
ATTACKE
URAUFFÜHRUNG
Musik Dmitri Schostakowitsch
Choreografie Reginaldo Oliveira
Bruna Andrade, Larissa Mota, Kt. Flavio Salamanka, Ed Louzardo, STAATSBALLETT KARLSRUHE
TWO 4 ONE
Musik Starkey
Choreografie Arman Aslizadyan & Reginaldo Oliveira
Arman Aslizadyan & Reginaldo Oliveira, STAATSBALLETT KARLSRUHE
SIBELIUS FÜR B.
URAUFFÜHRUNG
Musik Jean Sibelius
Choreografie: Thiago Bordin
Sowie dem WALZER aus dem 1.Akt von Dornröschen
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.