Sonntag, 15. Juni 2014

Ravel - Das Kind und die Zauberdinge / Strawinsky - Die Nachtigall, 14.06.2014

Großes Desinteresse beim Publikum gegenüber Ravel und Strawinsky: selten sieht man in einer Karlsruher Premiere so viele leere Plätze im Rang und Balkon. Attraktiv wirkt die Kombination der beiden Kurzopern anscheinend nicht: zu leicht, zu unbedeutend, zu belanglos? Dabei sollten es doch gerade zwei sommerlich-leichte Mini-Opern (beide jeweils ca 45 Minuten) sein, die den richtigen Kontrast zu den vermeintlich schweren und langen Opern bieten können, mit denen man sich in letzter Zeit in Karlsruhe vorwiegend beschäftigt hat. Die beiden Kurzopern haben deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient, auch wenn es einen guten Grund gibt, wieso beide selten zu hören sind: es sind eher Meisterwerke auf dem Papier als auf der Bühne.



Worum geht es?
Ravels Kurzoper Das Kind und die Zauberdinge (L'enfant et les sortilèges, UA 1925) handelt von einem aggressiven Kind, das seine Umwelt solange quält und terrorisiert, bis sich Gegenstände und Tiere zu wehren beginnen und ihm die Grausamkeit seines Handels vor Augen führen. Der Gesinnungswandel ist abgeschlossen, wenn das Kind einem verletzten Eichhörnchen die Pfote verbindet und Mitgefühl gegenüber seiner Mitwelt zeigt und die Gewalt beendet.
   
Strawinskys Die Nachtigall (Le Rossignol, UA 1914) basiert auf Hans-Christian Andersens gleichnamigen Märchen. Eine Nachtigall rührt den Kaiser von China mit ihrem Gesang zu Tränen und entflieht, als er eine mechanisch betriebene Imitation einer Nachtigall geschenkt bekommt und sich für diese interessiert. Der Kaiser wird krank und der Tod will ihn mitnehmen. Da erscheint die echte Nachtigall und singt den Tod hinweg. Der Kaiser gesundet und lebt weiter.

Was ist zu sehen?
Der schwächste Einfall vorab: er ist dramaturgischer Natur. Um eine Verbindung für beide Opern zu finden, hat man die Handlung durch eine etwas erzwungen wirkende Klammer erweitert. Die Entstehungszeit der beiden Werke dient als Anlaß, Ravels Kinderoper in ein Feldlazarett des 1. Weltkriegs zu verlegen, wo der ehemals boshafte Junge sich zurückerinnert und seine Lektion von damals nun als traumatisiertes Kriegsopfer im Albtraum erneut durchlebt. Das verletzte Eichhörnchen wird zum invaliden Soldaten im Rollstuhl.
Ein verletzter Soldat läuft auch durch die Szenerie von Strawinskys Nachtigall und wird von dem Sänger gespielt, der im Libretto eigentlich als Fischer auftritt. Doch diese Klammer ist halbherzig und ohne Mehrwert, sie behauptet eine vordergründige Relevanz bei niedrigem künstlerischem Anspruch. Ihre Umsetzung stellt beide Regisseure vor Probleme: Ravels Oper wandelt sich vom zauberhaften Märchen zum traurigen Drama. Bei Strawinsky wirkt der Soldat wie ein Fremdkörper ohne Bindung zum Geschehen.

Der junge Regisseur Tobias Heyder hat für Ravels Kurzoper Das Kind und die Zauberdinge viele gute Einfälle, um die schnellen Szenenwechsel unterhaltsam und sinnfällig darzustellen und setzt starke psychologische Akzente. Eine Kinderoper ist es bei ihm nur in wenigen Szenen, die Zauberdinge werden zur Bedrohung. Im dritten Akt ist es ein bedrückendes Kriegsdrama. Die Moral des Mitgefühls betrifft nicht mehr nur Gegenstände, Natur und Tiere, sondern vor allem den geschundenen Mitmenschen.

Regisseur und Choreograf Tim Plegge, der für das Badische Staatsballett Momo und den mittleren Teil von Mythos schuf, hat mit Strawinskys Die Nachtigall seine erste Opernregie erarbeitet und setzt dabei stark auf visuelle Effekte und seine Erfahrung als Choreograph, vor allem im Umgang mit dem Chor. Die Moral der Geschichte, die Abkehr von der Natur als Schaden und die Hinwendung zu ihr als Rettung, ist bei ihm ohne Psychologie und weniger penetrant moralisierend als bei Tobias Heyder. Natur wird hier zum Äquivalent für künstlerisches Schaffen und freie Entfaltungsmöglichkeiten. Natur wird auf der Bühne in der Nachtigall durch drei bildende Künstler repräsentiert, die im 1.Akt malerisch tätig sind. Der geheilte Kaiser greift mit seinem Hofstaat im Schlußbild selber zum Pinsel, um seine wieder hergestellte Verbindung zur Natürlichkeit darzustellen.

Hervorheben muß man die variable Bühne von Frank Philipp Schlößmann und die für beide Opern unterschiedlichen Kostüme von Janine Werthmann, die ihr Sujet ideal kennzeichnen.

Was ist zu hören?
Der Star des Abends war beim Publikum Emily Hindrichs, die in beiden Opern wichtige Rollen singt und als Nachtigall auftritt. Bei Ravel sind es vor allem Christina Bock und Dilara Baştar, die aufhorchen lassen, bei Strawinsky Seung-Gi Jung und Eleazar Rodriguez. Und einen besonderen Auftritt hat Rebecca Raffell, die im zweiten Teil des Abends mit Aufsehen-erregendem Kostüm und Schuhen dem Tod ein ganz besonderes Auftreten verleiht. Blythe Newmann tanzt die mechanische japanische Nachtigall mit gewohnter Souveränität.
Dirigent Christoph Gedschold hat im gut gemachten Programmheft (es findet sich aktuell hier als pdf) einen schönen Beitrag über den "faszinierenden Farbenreichtum" der beiden Partituren geschrieben. Als er gestern zum Schlußapplaus auf die Bühne kam, geschah das in fast symptomatischer Weise für sein gestriges Dirigat: überraschend gemächlich. Obwohl es sich um Kurzopern handelt, hatten beide Längen, als ob die hinzuinszenierte moralisierende Komponente der Kriegsgeschichte einen zusätzlichen musikalischen Ernst erforderte.
Einen schönen Auftritt hatten die 30 Kinder des Cantus Juvenum, die zusammen mit dem Staatsopernchor die kleine Ravel-Oper zum groß besetzen Werk machten .

Fazit:  Gut gemacht mit deutlich mehr Stärken und wenigen Schwächen und trotzdem keine große Opern-Entdeckung fürs Repertoire, sondern solide Raritäten.

Besetzung und Team:

DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE 
Das Kind: Christina Bock
Die Katze / Das Eichhörnchen / Die Mutter: Dilara Baştar
Die Standuhr / Der Kater / Der Vater: Andrew Finden
Das Feuer / Die Prinzessin / Die Nachtigall: Emily Hindrichs
Die chinesische Tasse / Die Libelle: Katharine Tier
Der Polstersessel / Die Schleiereule: Lydia Leitner
Ein Schäfer: Maike Etzold
Eine Schäferin: Larissa Wäspy
Ein Baum: Doğuş Güney
Der Lehnstuhl: Yang Xu
Die Teekanne: Eleazar Rodriguez
Der kleine alte Mann / Der Laubfrosch: Max Friedrich Schäffer
Die Fledermaus: Tiny Peters

DIE NACHTIGALL
Die Nachtigall: Emily Hindrichs
Die Köchin: Christina Niessen
Der Fischer: Eleazar Rodriguez
Der Kaiser von China: Seung-Gi Jung
Der Kammerherr: Yang Xu
Der Bonze: Doğuş Güney
Der Tod: Rebecca Raffell
Die japanische Nachtigall: Blythe Newman
Erster japanischer Gesandter: Nando Zickgraf
Zweiter japanischer Gesandter: Andrew Finden
Dritter japanischer Gesandter: Kammersänger Johannes Eidloth

Musikalische Leitung: Christoph Gedschold
Regie (Das Kind und die Zauberdinge): Tobias Heyder
Regie / Choreografie (Die Nachtigall): Tim Plegge
Bühne: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Janine Werthmann
Chorleitung: Ulrich Wagner
Kinderchorleitung: Hans-Jörg Kalmbach

3 Kommentare:

  1. @Klaus: Danke! Ich halte Sie gerne informiert.
    Bei Ravel/Strawinsky schien es mir die dramaturgische Bedeutungsschwere zu sein, die den Dirigenten zu einer ernsteren und für mich etwas Esprit-losen musikalischen Umsetzung inspirierte. Das Ravel'sche Märchen wird zum Kriegsalbtraum. Dem ernsten Gehalt des Märchens wird der Regisseur damit sehr gut gerecht, die Musik entspricht dem m.E. nicht immer.
    Strawinsky ist visuell interessant und phantasievoll umgesetzt. Dennoch fehlte mir auch hier etwas die Leichtigkeit und der Farbenreichtum der Musik. Also ein seltener Fall, in dem ich mich musikalisch nicht ganz glücklich fühlte und eine Diskrepanz spürte. Ob das an Gedschold oder Ravel/Strawinsky liegt (beide nicht meine Lieblingskomponisten) muß ich bei Folgebesuchen entscheiden.

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  2. Diese Info lief mir gerade über den Weg.
    Da dachte ich sofort an Sie.

    http://www.lvz-online.de/kultur/news/aussergewoehnlich-anspruchsvoll-premiere-der/r-news-a-242913.html

    Gruß Klaus

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    1. Vielen Dank! Strauss' Frau ohne Schatten gehört zu meinen Lieblingsopern und beim Lesen habe ich mir bereits überlegt, ob ich demnächst nach Leipzig fahren kann

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