Der Künstler als Sensibelchen und Weichei
Die Viruspandemie macht's möglich, denn sonst hätte man wohl kaum die Chance, Hans Werner Henzes Kurzsingspiel Das Wundertheater kennenzulernen. Nachdem es letzte Woche den Prolog aus Strauss' Ariadne auf Naxos zu hören gab, folgte nun der zweite Teil in solider Umsetzung, bei dem ein Schwachpunkt im Versuch liegt, die Anknüpfung an die Ariadne aus der wehleidigen Perspektive bedauernswert überempfindlicher Künstlerseelen zu konstruieren.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Sonntag, 4. Juli 2021
Henze - Das Wundertheater (als Livestream), 03.07.2021
Sonntag, 27. Juni 2021
Strauss - Vorspiel zu Ariadne auf Naxos (als Livestream), 26.06.2021
Richard Strauss' Vorspiel zu Ariadne auf Naxos in Kombination mit Hans Werner Henzes Singspiel Das Wundertheater, die aber an zwei Wochenenden einzeln gestreamt werden? Erste Zuschauer konnten gestern in Karlsruhe zurückkehren und bereits die ganze Produktion live sehen, vorausgesetzt sie erbrachten den Nachweis, geimpft, getestet oder genesen zu sein. Was das Badische Staatstheater bieten will, erschließt sich für das digitale Publikum erst am nächsten Samstag, wenn das Wundertheater übertragen wird. Als kurze,
orchestral kleindimensionierte Werke, die vielen Sängern die Chance für
Auftritte verschaffen, ergibt diese Zusammenstellung des genialen Klangmagiers Strauss mit dem spröden, wenig populären Henze einen der Pandemie geschuldeten Sinn. Ob die Kombination gelungen ist, bleibt noch offen. Das gestrige Ariadne-Vorspiel machte schon mal Appetit auf mehr.
Freitag, 4. Juni 2021
Zukunft Choreographie (Ballett als Livestream), 03.06.2021
Gelungener Positionswechsel
Bridget Breiner setzt Birgit Keils Nachwuchsförderung fort. 16 Tänzer des Badischen Staatsballett präsentierten gestern eigene Choreographien - von Solos über Duette bis zum achtköpfigem Ensembletanz war alles dabei und ein sympathisches, unterhaltsames und abwechslungsreiches Kaleidoskop künstlerischer Kreativität.
Donnerstag, 13. Mai 2021
Puccini - Gianni Schicchi (als Livestream), 12.05.2021
Wie die Zeit vergeht! Wer erinnert sich nicht gerne an den letzten Karlsruher Trittico? In der Spielzeit 2002/2003 inszenierte Robert Tannenbaum die drei knapp einstündigen Opern über Eifersuchtsmord, Himmelfahrt und Erbschaftsbetrug und insbesondere Barbara Dobrzanska als Schwester Angelica rührte dabei zu Tränen. Die dritte Oper des Trittico ist als Komödie ein idealer Kandidat für die Streaming-Premiere des Musiktheaters, Gianni Schicchi (UA 1918 an der New Yorker MET) bereitete gestern am Bildschirm viel Freude!
Sonntag, 18. April 2021
Der Feuervogel (Ballett als Livestream), 17.04.2021
Weiterhin bleiben die Theater geschlossen, aber seit dem 17.04. wird nun in Karlsruhe zurückgestreamt. Das Badische Staatsballett hat eine Ballettpremiere im Livestream kostenlos gezeigt, die Produktion soll nun 14 Tage kostenpflichtig zum Anschauen zur Verfügung stehen. Und auch wenn man am Bildschirm geringdimensionaler und beengter wahrnimmt, so lag der Reiz der gestrigen Live-Übertragung zumindest im Flair einer Aufführung ohne Netz und doppelten Konservenboden. Vieles gelang, tänzerisch, szenisch und musikalisch ist dieser Feuervogel reizvoll mit guten Momenten und man konnte glücklich feststellen, daß das Badische Staatstheater das Live-Erlebnis nicht verlernt hat.
Sonntag, 18. Oktober 2020
Lehár - Die lustige Witwe, 17.10.2020
Krisen brauchen Komödien
Die erste Premiere im Musiktheater seit Februar konnte gestern stattfinden. In Baden-Württenberg wird ab Montag die Corona-Alarmstufe erhöht, das Robert-Koch-Institut meldete den dritten Tag in Folge ein neues Allzeithoch an Corona-Neuinfektionen und deutlich steigende Reproduktionszahlen. Wie im März, als die Politik das öffentliche Leben bei geringeren Zahlen zum Erliegen brachte, drohen neue harte Maßnahmen. Was bietet sich quasi am Vorabend einer stark aufflammenden Pandemie besser an, als sich zu amüsieren? Wer weiß, ob die Theater nicht bald wieder schließen müssen? Wer gestern Die Lustige Witwe in Karlsruhe erlebte, wird wohl besser temperiert und gelassener in die nächsten Tage gehen, die Freude, endlich mal wieder zu singen, zu spielen und zu musizieren war deutlich bemerkbar und übertrug sich aufs Publikum, das dann auch deshalb lange applaudierte, um Künstlern, Musikern und sich selber Zuversicht zuzuklatschen.
Sonntag, 4. Oktober 2020
Die neuen Todsünden, 03.10.2020
Vieles paßt nicht zusammen und will nicht funktionieren bei der ersten großen Produktion der Spielzeit. Die sieben "Kurzdramen" zum altertümlich und sogar reaktionär anmutendem Thema Todsünde, die gestern im Karlsruher Schauspiel Premiere hatten, sind heterogen und leiden unter fehlender Qualität und Haltungsschäden vieler Texte, die teilweise peinlich plakative Geschichten erzählen. Die Geschichten rangieren zwischen Etikettenschwindel (es geht gar nicht um Sünde) und moralischem Pfaffentum (denn erneut sieht man vorgekautes und vorgegaukeltee Relotius-Theater: man konstruiert sich eine plumpe schwarz-weiße Handlung, um künstlich den Zeigefinger heben zu können und sich als selbsternannte Moralwächter aufzuspielen). Das fast vierstündige spartenübergreifende Potpourri mit Schauspielern, Sängern und Tänzern erwies sich als Pseudo-Spektakel, das fast eine Totalpleite geworden wäre, wenn nicht nach der Pause Timo Tank durch große Schauspielkunst aufgetrumpft hätte.
Donnerstag, 1. Oktober 2020
Despentes - Apokalypse Baby, 30.09.2020
Affektierte Leere
Romane sind keine Theaterstücke. Um erzählte Geschichten auf die Bühne zu bringen, braucht man einen Autor, der Epik in Dramatik überführen kann - und das scheitert regelmäßig. Im März, kurz bevor die Corona-Maßnahmen zur Schließung der Theater führten, versuchte sich das Karlsruher Schauspiel mit mäßigem Erfolg am Susan-Effekt (mehr hier). Neun Monate später scheint man weder weiter noch überzeugender. Die Inszenierung von Apokalypse Baby wirkt unbeholfen und überfordert.