Freitag, 24. Juli 2015

Rückblick (2): Die Spielzeit 2014/15 des Badischen Staatstheaters

Gesunkene Zuschauerzahlen und schlechte Stimmung
Tja, was war das denn jetzt in der Spielzeit 2014/15? Eigentlich eine künstlerisch interessante und akzeptable Spielzeit, doch mit einen Stimmungstief am Badischen Staatstheater. Peter Spuhler sorgte dafür, daß das Karlsruher Staatstheater negativ in die Schlagzeilen kam. Die Eskalation und der Ärger rund um das Verhalten des Intendanten lenkten die Aufmerksamkeit auf die Probleme in der Baumeisterstraße statt auf die Bühnenkünstler. Doch es lag nicht daran, daß das treue Karlsruher Publikum seltener kam: Um über 4 Prozent auf ca. 290.000 besetzte Plätze sollen die Besucherzahlen 2014/15 in Karlsruhe gesunken sein. 2013/14 wurden ca. 305.000 Eintrittskarten für Vorstellungen des Badischen Staatstheaters abgesetzt. Es scheint mir eher eine normale Schwankung und kein zusätzlicher Abwärtstrend zu sein.

Künstlerisch gab es einige bemerkenswerte Augenblicke, große Abende und bravouröse Leistungen, und zwar
                                                               
Die Höhepunkte der Saison verdankt man:
  • GMD Justin Brown und der Badischen Staatskapelle, die eine außergewöhnlich spannende Symphoniekonzertsaison musizierten, bei der vor allem die Programmauswahl des GMD eine Auszeichnung verdient hätte, da sie attraktive neue Werke und Komponisten präsentierte. Für mich persönlich war 2014/15 -nach vielen sehr guten Konzertreihen in der vergangenen zwei Jahrzehnten- herausragend. Ein lautes BRAVO und DANKE geht an Justin Brown.
     
  • Thomas Halle, Christoph Gockel, Konstantin Küspert, die in Ich bereue nichts zeigten, daß informierendes Doku-Theater nicht immer spröde, berechenbar und langweilig sein muß, sondern manchmal auch künstlerisch, überraschend und unterhaltsam.
     
  • Maximilian Grünewald, der sich bereits in seiner ersten Schauspiel-Saison für größere Rollen aufdrängen konnte. Der Newcomer der Saison!
     
  • Barbara Dobrzanska, Andrea Shin und Jaco Venter mit einer hochspannenden und dramatischen Tosca.
     
  • Armin Kolarczyk, der nach Wolfram, Oppenheimer, Beckmesser nun als Orest begeisterte und der auffälligste Sänger der letzten Jahre ist.
     
  • Tschechows Drei Schwestern - das Kunststück einer mutigen, grenzwertigen und diskutablen Inszenierung, die teilweise gerade so die Balance hielt, doch durch die Spielfreude der Schauspieler gewann.
      
  • Das Karlsruher Ballett - die profilierteste Sparte des Hauses mit Vorzeigequalitäten

Die Schwachpunkte der Saison 
  • La Bohème, bei der die Regie keine Lust auf Puccini hatte und ihr eigenes Stück inszenierte. Nun ist La Bohème eine der unmittelbar publikumswirksamsten Oper, voller schöner Musik und Momente - wirkungsvoll blieb sie trotz der Fehler der Regie. Und viele Zuschauer, besonders die weniger routinierten, profitierten dennoch von Komponist, Werk, Bühne, Sängern und Musikern. Für den Ruf der Karlsruher Oper war die Inszenierung dennoch leichtfertig vertan.
      
  • Die Räuber, die als falsche, seichte und verharmloste Schülerversion im normalen Abo gezeigt wurde.
      
  • Ein bühnentechnisch aufgeblähtes und innwendig leeres Glasperlenspiel - eine Behauptung ohne Substanz, eine Adaption ohne Wert, Schein ohne Sein - überflüssiges Pseudo-Theater!
     
  • Alles, was nicht zum Theater gehört und primär als Ablenkung von Schwächen dienen soll wie z.B. eine anbiedernde Politisierung und der Irrglaube, daß politkonformes Theater als verlängerter Arm der Landesregierung bei der Indoktrination der Bürger und Verwertung von Tages-Trends dienen soll.

Selbstgebaute Hindernisse (1) - Der Pfad der Karriere

Die Karlsruher Intendanz steht sich selber im Weg, die Mängelliste der letzten vier Jahre wurde dieses Jahr durch die obige Affäre noch durch ein zwischenmenschliches Defizit kompliziert. Das Problem bleibt bestehen: für die aktuelle Führungsspitze ist ihre Tätigkeit Beruf statt Berufung, als regelmäßiger Zuschauer fehlt mir bei ihren Äußerungen und Handlungen zu oft die künstlerische Dimension. Für einen Theaterbegeisterten ist es kaum vorstellbar, wie man einen Beruf ergreifen kann, dessen Kern man selber nicht erfüllt: fast niemand vom Team Spuhler steht selber auf der Bühne oder inszeniert oder formt Bühne oder Kostüme. Der Theatermacher dieses Typus ist primär ein Organisator und Landesangestellter, der den Theaterbetrieb aufrecht erhält, weil es die Aufgabe seines Jobs ist, den Betrieb sicherzustellen. Was Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung einst analysierte (mehr hier), kann man abgewandelt und ergänzt auch heute noch anwenden: die Karlsruher Intendanz vermittelt den unguten Eindruck, daß es hauptsächlich nur um die Karriere und den Betrieb, weniger um die Sache und schon gar nicht wirklich um Qualität geht. Man merkt ihnen an, daß sie das Abwägen von Interessen, das parteipolitische Folgen, das Verwerten des Alltags und die Berechnung von Wirkungen zu ihren Aufgaben zählt. Es scheint mehr Opportunität hervor, als es einem Theater gut tut.

Selbstgebaute Hindernisse (2) - Politik statt Kunst
War man zuvor schon mal so sehr Staats-Theater, so affirmativ und folgsam gegenüber der Regierungspolitik? Zu den Höhepunkten der Saison zählt Spuhler anscheinend nicht die künstlerischen Leistungen seines Hauses, sondern sie "vielen integrativen Projekte" - bestimmt irgendwie eine gute Sache, aber als Theaterbesucher ist die Wichtigtuerei neben der Bühne nicht der Nabel der Theaterwelt, sondern das Geschehen auf der Bühne. Politisierung als banales und rechthaberisches Senf-dazugeben langweilt und grenzt Besucher aus. Spuhlers gebetsmühlenhaftes "Theater für alle" ist eine Alibi-Behauptung für kunstschwaches Auftreten.
Woher also die Flucht ins Politische und Gesinnungshafte, die als Bevormundung  selbsternannter Tugendwächter gesehen werden kann? Ist denn das kunstinteressierte Publikum politisch belehrungsbedürftig? Politische Anliegen sind billig und vordergründig leicht zu vertreten, künstlerische Anliegen erfordern immer Talent und harte Arbeit. Im ersten Fall kann sich Intendanz und Spartendirektoren leicht profilieren, im zweiten haben sie nichts eigenes zu bieten und sind von anderen abhängig.
            
Oper - Das Warten auf den Durchbruch
Die abgetretene Opernleitung mit den Herren Schaback und Feuchtner trauten sich programmatisch etwas. Wenn es auch einigen zu spröde, theoretisch und speziell war, den Mut der Programmzusammenstellung muß man anerkennen, auch wenn er nicht immer belohnt wurde und einige andere Fehler begangen wurden. Hans Krásas Verlobung im Traum war sehr gut präsentiert, der Repertoirewert bleibt diskutabel. Dennoch war es wahrscheinlich nicht geschickt, mit einer Rarität statt mit einem Publikums-Weckruf in die neue Saison zu starten. Offenbachs Fantasio - vielleicht hätte man ihn in französisch singen sollen und auf die gähnend unoriginelle Zwangsumwandlung zum homosexuellen Coming-out verzichten sollen. La Bohème mit zwei Mimis und schwafelnder Schauspielerin - der Höhepunkt der Verzerrung unter Originalitätsdruck. Händels Teseo als szenischer Langeweiler ohne den geringsten Erinnerungswert. Wagners Parsifal bewegte sich durchaus spannend auf der Höhe der Zeit. Wie man Schaback/Feuchtner nach dem gescheiterten Lohengrin im ersten Jahr attestieren muß, daß sie mit Tannhäuser, Meistersinger und Parsifal Inszenierungen präsentierten, die diskutabel und sehenswert waren und im Repertoire bleiben sollten! Glucks Iphigenie mit echten Flüchtlingen 'als eine Art dramaturgischen Voyeurismus' (wie es ein kluger Kopf nannte) hat dennoch viele Qualitäten und beim umjubelten Falstaff war man endlich mal auf der Höhe der Anforderungen und präsentierte mit Pietro Spagnoli den richtigen Sänger. Dennoch: Begeistert war ich von den Neuproduktionen zu selten.

Schauspiel - Das Ringen um die nächste Chance           
Das Karlsruher Schauspiel hat nach unruhigen Jahren und vielen tendenziell unbeholfenen und ratlosen Inszenierungen den Abwärtstrend noch nicht ganz gestoppt und doch gelegentlich den Blick nach oben gewendet. Man ist besser geworden, aber noch nicht wirklich gut. 17 Schauspieler brachte Jan Linders 2011 mit nach Karlsruhe, 5 davon sind zur kommenden Spielzeit noch im Ensemble. Man hat auf qualitative Defizite reagiert und bleibt im Umbruch. Eine glückliche Hand hatte man zu Beginn mit der inhaltlichen und personellen Zusammenstellung nicht. Alle Dramaturgen wurden nach 3 Jahren ausgetauscht, neue Hauptrollen-Schauspieler künden sich für die kommende Spielzeit an. Mal schauen, ob das Karlsruher Schauspiel diese  weitere Chance nutzen kann. Das Bemühen ist deutlich erkennbar.
Das Bühnengeschehen war in der abgelaufenen Spielzeit durch vier Tendenzen geprägt: Verulkung (Schiller - Die Räuber, Tschechow - Drei Schwestern, Stockmann), Verfremdung (Schiller, Hesses - Glasperlenspiel), Verkürzung (Schiller, teilweise auch Stockmann, da ich noch immer glaube, daß der Text mehr bietet), Verflachung (Schiller, Hesse, Stockmann, Vekemans - Gift). Schauspielerisch gab es Licht und Schatten - wobei der Anteil der lichten Momente wuchs und auch die neuen Schauspieler sich teilweise profilieren konnten. Die Leistungsfähigkeit hinkt dem Anspruch noch immer hinterher. Schafft man es im 5. Jahr, endlich in Karlsruhe anzukommen und der Stagnation zu entfliehen? Tatsächlich bin in milde optimistisch.

Staatstheater zum Schwärmen
Man hat in Karlsruhe einiges, vom dem mal als Besucher begeistert sein sollte: eine sympathische und leistungsstarke Ballett-Compagnie, ein wunderbares Orchester, auf das man in Karlsruhe stolz sein kann, einen Chor, der sängerisch und darstellerisch auf der Bühne überzeugt sowie große Einzelkünstler. Dazu ein Haus, in dem die Mitarbeiter einen Zusammenhalt entwickelt haben - die 430 Unterschriften gegen die Entscheidung der Ministerin im Zuge der gescheiterten Absetzung des Verwaltungsdirektor sprechen für Mut und Solidarität - BRAVO! Man sollte es nicht vergessen: ein Tropfen Essig, kann einem dem Geschmack am ganzen Gericht versauern. Es ist ein fragiles Gleichgewicht zu bewahren, um ein Miteinander zu ermöglichen. Karrieristen, die sich auf Kosten anderer profilieren, scheine in diesem Öko-System einfach fehl am Platz zu sein.

Fazit: Zeit für einen Intendanzwechsel, um endlich die Stagnation und die Unzufriedenheit zu beenden und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

ÜBERSICHT:
Oper:

Krasá - Die Verlobung im Traum
Mussorgsky - Boris Godunow
Offenbach - Fantasio
Puccini - Tosca
Puccini - La Bohème
Händel - Teseo
Händel - Riccardo Primo
Wagner - Parsifal
Gluck - Iphigenie en Tauride
Mozart - Cosi fan tutte
Verdi - Falstaff

Ballett:
Der Widerspenstigen Zähmung

Mythos
Der Prozess
  
Schauspiel:
Hesse - Das Glasperlenspiel
Ich bereue nichts
Schiller - Kabale und Liebe
Schiller - Die Räuber
Tschechow - Drei Schwestern
van Gogh - Das Interview
Vekemans - Gift  
Liebrecht - Die Banalität der Liebe
Stockmann - Tod und Wiederauferstehung    
Lausund - Zuhause
Camus - Das Mißverständnis
Lotz - Die lächerliche Finsternis
Delaporte/de la Patèlliere - Der Vorname
Erpulat/Hilje - Verrücktes Blut
Hübner/Nemitz - Richtfest

Konzerte:

8 Symphoniekonzerte
Konzert Max. E. Cencic
Konzert Vesselina Kasarova

Diverses:     
Theaterfest 2014

 


PS: Nur zum privaten Gebrauch / persönliche Statistik für die Spielzeit 2014/2015:
18 Opernbesuche / 11 Produktionen
10 Konzertbesuche / 10 Konzerte
16 Schauspielbesuche / 15 Theaterstücke
4 Ballettbesuche / 3 Produktionen
Theaterfest
Fazit: 48 Vorstellungen im Badischen Staatstheater. Eine tolle Konzertsaison, eine interessante Opernsaison mit zu wenig Begeisterung, eine verbesserte, aber noch zu durchwachsene Schauspiel-Leistung und weiterhin eine klasse Ballett-Compagnie.

4 Kommentare:

  1. Turandot - Bregenz
    ich habe dazu leider keine Meinung.......

    http://diepresse.com/home/kultur/klassik/4783383/Turandot_Chinesische-Wasserspiele-auf-dem-Bodensee-

    Diese Kritik finde ich zutreffend.

    Schönen Urlaub und Gruß Klaus

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  2. Wen wundert‘s? Wenn Kunst sich politisiert hinterlässt sie meistens einen seichten Eindruck. Da Spuhler sich für politisch relevant und wichtig erachtet und mit der grünen Kultusministerin befreundet sein soll promotet man Mainstream-Gedankengut ohne einen Funken von gedanklichem Mehrwert darin zu positionieren. Man ist politisch korrekt und versteht nicht zu differenzieren. Langweilig, vorhersehbar und – unkünstlerisch.
    Es gibt Kollegen, die die Probleme mit dem Intendanten eines Tages künstlerisch verarbeiten wollen. Als Vorbild könnte Big Money dienen. Spuhler würde dann wohl als Karikatur eines Intendanten / Karrieristen und Bühnenfigur / Comedy-Musical-Figur zurück nach Karlsruhe kehren und durch Gelächter ein versöhnliches Intendanz-Ende finden.
    Schöne Ferien und VG!
    V.

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    1. Vielen Dank für die Info und Ihnen auch erholsame Sommerferien!

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