Mittwoch, 28. Mai 2014

Sissi (Ballett) - Gastspiel der Staatsoper Hannover, 27.05.2014

Der Leiter des Hannoveraner Balletts Jörg Mannes hat schön öfters für das Badische Staatsballett choreographiert (Liaison Dangereuses, Das Bett der Giulia Farnese und zuletzt in Mythos). Birgit Keil hat ihn nun im Rahmen der Karlsruher Ballettwoche mit einer seiner Produktionen eingeladen und das Ballett der Staatsoper Hannover bekam langen Applaus für eine starke Leistung bei seinem Karlsruher Gastspiel.

Frauen unter Zwang
Sissi - das ist doppelte Tragik: denn Jörg Mannes zeigt das Unglück zweier Frauen, die im deutschen Bewußtsein kaum zu trennen sind: das der österreichischen Kaiserin Elisabeth und ihrer berühmtesten Verkörperung Romy Schneider, die beide durch ihre frühen Rollen unwiderruflich ihr Leben prägten und zur öffentlichen Person wurden. Dem Korsett gesellschaftlicher Erwartung und Beobachtung zu entkommen war beiden dauerhaft nie möglich und hinterließ seine Spuren. Jörg Mannes lässt Sissi und Romy teilweise gleichzeitig tanzen - doppeltes Leid ist hier kein geteiltes Leid. Beider Söhne sterben, beide zerbrechen daran. Die Hofetikette ist für Sissi, was die Reporter für Romy Schneider darstellten (Mannes schafft hier eine große klaustrophobische Szene zu Honeggers Pacific 231, in der Romy ständig verfolgt wird). Wie Romy Schneider sich in Interviews als Meisterin der Selbstdarstellung zeigte, so treibt Sissi Sport und hielt sich in Form, um in der äußeren Darstellung ihrer Rolle gewachsen zu erscheinen. Es werden überraschende Parallelen zwischen beiden Frauen gefunden.

Szenenfolge statt Handlung
Als Handlungsballett kann man Sissi nicht bezeichnen, es fehlt der große innere Zusammenhalt. Vielmehr reiht die Choreographie Ausschnitte und Gefühlslagen aneinander, die mehr künstlich als organisch verknüpft sind. Wer kein Wissen um Sissi (historisch und filmisch), Romy Schneider und Alain Delon hat, wird es schwer haben. Auch musikalisch ergibt sich nicht der große homogene Eindruck. Es beginnt harmonisch und humorvoll mit Ausschnitten und Anklängen an den berühmten Film: eine getanzte Jagdszene mit Hirsch zu Strauß' Donau-Walzer. Doch danach ist Schluß mit lustig. Der gelegentlich weiterhin durch das Bild trabende Hirsch wirkt eher als Fremdbild und Verfremdung, musikalisch werden intime und wehmütige Momente mit Gustav Mahlers Rückert- und Kindertoten-Lieder beschworen. Ein Höhepunkt am Ende des ersten Akts zeigt zu Mahlers Um Mitternacht die Tänzerin Anastasiya Bobrykova mit großer Eleganz und scheinbarer Leichtigkeit mit beeindruckender Kraft an Ringen tanzend. Eine große tänzerische und physische Leistung. Bravo! Sissi lässt Jörg Mannes von vier unterschiedlichen Tänzerinnen tanzen - der Zugang zu ihr ist durch die historische Distanz diffus geworden, die unterschiedlichen Sissis sind Zeugen einer historischen Unwissenheit. Romy hingegen lebt medial durch Filme und Aufzeichnungen weiter und wird nur von einer Tänzerin dargestellt: Catherine Franco hinterlässt als Romy darstellerisch den stärksten Eindruck und hat die wichtigste Rolle.

Romy und Alain
Den  mit Abstand stärksten und größten Moment hat dieses Ballett in seiner längsten Szene zu Beginn des zweiten Akts, einem langen Pas de deux, in dem die Geschichte von Liebe und Leid Romy Schneiders und Alain Delons zum dritten Satz der 4. Symphonie Gustav Mahlers getanzt und erzählt wird. Auch in Hannover kommen die ersten Solisten aus Brasilien, bzw. konkret aus São Paulo: Catherine Franco als Romy Schneider und Denis Piza als Alain Delon tanzen diese lange und grandiose Szene mit vollem Einsatz. Bravo! Beide werden auch in der Ballettgala am 31.05.2014 in Karlsruhe zu sehen sein.

Fazit: Ein schönes Ballett mit gelegentlichen Durchhängern und einem sehr guten Gastauftritt des Balletts der Staatsoper Hannover.

Sonntag, 25. Mai 2014

Rokokotheater Schwetzingen: Hasse - Leucippo, 24.05.2014

Ein weitere schöne barocke Entdeckung, allerdings ohne szenische Tiefenwirkung - so präsentiert sich Leucippo bei den Schwetzinger SWR Festspielen.

Donnerstag, 22. Mai 2014

Adams - Dr. Atomic, 21.05.2014

Auch vier Monate nach der Premiere (mehr hier) ist die Inszenierung des ersten Akts von Dr. Atomic ein geniales visuelles Meisterwerk. Besser kann man Musik und Handlung nicht umsetzen und auf den Punkt bringen und die Zuhörer/-schauer auf eine Reise mitnehmen. Der zweite Akt bleibt hingegen ein für viele nur schwer überwindbares Hindernis. Das Warten auf die Testzündung soll für die Figuren quälend langsam erscheinen, aber zu viele Zuschauer beginnen sich langsam zu quälen und springen dabei aus Langeweile ab. Bei Yuval Sharons Regie kommt das Publikum im zweiten Teil nicht auf seine Kosten. Die prekäre Gefühlslage des Zweifelns und Wartens, des Hoffens und der Infragestellung überdehnt sich auch visuell in langsames und ermüdendes Bühnengeschehen. Das Konzept der Animation und schnellen Schnitte des ersten Akts wird dadurch formell zwar perfekt kontrastiert, aber praktisch stürzt die Hochspannung des ersten Akts dadurch über weite Strecken des zweiten Akts zu stark ab und wird dadurch doppelt problematisch: musikalisch gedehnt und szenisch gebrochen. Durch stärkere Bilder wäre er zumindest aufgewertet worden. Erst gegen Ende findet sich beim Countdown die Beklemmung ein, die zuvor fehlte. Überhaupt ist Dr. Atomic kein Meisterwerk - die Musik trägt nicht über die komplette Zeit, das Libretto ist aus Zitaten zusammengestückelt und täuscht eine Mischung aus Tiefsinn und Dokumentation vor, die kein rundes Ganzes ergibt.

Politische Oper? Historische Oper?
Bereits anlässlich von Wallenberg wurde im Rahmen dieses Blogs die Frage gestellt, was denn nun politische Oper sei. Im aktuellen Theatermagazin wird dieses Thema im Gespräch mit fünf Regisseuren weiter umkreist und gezeigt, daß Politische Oper ein diskutables Etikett bleibt. Es gibt Etikette, die sich die Theater gerne anheften: politisch, radikal, mutig, gesellschaftlich engagiert .... Eine indirekte Rechtfertigung und ein schlechtes Gewissen scheinen daraus zu sprechen. Man täuscht eine gesellschaftliche Relevanz vor, da man der Kunstform an sich nicht vertraut. Zweckkunst also anstelle von Kunstzweck. Selbstbewußte Theater würden andere Begriffe wählen, die die Autonomie der Kunst betonen und sich deshalb gesellschaftlich relevant sehen: verspielt, opulent, phantasievoll, seelenvoll, grüblerisch, nachdenklich, .... Politische Oper ist aktuell überwiegend historische Oper, die reale Vorkommnisse in der Geschichte mit Abstand von einigen Jahrzehnten behandeln und die Figuren und Momente mit mehr oder weniger künstlicher politischer Bedeutsamkeit unterlegen.

Ein Gegenbeispiel für Politische Oper
Die türkische Regisseurin Yekta Kara inszenierte 2004 in Karlsruhe Mozarts Entführung aus dem Serail und zeigte wie beiläufig, daß sogar Mozart ganz unangestrengt als politische Oper inszeniert werden kann. Sie ließ Traditionalisten und westlich orientierte Türken aufeinander treffen und zeigte im Schlußbild eine Analyse der türkischen Gesellschaft: eine gespaltene Nation, in der sich zwei Lager gegenüberstehen. Die Westeuropäer kamen zwischen Gier und Barbarentum nicht gut davon: die Regisseurin zeigte Belmonte als hektischen Investment Banker im Anzug, Pedrillo trug mit Sportschuhen und Hawaii-Hemd die Insignien geschmackloser Ignoranz gegenüber dem Gastland. Karas Mozart-Inszenierung war politischer und aufschlußreicher als das, was man in Karlsruhe in den letzten drei Jahren mit dem Slogan "politisch" etikettierte.

Verlust der Programmlinien

Nächste Spielzeit (hier zur Vorschau) gibt es keine neue "politische Oper". Die groß angekündigten Programmlinien in der Oper, für die man den wenig aussagekräftigen Preis "Bestes Opernprogramm 2012/13" erhielt (einige werden damals über die schwache Begründung geschmunzelt haben: "Beeindruckend ist ... die Stringenz, mit der thematische Linien verfolgt werden.") hat sich also schon wieder erledigt. Oder ob Offenbachs Fantasio hier die Reihen doch zu schließen vermag? Auch Glucks Iphigenie auf Tauris wird zwar auf Französisch gesungen, aber die Reihe "französischer" Opern wird damit nur halbherzig weitergeführt. Es warten andere Kaliber französischer Komponisten auf ihre Karlsruher (Wieder-)Entdeckung: Lully, Rameau, Meyerbeer, Halévy, Massenet oder Gustave Charpentier.

Dienstag, 20. Mai 2014

7.Symphoniekonzert, 19.05.2014

Größer konnte der Kontrast kaum sein: vor der Pause komplexe Werke der zweiten Wiener Schule von Arnold Schönberg und seinen bekanntesten Schülern Alban Berg und Anton Webern, nach der Pause eine Komposition von minimalistischer Schlichtheit.

Anton Webern variierte in Ricercata aus dem Jahr 1934 das Ricercar zu 6 Stimmen aus Johann Sebastian Bachs Spätwerk Das musikalische Opfer für ein kleines Orchester und dieses kurze Stück mit wenigen Minuten Spieldauer ist für den Beginn eines Konzerts gut geeignet: Ein schöner Einstieg ohne Nebenwirkungen.

Arnold Schönberg
komponierte Ein Überlebender aus Warschau in Zwölftontechnik für einen deklamierenden Sprecher, Männerchor und Orchester im Jahre 1947. (Das Programmheft gibt diesbezüglich sehr interessante Informationen und ist von Bernd Feuchtner mal wieder sehr kenntnisreich und lesenswert zusammengestellt). Als Sprecher bewies Renatus Meszar mit beeindruckend schöner Stimme seine Fähigkeit zur Empathie und Drastik. Ein ausdrucksstarkes Werk, das seine Wirkung auch durch den groß besetzten Männerchor mit ca 45 Sängern erhält, die abschließend ein traditionelles jüdisches Gebet singen.

Danach Drei Stücke für Orchester op. 6 von Alban Berg und es schien Justin Brown ein Anliegen zu sein, dieses Werk zu dirigieren: mit großer Konzentration modellierte er die komplexe Partitur und ließ Bergs Stücke in der Nachfolge Gustav Mahlers symphonisch erregt und aufreibend spannend erklingen. Ein Fortsetzung wäre möglich: Bergs Oper Wozzeck war in Karlsruhe schon lange nicht mehr zu hören.

Nach der Pause dann die Symphonie der Klagelieder des polnischen Komponisten Henryk Górecki (*1933 †2010), die 1976 als Auftragswerk für den Südwestfunk Baden-Baden komponiert wurde. (Das waren noch Zeiten: der erfolgreiche SWF mit seinem großartigen Symphonieorchester! Erst musste man die Senderfusion zum SWR und nun die Zerschlagung und Fusion mit dem Stuttgarter Orchester erdulden. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet eine Rot-Grüne Landesregierung Kulturpolitik unter kapitalistischen Zwang zur erbarmungslosen Einsparungspolitik setzt und den Stuttgarter Zentralismus fördert). Górecki hat als gläubiger Katholik in jedem der drei Symphoniesätze einen polnischen Text vertont; symphonische Klagelieder die von der seelenvollsten Stimme des Badischen Staatstheater Barbara Dobrzanska  mit großer Innigkeit und Intensität in ihrer Muttersprache gesungen wurden. Ein meditativer Ausklang, der zeigte, daß auch in  Schlichtheit Größe liegen kann.

Freitag, 16. Mai 2014

Weitere Abgänge im Karlsruher Schauspiel

Die Karlsruher Problemsparte verliert zum Ende der Spielzeit einige Schauspieler. Tendenziell gehen eher die stärkeren und starken Akteure, zurück bleiben eher die Kandidaten, die sich in den letzten drei Jahren keinen Namen gemacht haben.

Es gehen:
  • Simon Bauer
  • Robert Besta
  • Georg Krause
  • Matthias Lamp
  • Natanaël Lienhard
  • Jonas Riemer
  • Timo Tank
Und wie bereits vor einem Jahr prognostiziert, fehlen weiterhin die Hauptrollenschauspieler. Es kommen zwar viele neue Namen, doch auch diese müssen sich erst mal durchsetzen und sich beim Karlsruher Publikum ihre Reputation erarbeiten.

Dem Karlsruher Schauspiel steht also wieder ein Übergangsjahr bevor, in dem man versucht, sich zu finden. Nach drei durchwachsenen und tendenziell eher unoriginellen und langweiligen Spielzeiten ist es fraglich, ob man nächste Saison endlich Tritt fassen kann.

Komplett ausgetauscht hat man nun auch innerhalb von drei Jahren die Schauspiel-Dramaturgen. Wenn man sich die Programmhefte durchliest, findet man einen Grund.

Doch vielleicht hat man ja nach drei mittelmäßigen Spielzeiten erkannt, daß es nicht um Programmplanung und Theorie geht, sondern für ein Publikum das Bühnengeschehen und starke Schauspieler wichtiger sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt.....

NACHTRAG, 21.05.14: Auch eine bekannte Schauspielerin geht: Ursula Grossenbacher spielt nächste Spielzeit als Gast am Theater in Bonn, wo auch Benjamin Berger und Andrej Kaminsky im Ensemble sind.

Vorschau: Symphoniekonzerte 2014/15


Eine schöne Zusammenstellung: Beliebtes und Unbekanntes, mehrere deutsche Erstaufführungen und Ungehörtes (Stücke von Weinberg und Vivian Fung).

1. SYMPHONIEKONZERT

Carl Nielsen - Ouvertüre zur Oper „Maskerade”
Jesper Koch - Dreamscapes / Konzert für Violoncello und Orchester (DT. ERSTAUFFÜHRUNG)
Gustav Mahler - Symphonie Nr. 1 D-Dur

Michaela Fukačová - Violoncello
Justin Brown - Dirigent
28.9.14  & 29.9.14 


2. SYMPHONIEKONZERT
Vivian Fung - Dust Devils
Mieczysław Weinberg - Violinkonzert g-Moll op. 67 (DT. ERSTAUFFÜHRUNG)
Modest Mussorgsky - Bilder einer Ausstellung (Orchestrierung Maurice Ravel)

Linus Roth - Violine
Mei-Ann Chen - Dirigentin
2.11.14  & 3.11.14 


3. SYMPHONIEKONZERT
Viktor Ullmann - Don Quixote tanzt Fandango
Thomas Larcher - Konzert für Violine, Violoncello und Orchester (DT. ERSTAUFFÜHRUNG)
Richard Strauss - Ein Heldenleben op. 40

Viktoria Mullova - Violine
Matthew Barley - Violoncello
Justin Brown - Dirigent
23.11.14  & 24.11.14 


4. SYMPHONIEKONZERT
Anton Bruckner - Symphonie Nr. 8 c-Moll
Justin Brown - Dirigent
1.2.15  & 2.2.15 


5. SYMPHONIEKONZERT
Stadtjubiläum 300 Jahre Karlsruhe
Joseph Haydn - Symphonie Nr. 94 G-Dur „Mit dem Paukenschlag“
Wolfgang Amadeus Mozart - Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur KV 449
Wolfgang Rihm - Capriccio für Klavier und Orchester (URAUFFÜHRUNG, AUFTRAGSWERK DER STADT KARLSRUHE)
Wolfgang Rihm - Über die Linie VIII (URAUFFÜHRUNG, AUFTRAGSWERK DER STADT KARLSRUHE)

Justin Brown - Klavier & Dirigent
8.3.15  & 9.3.15 


6. SYMPHONIEKONZERT
Edward Elgar - Enigma Variationen op. 36
Thomas Adès - Konzert für Violine und Orchester „Concentric Paths“
Ralph Vaughan Williams - Symphonie Nr. 5 D-Dur

Augustin Hadelich - Violine
Justin Brown - Dirigent
12.4.15  & 13.4.15 


7. SYMPHONIEKONZERT
Robert Schumann - Konzertstück für vier Hörner und Orchester op. 86
Felix Mendelssohn Bartholdy - Symphonie Nr. 2 B-Dur „Lobgesang“ op. 52

Dominik Zinsstag, Frank Bechtel, Jörg Dusemund & Peter Bühl - Horn
Ks. Ina Schlingensiepen - Sopran
Stefanie Schaefer-  Mezzosopran
Ks. Klaus Schneider - Tenor
Chor & Extrachor
Ulrich Wagner - Choreinstudierung
Johannes Willig - Dirigent
3.5.15  & 4.5.15 


8. SYMPHONIEKONZERT
Bedřich Smetana - Ouvertüre zu „Die verkaufte Braut”
Miroslav Srnka - Konzert für Klavier und Orchester (DT. ERSTAUFFÜHRUNG)
Hector Berlioz - Symphonie fantastique

Nicolas Hodges - Klavier
Cornelius Meister - Dirigent
19.7.15  & 20.7.15 


Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch:

2. SONDERKONZERT

Ludwig van Beethoven - Violinkonzert D-Dur op. 61
Jean Sibelius - Symphony Nr. 2 D-Dur op. 43

Patricia Kopatchinskaja - Violine
Sir Roger Norrington - Dirigent
RSO STUTTGART DES SWR
18.1.15

KONZERT DES BUNDESPRÄSIDENTEN
Orchester des Helmholtz-Gymnasiums Karlsruhe (Hans-Jochen Stiefel - Leitung)
Badische Staatskapelle
Justin Brown - Dirigent
23.6.15 20.00


PS: Hallo liebes Badisches Staatstheater
,
Bruckners 8. Symphonie ist wirklich ein gigantisches Werk ("Die Krone der Symphonik", wie ein großer Dirigent sie einst bezeichnete). Nun hat Sergiu Celibidache tatsächlich knapp 100 Minuten dafür benötigt, aber bei Justin Brown könnte man vermuten, daß er eher eine Lesart wie bei Carl Schuricht bevorzugt und unter 80 Minuten bleibt. Sollte man dann nicht eine Pause und ein kleines Vorstück einbauen?

Mittwoch, 14. Mai 2014

Weinberg - Die Passagierin, 13.05.2014

Fast genau ein Jahr nach der Premiere (mehr dazu hier) ist Weinbergs Oper immer noch ein tiefgehendes Opernerlebnis und dem scheidenden Operndirektor Schaback und Chefdramaturg Feuchtner kann man nun wirklich nicht vorwerfen, daß sie ihr Programm "routiniert" zusammengestellt haben: ob nun Berlioz' Trojaner, Delius' Romeo und Julia auf dem Dorfe, Wallenberg, Tannhäuser, Peter Grimes, Dr. Atomic oder Riccardo Primo und auch Künnekes Der Vetter aus Dingsda - es gibt einiges, woran man sich erinnern wird.

Die Passagierin ist nun aber wirklich keine leichte Kost. Daß dennoch nicht wenige Zuschauer entschlossen, sich für die Vorstellungen Karten zu besorgen, spricht für das Karlsruher Publikum. Die gestrige vorletzte Vorstellung war noch ca zu 50-60% ausgelastet - man muß sich seelisch schon auf die dreistündige Bedrückung einlassen wollen und Verständnis für jene haben, die sich dem nicht gewachsen fühlen.

Die Not und Angst im Konzentrationslager - Weinberg schenkt den Frauenstimmen große, emotional bewegende Szenen: ob nun die wunderbare Barabara Dobrzanska in der Hauptrolle, die ab nächster Spielzeit zum Ensemble gehörende junge polnische Sopranistin Agnieszka Tomaszewska als Katja mit anrührendem russischem Volkslied oder die tiefen Frauenstimmen von Dilara Baştar und der immer besonderen Rebecca Raffell, die ebenfalls mit dem Gebet der Bronka einen weiteren großen Auftritt hat. Dazu die vielen weiteren Momente der Erschütterung: Allrounder Andrew Finden, der als Geiger Tadeusz seiner Figur Kraft aus Religion und Kultur verleiht und zeigt, wie man versucht, sich an Kostbares zu halten, um der Verzweiflung entgegen zu leben, der großartig zwielichtige Walter von Matthias Wohlbrecht sowie die ständig Bühnenpräsenz zeigende Christina Niessen als Wärterin. Oder auch die aus dem Chor so stark besetzten kleinen Nebenszenen, wie beispielsweise die von Maike Etzold gesungene Lagerinsassin, die psychisch vom Schrecken zerrüttet das Unaussprechliche des Massenmords verzweifelt als Tod durch Schnupfen darstellt - es stimmt einfach und passt zusammen, was hier ein Opernhaus mit vielen Beteiligten so mutig auf die Bühne bringt. Christoph Gedschold lässt das Orchester dazu farbenreich klingen und beweist die Stärke der Weinberg'schen Partitur, die man gerne auch kulinarisch und quantitativ genießen wollte, wenn die Handlung es denn zuließe. Musikalisch und szenisch eine Aufführung voller Spannung und Höhepunkte und ein herzliches Bravo! an alle Beteiligten für einen zweifellos schweres und vielschichtiges Erlebnis.

Freitag, 9. Mai 2014

Georg Kaiser - Gas I & II, 08.05.2014

Schade! Wenig inspirierend, wenig spannend, wenig besonders!
Die Premiere dieser Karlsruher Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen erfolgte bereits im letzten Jahr im Mai 2013 in Recklinghausen. Gestern fand nun die erste Karlsruher Aufführung statt. Man hat sich einen weitestgehend vergessenen Autor und Text ausgesucht, den man wiederbeleben wollte - aber es war nur ein künstliches Zum-Leben-erwecken. Das Stück blieb tot.

Georg Kaiser (*1878 †1945) war ein Autor mit Vision und Sendungsbewußtsein. Ganz unbescheiden nannte er die 'Erneuerung des Menschen' seine moralische Aufgabe. In der Weimarer Republik war er neben Gerhard Hauptmann der meist aufgeführte Dramatiker, nach 1945 war er aus der Mode - seine Visionen zogen nicht mehr.
Kaiser ist Allegoriker seiner Begriffe, seine Figuren sind ins Symbolische und Formelhafte gesetzte Repräsentanten seiner Ideen und Visionen. Gestern fehlte deutlich etwas,  um mehr Spannung oder Interesse aufkommen zu lassen; die Defizite liegen am Text, der es verpasst, seinen Figuren Leben und Individualität einzuhauchen, am Thema, das zwar nahe an unserer Zeit  ist, aber doch nicht zeitgemäß genug behandelt wird und am Regisseur, der zu betulich inszenierte.
 
Worum geht es? 
Um knapp 100 Jahre alte Science Fiction, Gas I/II wurde 1920 uraufgeführt. Ein einziger Gaskonzern stellt in der futuristischen Welt von Gas I die Energieversorgung der ganzen Welt sicher. Alle Arbeiter werden am Gewinn beteiligt, doch nach einer Explosion (der Atomkraftwerksunfall in Fukushima kommt schon nicht mehr unmittelbar ins Gedächtnis) mit vielen toten Arbeitern wird der Firmenbesitzer skeptisch und will aus der Produktion aussteigen. Doch die Arbeiter sehen ihre Zukunft nicht im Rückschritt als selbstversorgende Bauern und lassen sich ihre Einkommensquelle nicht nehmen, sie streiken. Der Staat enteignet den Besitzer und übernimmt die Anlage.
Gas II spielt ca 30-40 Jahre später. Man ist im Krieg, die Arbeiter des Gaskonzerns leiden unter den Arbeitsbedingungen. Wieder streiken die Arbeiter und versuchen diesmal, Frieden zu stiften. Doch wird die Anlage während des Friedensappels vom Feind militärisch übernommen und zur Produktion gezwungen. Doch ein Ingenieur hat die rächende Idee: er hat eine tödliche Gaswaffe erfunden.

Marxistische Analyse im Programmheft
Liest denn am Badischen Staatstheater niemand mehr die eigenen Publikationen? Im Programmheft werden Kaisers Intentionen zwar erläutert, aber dabei mit einer dubiosen, altertümlichen Deutung unterlegt, als wollte man beweisen, daß hier alles schon längst in jeder Hinsicht geschichtlich überholt ist. So reduziert man z.B. komplexe Zusammenhänge auf einfachste monokausale marxistische Thesen:
".... daß die Fanatisierung zum Untergang, die ein knappes Jahrzehnt nach der Publikation von Gas mit dem Einzug der NSDAP ins Parlament ihren Anfang nahm, nicht auf eine fehlgeleitete Gesellschaft zurückzuführen ist, sondern dem kapitalistischen System immanent ist."
Wer hätte gedacht, daß es so einfach sein könnte - Hitler war also nur systemimmanente Folge des Kapitalismus?!? Leider fehlt der Verweis auf das renommierte wissenschaftliche Werk, das zu dieser sehr simplen Schlußfolgerung im Programmheft des Badischen Staatstheaters kommt. Oder werden hier nur Verdachtsmomente und schlecht recherchierte, persönliche oder historische Meinungen geäußert?

Aber die vorsintflutlich-marxistische Analyse des Karlsruher Schauspiels geht unangenehm weiter:
"Kaiser verwies auf die Strukturen, die Freiheit verneinen: Militarismus, Nationalismus, Entfremdung, Profitmaximierung, Zweckrationalität, ökologische Skrupellosigkeit. Wer unter solchen Bedingungen leidet, kann Freiheit nicht erkennen, sie also auch nicht politisch-praktisch verwirklichen."
Ja, da benötigt man wohl doch den elitären Berufsrevolutionär Lenin'scher Prägung, um den Entfremdeten die Augen zu öffnen und die Freiheit zu bringen, die sie selber nicht erkennen oder erringen können.

Forschung und Fortschritt werden im Programmheft auf zwei Aspekte reduziert: den "kapitalistischen Zwang zur Profitmaximierung" und "erbarmungslose Gewinnorientierung" - auch hier will man Komplexes ausschließlich in die marxistische Schablone der Verhältnisse vor 100 Jahren pressen und verpasst die Chance, Theater für heute zu machen.

Der Ambivalenz des technologischen Fortschritts wird man mit Gas I/II auch nicht gerecht. Diese Ambivalenz findet sich schon lange nicht mehr auf industriell-technologischer Seite, wo man inzwischen aufgrund von Rohstoffknappheit längst an Kreislaufsystemen und Wiederverwertungszyklen arbeitet, der Umweltschutz ein Wirtschaftsfaktor geworden ist und sogar Unfälle wie Tschernobyl und Fukushima als lokale Phänomene so eingedämmt wurden, daß in Europa und weltweit der Bau von neuen Kernkraftwerken Priorität hat und nur in sehr wenigen Nationen kritisch gesehen wird (ach ja: "Wer unter solchen Bedingungen leidet, kann Freiheit nicht erkennen, sie also auch nicht politisch-praktisch verwirklichen" - der Kernkraft-freundliche  Rest der Welt braucht aus dieser Sicht Belehrung und Hilfe der wahren Freien). Die Ambivalenz des technologischen Fortschritts ist heute immer noch im Bereich der Gentechnik zu finden - das passende Theaterstück hat sich Hollywood bereits mehrfach als Drehbuch schreiben lassen.

Was ist zu sehen?  

Der Regisseur meidet Aktualisierungen und Zuspitzungen, die den Text im Licht heutiger Problemstellung vergegenwärtigen und verlässt sich ganz auf die historische Substanz (was aber keine Entschuldigung für die oben genannten Defizite im Begleittext ist). Der erste Teil (ca 100 Minuten) hat wenige spannende Momente und einige monologische Durchhänger, die man besser straffend gekürzt hätte, sowie viel statisches Bühnengeschehen. Der zweite Teil (ca 45 Minuten) ist sprachlich radikaler und bewegter. Keine Figur hat bei Kaiser einen Namen, er zeigt fast nur Menschen als Masse ohne Individualität. Besondere darstellerischen Qualitäten darf folglich auch niemand beweisen - eine gute Ensemble-Leistung der Schauspieler mit wenig Profilierungsmöglichkeit.

Bühnenbildner Sebastian Hannak ist eine der beeindruckenden Entdeckungen der letzten Jahre für die Karlsruher Bühne. Er stattete bisher die Ballette Momo und Mythos sowie im Schauspiel Jakob der Lügner erfolgreich aus. Auch hier ist im wieder eine interessante Lösung gelungen. Die Bühne zeigt eine geborstene Fabrikationshalle mit einem Gerüst, das den Zuschauerraum mit einbezieht und die Gefahr der Figuren durch einen in den Bühnenraum hineinragenden Steg versinnbildlicht, auf dem sich die Schauspieler nur mit Karabinerhaken gesichert bewegen können - visuell das Spannendste an diesem Theaterabend. Allerdings besteht für viele Plätze Sichtbehinderung. Die Kostüme sind der Entstehungszeit entlehnt und verzichten auf eine künstliche Aktualisierung

Fazit: Eine spröde Premiere, die zu selten mit Leben gefüllt ist. Trotz einer durchaus spannenden Grundkonstellation, driftet man zu oft in Langeweile und Belanglosigkeit ab. Die Regie zeigt das Stück in veraltetem Gewand und thematisch mit wenig Aussagekraft. Der Zwiespältigkeit des Themas wird man leider nicht gerecht. Wer's nicht sieht, hat leider nichts verpasst.
    
PS: Das war's schon: die letzte Premiere im Schauspiel für den Rest der Spielzeit, Hesses Glasperlenspiel ist in die kommende Spielzeit verschoben, ein Gastspiel füllt die Lücke. Im Studio hat man auch nur Dokumentarisches/Journalistisches. Die Durststrecke ist symptomatisch für das Karlsruher Schauspiel: zu oft ist man einfallslos, unoriginell und ohne besondere Vorkommnisse. Schauspiel ohne Ausstrahlungskraft. Ein unwissender und unvoreingenommener Besucher würde vermuten, daß der Schauspieldirektor zum Ende der Spielzeit gehen muß, nicht der Operndirektor, der 2014 mit Dr. Atomic, Riccardo Primo, Rinaldo, Meistersinger und den bevorstehenden Premieren definitiv sein Publikum besser und anspruchsvoller unterhält.

Besetzung und Team:
GAS I
Der weiße Herr: Annette Büschelberger
Milliardärssohn: Andrej Kaminsky
Tochter: Joanna Kitzl
Offizier: Jonas Riemer
Ingenieur: Jan Andreesen
Schwarzer Herr: Robert Besta, Ronald Funke, Sascha Özlem Soydan
Regierungsvertreter: Robert Besta
Schreiber: Natanaël Lienhard
Junger Arbeiter: Johannes Schumacher
Arbeiter: Gunnar Schmidt
Mädchen: Stephanie Biesolt
Frau: Sascha Özlem Soydan
Mutter: Annette Büschelberger
Hauptmann: Ronald Funke

GAS II
Milliardärarbeiter: Jan Andreesen
Großingenieur: Andrej Kaminsky
Blaufigur: Johannes Schumacher, Robert Besta, Gunnar Schmidt, Natanaël Lienhard, Jonas Riemer, Sascha Özlem Soydan
Gelbfigur: Annette Büschelberger, Joanna Kitzl, Robert Besta, Gunnar Schmidt, Ronald Funke, Gunnar Schmidt, Natanaël Lienhard
Arbeitermädchen: Stephanie Biesolt
Arbeiterjunge: Johannes Schumacher
Arbeiterfrau: Sascha Özlem Soydan
Arbeitermann: Jonas Riemer
Arbeitergreisin: Annette Büschelberger
Arbeitergreis: Ronald Funke

Regie: Hansgünther Heyme
Bühne und Kostüme: Sebastian Hannak
Musik: Saskia Bladt

Freitag, 2. Mai 2014

Karlsruher Händel-Konzert im Radioprogramm von SWR2

Morgen, Samstag, 03.05.2014, überträgt SWR2 ab 20 Uhr das Konzert der Händel Festspiele 2014 mit Mezzosopran Roberta Invernizzi und dem Orchestre Atlante unter der Leitung von Michael Form vom 27.02.2014.
Das komplette Radioprogramm von SWR2 für den 03. Mai findet sich hier:
http://www.swr.de/swr2/programm/-/id=661104/date=20140503/1htom2d/index.html