Sonntag, 13. März 2016

Verdi - Macbeth, 12.03.2016

Zwei Gäste hatte man gestern in Macbeth, die einen sehr guten Eindruck in einer absolut hörenswerten Aufführung hinterließen. Die Inszenierung ist seit der Premiere (mehr hier) keinen Deut besser geworden, von Insidern hört man, daß sie als kritische Satire auf Gender-Theorien gedacht ist und Plausibilität nur aus dieser Sichtweise gewinnt.
        
Mit den Gästen hat Operndirektor Fichtenholz bisher ein glückliches Händchen und u.a. mit Stephen Gould und Vivica Genaux kommen noch zwei sehr prominente Stimmen für Wagner und Bellini. Gestern gelang eine musikalische spannende und hochwertige Vorstellung, und zwar gegen die Umsetzung. Die Sänger präsentieren sich bei einer solch besch...eidenen Inszenierung fast automatisch unter Wert; es ist wie bei einem Unfall, man muß sehen, was Absurdes passiert ist oder sich zum Wegschauen zwingen, die akustische Wahrnehmung bleibt dabei immer wieder auf der Strecke. Umso höher muß man die gestrigen Leistungen beurteilen: Tatiana Melnychenko sang eine hochdramatische Lady Macbeth, die im Ausdruck und Umfang ebenso überzeugte wie Lucio Gallo als differenziert-nuancenreicher Macbeth. Konstantin Gorny zeigte einen machtvollen Banco, alle Sänger, der Chor sowie der konzentriert die Badische Staatskapelle leitende Johannes Willig hatten gleichermaßen Anteil an einer runden Aufführung. BRAVO!
  
Macbeth als Gender-Satire
oder
Normalität als Diskriminierung des Außergewöhnlichen?
Bei der Premiere blieb vielen diese Inszenierung von Macbeth unverständlich. Man hört, daß sie anscheinend als Kritik und Satire auf den Gender-Betrieb gedacht ist. Das macht diese Regie nicht wirklich plausibler, eröffnet aber einen neuen Blickwinkel. Das englische Wort Gender [Aussprache:ˈdʒɛndɐ] bedeutet Geschlecht, die sogenannten Gender-Studien sind ein von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes akademisches Experiment, ein soziologisches Theoriegebäude, das in seinen Wucherungen inzwischen für einige teilweise ähnlich unwissenschaftlich konstruiert wirkt wie altertümliche Rassentheorien des letzten Jahrhunderts. Beide wollen etwas interpretieren, was sie für ihre gesellschaftlichen Ziele als vorteilhaft erachten und Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen. Macbeth als Shakespeares Werk über die Dämonie des Unbedingten und die Pervertierung der Natürlichkeit erschien deshalb anscheinend als die richtige Wahl für eine Gender-kritische Inszenierung. Das Geschlecht wird beim Genderismus u.a. nicht als naturgegeben und biologisch eindeutig gesehen, sondern als soziales Konstrukt. Daraus ergeben sich spannende Fragestellungen: welche Toilette muß bspw. ein Mann besuchen, wenn er sich als Frau verkleidet oder fühlt? Benötigt man zukünftig eine dritte Toilette für alle, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen? Oder ist es sogar eine Diskriminierung, wenn man Toiletten trennt? Ist die Unisex-Toilette das Modell der Zukunft? Die großen Themen des Genderismus will die Karlsruher Inszenierung anscheinend kritisch auf die Schippe nehmen.

Das Programmheft sieht folgende Handlungselemente in dieser Inszenierung: "Sie [Macbeth und Lady Macbeth] wollen die konventionellen Männer- und Frauenbilder überwinden ... Macbeth fragt sich, warum Banco potenter ist als er. .... Ist ein Paar ein Paar, wenn es keine Kinder hat? ... Banco, Inbild potenter Männlichkeit, muss weg. ... Ihr [Macbeth und Lady Macbeth] Liebesduett endet in einen verzweifelten Racheschrei. Die Kinder müssen weg.

Macbeth ist also eine Rachegeschichte, bei der die Gender-Theoretiker Macbeth und seine Frau scheitern; sie wollen die doppelte Diskriminierung durch die Natur bekämpfen: die biologisch eindeutige Geschlechterdefinition und die Begrenzung der natürlichen Fortpflanzung auf Frau und Mann. Dies kann nur geschehen durch Ablösung der diskriminierenden Natur durch Künstlichkeit (deshalb auch der  aquariumähnliche Glaskasten als Sinnbild künstlicher Lebensumstände auf der Bühne) und eines Gesellschaftsbilds, bei der die Familie als Keimzelle des Widerstands gegen gesellschaftspolitische Indoktrination verschwinden muß. Die surreal anmutenden Bühnenbilder sind Abbild der unnatürlichen, künstlichen Ordnung, die die Macbeths anstreben. Der Mord am ebenfalls durch Zeugungsfähigkeit und Heterosexualität diskriminierenden Banco ist die Anwendung der Theorie auf die Praxis. Man hat es mit einem Diskurs zu tun, der nicht befreiend, sondern verklemmt und verbissen geführt wird und das verträgliche Maß aus den Augen verloren hat. Daß Macbeth Banco töten läßt, ist in dieser Geschichte die Entartung des vermeintlichen Weltverbesserers von eigenen Gnaden als gewaltbereiter Gender-Ideologe. Thematisiert wird auch u.a. die Diskriminierung durch die Natur, bei der Männer sexuelle Dienstleistungen von Frauen kaufen (das Mindestlohnproblem taucht auch hier auf), umgekehrt dies Begehren aber kaum der Fall ist. Auch der genetische Gewaltvorsprung durch Muskelmasse und Testosteron und die unzureichende Zähmung des Mannes in zivilisatorisch rückständigen Gesellschaften kommt auf die Bühne. Wie läßt sich die Diskriminierung einer selektiven und homophoben Natur besiegen? Nur durch soziale Diktatur einer Minderheit. Die Macbeths scheitern, eine futuristische Perspektive zur Überwindung der Natur, wie in Michel Houellebecqs Roman Elementarteilchen, ist Illusion. Die Gender-Theorie erweist sich als grober Unfug und Thema privilegierter Schichten mit Zeitüberschuß und fremd induzierten, aber doch selbst konstruierten Selbstverwirklichungshindernissen.

Dennoch bleibt diese Sichtweise des Macbeth, so durchdacht und raffiniert man die Arbeit von Regisseur und Bühnenbildner auch sehen mag, nur ein gescheiterter Versuch. So musikalisch gelungen, so bildstark gewissen Szenen auch sind, spannend, packend oder mitreißend wird diese kopflastige Regie nie.

Vielleicht hat man sich aber auch einfach nur Shakespeare zu Herzen genommen, der Macbeth im 5.Akt sagen lässt: "Life's ... a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing".