Dienstag, 4. November 2014

2. Symphoniekonzert, 03.11.2014

Ein Werk der Komponistin Vivian Fung war bereits letzte Spielzeit in einem Symphoniekonzert zu hören: ihr Harfenkonzert begeisterte und so war es nur folgerichtig, eine weitere Komposition dem Karlsruher Publikum vorzustellen: Dust Devils aus dem Jahr 2011 ist ein knapp zehnminütiges Werk, das all das beeindruckend zeigt, was viele sehr gute Komponisten heute können: eine meisterhafte Orchestrierung, verschiedene Stimmungen und Effekte, spannend arrangiert mit viel Schlagzeug-Einsatz und zum Abschluß ein durch Blechbläser verstärktes lautes Ende. Ein wenig könnte man meinen, daß das -zweifellos sehr gut gemachte- Gebrauchs- oder Filmmusik ist,  Fungs Harfenkonzert hatte etwas mehr Individualität und vielleicht sollte man eher ein weiteres Solokonzert für eines der nächsten Konzerte aussuchen.

Mieczysław Weinberg (*1919 †1996) ist durch seine Oper Die Passagierin einem größerem Publikum bekannt geworden und viele seiner Werke (mehr als 150 Kompositionen, darunter 22 Symphonien) warten auf ihre Entdeckung. Wie der frühere Karlsruher Dramaturg Bernd Feuchtner im sehr interessanten Programmheft beschreibt, wurde Weinbergs Musik in der UdSSR aufgeführt, aber der Westen ignorierte diese so gar nicht avantgardistische Musik, "die sich an der Symphonik des 19. Jahrhunderts orientierte". Nur Schostakowitsch hat sich durchgesetzt, Komponisten wie Weinberg oder Khatchaturian fristen auf den Konzertbühnen bis heute ein Schattendasein. Weinbergs Violinkonzert g-Moll op. 67 (UA 1961) war gestern in deutscher Erstaufführung zu hören. Es ist ein Konzert mit Substanz und Individualität, auch wenn man gelegentlich doch einen Doppelgänger Schostakowitschs zu hören vermeint: den Beginn des 2. Satzes kann man bspw. durchaus verwechseln, doch muß man beachten, daß Schostakowitsch auch von Weinberg beeinflusst wurde und beide sich sehr gut kannten. Die Abhängigkeiten sind durchaus beidseitig möglich: Schostakowitsch klingt vielleicht auch nach Weinberg.
Violinist Linus Roth hat Weinberg 2010 für sich entdeckt und es sich zur Aufgabe gemacht, Weinberg bekannter zu machen. Er spielte bereits zwei CDs mit seiner Musik ein: das Violinkonzert und sechs Violinsonaten. Roth hinterließ mit dem virtuos fordernden Konzert gestern einen sehr guten Eindruck (und einen sehr schönen Violinklang! Seit 1997 spielt Linus Roth die Stradivari „Dancla“ aus dem Jahr 1703, eine Leihgabe der L-Bank Baden-Württenberg). Nach unruhigen und eilendem Beginn wandelt sich das erst entschlossen wirkende Konzert schnell in einen getrieben und flüchtend wirkenden Modus. Die beiden ohne Pause gespielten mittleren Sätze sind langsam, innerlich und wehmütig; vor allem der dritte Satz steigert sich zu einem wunderbar innigen Geigenspiel. Der entspannte und  positive Schlußsatz lässt die Violine singen und dann langsam verklingen. Ein lohnenswertes Konzert und eine schöne Entdeckung, die sich vielleicht nicht beim ersten Hören umfänglich erschließt, aber der Mühe des Einhörens wert ist.
Nach einer Danksagung an das Badische Staatstheater für die Chance, Weinbergs Konzert vor Publikum zu spielen, gab Roth als Zugabe die Sarabande aus Bachs 2. Partita BWV1004.
 
Nach der Pause dann ein beliebter Favorit im Konzertrepertoire: Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung ist das Ergebnis doppelter Individualität: Mussorgskys großartiger kompositorischer Eingebung und Maurice Ravels imposanter Orchestrierungsphantasie, die sich gegen andere Versionen immer noch souverän durchsetzt. Und auch gestern gab es viel Applaus, Bravos und Jubel für eine mitreißende, orchestral sehr gute, aber nicht ganz fehlerfreie Aufführung der Staatskapelle.

Wir schreiben das Jahr 2014. Zum ersten Mal in der über 300jährigen Geschichte des Karlsruher Orchesters stand eine Dirigentin am Pult der Badischen Staatskapelle: Mei-Ann Chen ist 1973 in Taiwan geboren und kam 1989 in die USA, wo sie als Dirigentin etabliert ist. Ihr Dirigierstil erinnert ein wenig an Leonard Bernstein: sehr körperbetont modelliert sie ihre Vorstellungen nicht nur mit voluminösen Einsatz von Armen und Händen, sondern auch durch starke Bewegungen des Körpers und anscheinend auch durch Mimik. Publikum und Orchester spendeten ihr herzlichen Applaus.

Ein sehr interessantes Konzert, das viele positive Eindrücke hinterließ und hoffentlich Folgen hat: sowohl Fung als auch Weinberg (bspw. mit seinem Cellokonzert oder eine seiner 22 Symphonien) könnten auch zukünftig wieder auf dem Programm stehen, sowohl Mei-Ann Chen und Linus Roth sollten wieder eingeladen werden.