Freitag, 25. November 2011

Schiller – Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, 24.11.2011

Der frühere FAZ Theaterkritiker Georg Hensel hat die alte Schauspielerweisheit überliefert, daß der Fiesco gerne dazu verwendet wird, einen Regisseur zu verheizen, und meistens bleiben dabei auch Schiller, die Schauspieler und das Publikum auf der Strecke. All jene, die sich noch an den letzten Karlsruher Fiesco erinnern, der in der Spielzeit 1992/1993 im Großen Haus präsentiert wurde, können das wahrscheinlich aus leidvoller Erinnerung bestätigen: damals ein grandioses Fiasko, bei dem die Zuschauer in der Pause des 3,5 stündigen Abends in Scharen das Theater verließen. Einige erinnern sich eventuell noch deshalb an die Inszenierung von Paolo Magelli, weil er bei vielen Szenenwechseln durch Einsatz einer ohrenbetäubend lauten Fliegeralarmsirene jeden Theaterschlaf unterband.


Die grundlegende Problematik des Fiesco hat verschiedene Ursachen: ein unplausibles Verschwörungskonstrukt, bei dem drei unterschiedliche Verschwörungen parallel laufen, aus dem sich trotzdem ein nur gering wirksamer Spannungsbogen und wenige Momente inspirierender Charakterisierung ergeben.
Schiller war sich lange über den Ausgang uneins: sollte Fiesco die Republik retten oder selber zum Alleinherrscher aufsteigen, sollte er sterben oder verzichten. Drei Enden sind überliefert.  Der Essayist und Philosoph Rüdiger Safranski hatte in seiner lesenswerten Schiller-Biographie eine philosophische Verteidigung des Fiesco geliefert: Schiller liebte die Unvorsehbarkeit der Freiheit, die Illusion der Notwendigkeit widerstrebte ihm. Fiescos Charakter ist offen und im Stück undurchschaubar: er wird sich also in Folge und Gemäßheit der Beschaffenheit seiner Entscheidung erkennen; statt daß er, wie oft bei einer Rollencharakterisierung, handelt in Folge und Gemäßheit seines Erkennens.

Gestern hatte nun Schillers Fiesco in der Inszenierung von Felix Rothenhäusler Premiere. Er hat das Stück stark gekürzt (zwei Stunden ohne Pause im Kleinen Haus) und ca die Hälfte der Figuren gestrichen: acht Schauspieler werden benötigt.

Rothenhäuslers Inszenierungsidee kombiniert die Unvorsehbarkeit der Freiheit mit dem seiner Ansicht nach zweiten Grundmotiv des Stücks: Spiel, Täuschung, Maske – doch nicht als Manöver, eher als zweite Natur des Menschen, der nur da „ganz Mensch ist, wo er spielt“.  Die Figuren  des Stücks werden von ihm als Rollenspieler konzipiert, die sich an dem Stück versuchen und alle drei Enden spielen.
Das Bühnenbild von Michael Köpke  betont den Spielcharakter durch eine Bühne auf der Bühne, auf der die agierenden Personen stehen, während die pausierenden Schauspieler dem Treiben auf der Bühne zuschauen können. Zu Beginn in heutiger Kleidung werden im Verlauf des Abends auch historisierende Anlehnungen aus den Zeiten Fiescos und Schillers als Verkleidung gezeigt.

Die Schauspieler können einem an diesen Abend leid tun: sie spielen bei diesem Spiel im Spiel schlecht spielende Rollenspieler, die ihre Texte ohne innere Überzeugung aufsagen. Es entfaltet sich die Wirkung eines statischen, gestellten, laienhaften Rollenspiels für Erwachsene, bei denen die Schauspieler um Inauthentizität bemüht sind. Und wenn Rothenhäusler starke Emotionen zulässt, dann denunziert er die Person als lächerlich oder künstlich.
Die Inszenierung wirkt blutleer und auffallend einfallslos. Man bekommt bekannte Regieeinfälle im bekannten Gewand gezeigt: Farbeimer und Pinsel, der ins Publikum gestreckte nackte Po, obligatorische Schrei- und Hysterieanfälle, das unvermeidliche Mikrophon. Rothenhäusler Laiendarsteller bedienen sich im Fundus belangloser Beliebigkeiten.

Doch die Inszenierung ist nicht eindimensional: sie taugt zur zeitdiagnostischen Ausdeutung. Der Schillersche Freiheits- und Spielbegriff wird z.B. zu einseitig definiert. Schiller hatte die Auflösung von Ernstfällen und Konflikten in rituelle, spielerische Handlungen im Sinn, kein Masken- oder Rollenspiel als zweite Natur des Menschen. Der Illusion der Notwendigkeit wird durch den Regisseur ein Recht zum Rollenspiel entgegengesetzt,  bei dem die Akteure gespielte Positionen einnehmen. Beim Kind entfaltet sich die Menschwerdung im Spieltrieb. Spätere Rollenspiele sind dagegen eskapistisch verursacht: Verzagtheit führt dazu, daß man andere Leben führen möchte. Damit hat man den existenziellen Schlüssel für diese Inszenierung in der Hand: Unentschlossenheit und Orientierungslosigkeit. 
Schillers Fieso hat den Untertitel Ein republikanisches Trauerspiel. Die politische Dimension wird vom Regisseur folgerichtig ignoriert.

Leider  verwandelt auch eine philosophisch interessante Analyse Schillers Stück nicht in ein Meisterwerk. Rothenhäusler Versuch zu einer Ästhetik des Spiels im Drama zu finden, scheitert sang- und klanglos als öder Langeweiler.
Georg Hensel hat die alte Schauspielerweisheit überliefert, daß der Fiesco gerne dazu verwendet wird, einen Regisseur zu verheizen, und meistens bleiben dabei auch Schiller, die Schauspieler und das Publikum auf der Strecke. In Karlsruhe kann man sich mal wieder davon überzeugen.

FAZIT: Nicht empfehlenswert!

Besetzung und Inszenierung
Fiesco - Simon Bauer; Andreas Doria - Hannes Fischer; Gianettino Doria - Paul Grill; Verrina - Robert Besta; Bourgognino- Thomas Halle; Muley Hassan, Mohr - Matthias Lamp; Leonore - Cornelia Gröschel; Julia - Sophia Löffler
REGIE Felix Rothenhäusler BÜHNE Michael Köpke KOSTÜME Katharina Kownatzki MUSIK Matthias Krieg  DRAMATURGIE Kerstin Grübmeyer

3 Kommentare:

  1. "....durch Einsatz einer ohrenbetäubend lauten Fliegeralarmsirene jeden Theaterschlaf unterband."

    Haha!!! Na, das nenn ich mal eine weise Voraussicht! ;)

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  2. Am vergangenen Donnerstag hatte ich Gelegenheit, die Premier von "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" zu sehen. Selten habe ich mich so sehr gelangweilt.

    In der Einführung und im Programmheft war davon die Rede, ein Gedanke der Inszenierung sein, alles ist Spiel, alle spielen Rollen, tragen Masken. Davon war in der Inszenierung nichts zu sehen. Wie sollen Schauspieler Figuren spielen, die Rollen spielen, wenn sie noch nicht einmal Figuren spielen? Es reicht nicht aus, bewegungslos an der Rampe zu stehen oder sich ohne erkennbaren Grund neben der Bühne auf der Bühne aufzuhalten, wenn man ein solches Konzept umsetzen will. Es reicht nicht aus, ab und zu ebenfalls ohne erkennbaren Grund Kostüme zu wechseln, wenn man Spiel, Rollen und Masken darstellen möchte. Ich erwarte von der Regie zumindest rudimentäre Figurenführung und von den Schauspielern mehr als nur Typen.

    Geärgert habe ich mich über die verwendete Musik. Das Dieas Irae-Thema von Verdi, die Ode an die Freude, dräuende Klänge bei der Verabredung zum Mord: War das wirklich ernst gemeint? Geht es nicht noch platter? Und muss wirklich Sophia Löffler, die einen Ton weder trifft noch halten kann (oder soll?) den Beethoven singen?

    Diese Aufführung hatte keinen einzigen emotionalen Moment, kein Bild, das anrührt, keine Subtilität. Sie war zwar nur zwei Stunden lang aber unglaublich langweilig.

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  3. Vielen Dank für Ihre treffenden Ergänzungen, denen ich mich vorbehaltlos anschließen kann.

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